Die Oper »Michael Kohlhaas« wurde in Regensburg uraufgeführt

Die Oper »Michael Kohlhaas« wurde in Regensburg uraufgeführt

Eigentlich möchte der Pferdehändler Michael Kohlhaas nur von Brandenburg nach Sachsen reisen, um seine Tiere zu verkaufen. Sein Gerechtigkeitssinn macht ihn dabei zum Mörder. 

von Anne Nothtroff

Der Vorhang im Regensburger Theater am Bismarckplatz öffnet sich. Auf der Bühne sind 14 Personen in grauen Anzügen zu sehen. Alle sehen gleich aus, niemand sticht hervor. Doch das Los fällt – auf Michael Kohlhaas. Seine Geschichte ist es, die nun erzählt werden soll:

Auf einer Geschäftsreise nach Sachsen gerät der Pferdehändler Michael Kohlhaas (Paul Kmetsch) an eine Grenzkontrolle. Der richtige Passagierschein fehlt angeblich, deshalb soll er zwei seiner Pferde als Pfand vor der Burg des Junker Wenzel von Tronka (Benedikt Eder) zurücklassen. Auf dem Rückweg muss er feststellen, dass er Opfer eines Betruges wurde: Nicht nur seine Pferde findet er verwahrlost vor, auch sein Knecht Herse (Benedikt Eder) wurde verprügelt. Im Rechtssystem kommt Kohlhaas nicht weiter. Seine Klage auf Schadensersatz wird abgelehnt – auch aufgrund der Einflussnahme des Junkers. Bei weiteren verzweifelten Versuchen sein Recht einzuklagen, kommt seine Frau Lisbeth (Patrizia Häusermann) ums Leben. Der Verlust seiner Frau und seiner Pferde graben sich immer tiefer in Kohlhaas‘ Seele ein. Sein Verlangen nach Rache und sein Scheitern vor dem Justizsystem zwingen ihn zur Selbstjustiz. Das rote Flimmern des Bühnenbildes lässt ein blutiges Ende der Geschichte bereits erahnen. 

Die Grenzen zwischen Täter und Opfer verschwimmen

Kohlhaas begibt sich auf die Suche nach dem Junker, an dem er sich rächen möchte. Dabei beginnt er zu morden. Leichensäcke fallen über eine Rampe auf der Bühne. Zu seinem großen Schmerz ist der Junker nicht auffindbar. Kohlhaas‘ Zorn und sein Verlangen nach Gerechtigkeit sind entflammt. Mehr und mehr Leichensäcke fliegen förmlich über die Bühne. Am nächsten Morgen ist das gesamte Schloss des Junkers niedergebrannt. Die Leichensäcke häufen sich am unteren Bühnenrand. Kohlhaas beginnt von einem gerechten Krieg zu sprechen. Mit sakralen Klängen im Hintergrund ruft er dazu auf, den Junker als allgemeinen Feind aller Christen zu ergreifen. Das gesamte Dorf wird in Brand gesteckt. Die Leichensäcke nehmen nun ein Viertel der Bühne ein. Die Stadt liegt in Schutt und Asche, das Volk ist in Aufruhr und Kohlhaas fordert immer noch des Junkers Tod. Sein Handeln ist ein Selbstmanöver in eine Lage, der er nicht mehr ausweichen kann. 

Paul Kmetsch, Patrizia Häusermann, Sprech- und Bewegungschor © Marie Liebig

Auch im Kostüm spitzt sich die Handlung zu. Die grauen Anzüge des ersten Aktes sind längst abgelegt. Stattdessen verlieren die Figuren auch im Kostüm jegliche Menschlichkeit. Ausstatter Kristopher Kempf lässt den Kurfürst von Sachsen (Patrizia Häusermann) in einem fleischmassigen Ganzkörperkostüm aus Stoff und Styropor auftreten. Handpuppen werden verwendet, das Menschliche rückt völlig in den Hintergrund. 

Das Darsteller:innen-Trio, bestehend aus Patrizia Häusermann, Benedikt Eder und Paul Kemtsch, überzeugen in vielerlei Hinsicht. Es wird in verschiedenen Stimmen gesungen, um unterschiedliche Charaktere darzustellen. Der körperliche Einsatz der Darstellenden verleiht der Brutalität und Kompromisslosigkeit der Handlung Gestalt. Durch gesprochene Passagen des Sprechchores wird die Erzählung vorangetrieben. Dabei werden einige Textstelle synchron gesprochen und intensivieren das Bühnengeschehen. 

Das Bühnenbild ist minimalistisch gehalten: Eine schlichte Schräge nimmt nahezu die ganze Bühne ein. »Es braucht keine Orte, sondern den Moment. Es könnte jedem und überall passieren«, erklärt Ausstattungsleiter Kristopher Kempf.

Auftragswerk des Theater Regensburg

Die Oper beruht auf der gleichnamigen Novelle von Heinrich von Kleist aus dem Jahr 1808. Das Werk ist bereits als Schauspiel bekannt. Für das Theater Regensburg wurde es für die Opernbühne adaptiert. Beauftragt wurde dafür Stefan Heucke, dessen Werkverzeichnis mehr als 130 Werke verschiedener Gattungen umfasst. Regie führte Philipp Westerbarkei. Das Projekt ist ein partizipatives Projekt, denn im Sprechchor und Orchester wirken Studierende derAkademie für Darstellende Kunst Bayern sowie Schüler:innen mit.

Bei der Adaption für die Opernbühne orientierte sich Komponist Stefan Heucke an der Bühnenfassung von Franziska Steiof. An der Komposition arbeitete er über acht Monate. Eine besondere Herausforderung stellten dabei die langen Sätze von Kleist dar. Für die Opernbühne ungeeignet, mussten sie gekürzt werden. Dafür griff Heucke auf Balladen zurück und bediente sich an einem Zusammenspiel von schneller Sprache sowie Zeitpunkten des Ausbruches und den gestreckten Momenten einer Ballade. Gesprochene Passagen und Sprechgesang wurden dabei aneinander gewoben.

Paul Kmetsch, Patrizia Häusermann, Sprech- und Bewegungschor © Marie Liebig

Die Regensburger Inszenierung zeigt auch die menschliche Seite von Kohlhaas: Szenen, in denen er als Familienvater agiert oder um seine Frau trauert. Einige Kostümwechsel finden auf der Bühne statt. Alle Darstellenden tragen unter ihren Kostümen hautfarbene Unterwäsche. So erinnert sich der Zuschauende immer wieder an den Menschen, der hinter der Bühnenfigur Michael Kohlhaas steckt. Die Frage wie es sein kann, dass ein Pferdehändler durch sein Gerechtigkeitsempfinden zum Mörder wird, ist unausweichlich. Was muss passieren, dass ein Mensch beginnt zu morden, in Brand zu stecken oder Menschen hinter sich zu versammeln? Der Beginn der Inszenierung zeigte: Unter den vierzehn Menschen mit grauen Anzügen hätte es jeden treffen können. Doch das Schicksal hat sich für Michael Kohlhaas entscheiden. 

Es wird die Geschichte einer Welt erzählt in der Idealismus keine Option ist. Es ist unmöglich zu leben, ohne seine eigenen Ideale zu verraten. Komponist Stefan Heucke vergleicht die Handlung mit einer Lawine, die »sich immer weiter vergrößert und am Ende gar nicht mehr aufzuhalten ist.« Es lassen sich auch Parallelen zwischen dem Sterben von Kleist und Kohlhaas ziehen. Beide gehen mit den Worten »Die Wahrheit ist, dass mir auf Erden nicht zu helfen war.« Kleist schrieb sie in einem seiner Abschiedsbriefe, bevor er mit 34 Jahren gemeinsam mit seiner Frau in den Freitod ging. Auf der Bühne am Bismarckplatz werden sie ganz am Ende kurz vor Kohlhaas‘ Hinrichtung gesprochen. 


Weitere Informationen zum Stück gibt es auf der Website des Theater Regensburg (Theater Regensburg – Michael Kohlhaas)

Die Vorstellung wurde mit Pressekarten besucht. 

Titelbild: Paul Kmetsch, Sprech- und Bewegungschor © Marie Liebig

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert