Der Wahrheit ein letztes Mal auf der Spur – Spielzeitende im Theater Regensburg

 Der Wahrheit ein letztes Mal auf der Spur – Spielzeitende im Theater Regensburg

Spazieren und Staunen war am vergangenen Wochenende Programm im Theater Regensburg. Das spartenübergreifende Stadtraumprojekt »Wahrheiten« lud zum Abschluss der aktuellen Spielzeit dazu ein, die Stadt von ganz anderen Seiten zu erkunden. Ein Bericht.

von Hannah Eder

Es beginnt bunt: Nach der Kontrolle der Eintrittskarten werden alle Besucher:innen dazu aufgefordert einen farbigen Knopf aus einem bereitgestellten Schälchen zu ziehen. Zur Auswahl stehen Rot, Grün, Gelb, Blau, Weiß oder Schwarz. Im Foyer des Theaters am Bismarckplatz stehen dazu passende Tische, an denen ebenfalls farbig gekleidete Routenbetreuer:innen – allesamt bekannte Gesichter hinter den Kulissen des Theater Regensburg – warten und die notwendigen Informationen zum Ablauf sowie Audioguides für den anschließenden Spaziergang verteilen. Noch bunter wird es dann bei der Begrüßungsveranstaltung im Bismarckplatz, bei der Teile des Ensembles die vergangene Spielzeit spartenübergreifend Revue passieren lassen und einen Kanon aus musikalischen, schauspielerischen und tänzerischen Ausschnitten der letztjährigen Inszenierungen vortragen. Ohne zu viel zu verraten sei gesagt: Das Publikum erhält bereits hier die Chance Ensemble und Räumlichkeiten aus bisher unbekannten Perspektiven zu betrachten.

Sechs weitere Spielstätten sind anschließend Teil der Route durch die Stadt – manche davon etablierte Kulturräume, wie das Degginger oder das M26. Die anderen aber sind leerstehende Gebäude, wie das alte Kino Gloria oder die ehemalige HypoVereinsbank am Neupfarrplatz. Die Projekte, die dort umgesetzt wurden, sind vielfältig und brechen mit der sonst starren Trennung zwischen Publikum und Bühne. Mal befindet man sich mitten in der Inszenierung, mal wird man Teil eines improvisierten Gesprächs. Das Publikum begegnet Geschäftsmännern, die suggerieren es gäbe die Eine Wahrheit im Leben, lauscht sphärischen Klängen, die zu Reflexionen über das eigene Wirklichkeitsempfinden einladen oder wird Zeuge einer Tanzperformance, die längst verlassene Räumlichkeiten mit bröckelndem Putz wieder mit Dynamik und Leben füllt. Multimedial und in spartenübergreifender Zusammenarbeit werden in diesem Abschlussprojekt verschiedene Kunstformen geschickt miteinander kombiniert. Licht, Ton, Sprache und Körper greifen ineinander und binden dabei das Publikum aktiv ein – sei es im Gehen, im Liegen oder im Stehen.

»Man sieht den wahren Wald vor lauter gelogenen Bäumen nicht mehr.«

– Schauspielerin Kathrin Berg in ihrer Rolle als Stadtführerin

Drei Stunden lang stromern wir in sechs kleinen Gruppen durch die Regensburger Innenstadt, geführt Schauspieler:innen des Theater Regensburg, immer auf der Suche nach … ja wonach eigentlich? »Wahrheiten« versprach das Spielzeitmotto 2022/23 und mit Wahrheiten werden wir während unseres Stadtspazierganges zuhauf konfrontiert. Unbequeme Wahrheiten, alternative Wahrheiten, wissenschaftliche Wahrheiten und Wahrheiten, die eigentlich eher Lügen sind. Schauspieler:innen tragen auf den kurzen Wegen zwischen den Spielstätten Texte vor, die versuchen, den Begriff »Wahrheit« von verschiedenen Seiten anzugehen. Haben Sie sich zum Beispiel schonmal gefragt, ob Tiere zwischen Wahrheit und Lüge unterscheiden können? Unterhaltsam und gleichzeitig nachdenklich stimmen diese kurzen Zwischensequenzen, die am Ende doch immer mit dem Satz »Ach, ich weiß es doch auch nicht!« enden müssen. Die eine Wahrheit gibt es eben nicht – auch nicht an diesem Abend.

Neben dem Spielzeitthema »Wahrheiten« dominiert ein weiteres Motto den Abend: Nachhaltigkeit. Gefördert von der Kulturstiftung des deutschen Bundes, die mit dem Fonds Zer0 einen Fördertopf für klimaneutrale Kunst- und Kulturprojekte ins Leben gerufen hat, setzt das Stadtraumprojekt des Theater Regensburg den Anspruch der Klimaneutralität nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Publikum um. Dafür wurde nicht nur auf QR-Codes gesetzt, die anstelle von gedruckten Flyern eine Übersicht über das Programm des Abends geben, sondern auch beim Kauf der Karten eine sogenannte Klimakaution berechnet. Diese konnte vor Beginn der Vorstellung wieder erstattet werden, je nachdem ob die Anreise zu Fuß, mit dem Fahrrad, öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem Auto erfolgte. Alternative Formen der Mobilität erschließen sich die Zuschauenden auch während der Performance, sei es zu Fuß oder – je nach Route – auch mal mit dem Bus. In unserer Gruppe informiert uns Maxi Ratzkowski darüber, dass auch die Mitarbeitenden des Theater Regensburg im vergangenen Jahr ihren Arbeitsweg protokolliert haben, um klimafreundliche Verkehrsmittel auch langfristig im laufenden Betrieb zu fördern. Außerdem erklärt sie, dass für die Ausstattung der einzelnen Stationen des Stadtraumprojektes ausschließlich bereits vorhandene Requisiten und Kostüme verwendet wurden. Nichts sollte neu beschafft werden und auch die alten Spielzeithefte – von denen tatsächlich noch eine ganze Menge übriggeblieben ist – wurden in die Kulisse integriert. Und auch die Zwischennutzung aktuell leerstehender Gebäude unterstreicht den Nachhaltigkeitsanspruch des Projekts.

Die alten Spielzeithefte als Kulisse. Win McCain, Michael Heuberger & Vincent Wodrich in der ehemaligen Hypo-Vereinsbank am Neupfarrplatz © Tom Neumeier Leather

Abgeschlossen wird die Veranstaltung, an der letztlich über 300 Mitarbeitende des Theaters beteiligt waren, mit einem öffentlichen Konzert auf dem Kohlenmarkt, bei dem alle Gruppen wieder zueinander finden und auch Passant:innen zum Zuhören eingeladen werden. Dabei spielen die Musiker:innen in einem Wechsel aus Miteinander und Gegeneinander nicht nur von verschiedenen Ecken des Platzes aus, sondern auch von Balkonen herunter. Gemischt mit den normalen Geräuschen der Stadt, wie der läutenden Glocke des alten Rathauses, ergibt sich ein kurzweiliges Konzert, das wie ein musikalisches Gespräch anmutet und die Stadt als Kulturraum ein letztes Mal in den Fokus setzt. Leider ist das Stadtraumprojekt »Wahrheiten« mit dem kommenden Wochenende bereits wieder vorbei. Allen, die spontan noch Zeit haben, einen Abend lang durch Regensburg zu flanieren und Theater, Musik und Tanz – die, wie Schauspieler Michael Haake bei einer Etappe des Spaziergangs beschreibt, ja eigentlich auch Verzerrungen der Wirklichkeit und damit kleine absichtliche Lügen sind, auf die sich das Publikum einlässt – an unkonventionellen Orten zu erleben, wird Veranstaltung in jedem Fall ans Herz gelegt.

Restkarten für die zweite Runde »Wahrheiten« am kommenden Wochenende (08. Juli & 09. Juli) gibt es auf Anfrage beim Theater Regensburg. Diese Vorstellung wurde mit einer Pressekarte besucht.

Titelbild: Großes Finale am Kohlenmarkt mit dem Opernchor und Mitgliedern des Philharmonischen Orchester © Tom Neumeier Leather

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