»An meine Kindheit habe ich keine einzige glückliche Erinnerung«

 »An meine Kindheit habe ich keine einzige glückliche Erinnerung«

Mit das »Ende von Eddy« inszeniert das Theater Regensburg das erste Mal einen Roman des französischen Schriftstellers Édouard Louis und erzählt damit eine Geschichte über Gewalt, Homophobie und Selbstbefreiung. 

von Anne Nothtroff und Louis Müller

Bereits der erste Satz »An meine Kindheit habe ich keine einzige glückliche Erinnerung« lässt erahnen, dass im Folgenden eine Geschichte mit ernsten Themen gespielt wird. Gesprochen wird der Satz von Protagonist Eddy (Natascha Weigang, Max Roenneberg und Lilly-Marie Vogler). Das Schauspiel »Das Ende von Eddy«, erstmals in Regensburg inszeniert, feierte am 16. März in der Spielstätte des Theaters am Haidplatz seine Premiere und erzählt die Geschichte des französischen Jungen Eddy. 

Zwischen Anpassung, Flucht und Selbstbefreiung 

Eddy wächst als erstes Kind seiner Eltern in der französischen Normandie im Arbeitermilieu der 1990er Jahre auf. Das dörfliche Umfeld, monotone Fabrikarbeit, Armut, Alkohol und Gewalt prägen sein Dasein. Darüber hinaus ist er mit dem ständigen Gefühl von Scham konfrontiert: Als homosexueller Mann erlebt er Hass, Ablehnung sowie Gewalt. Er selbst fühlt sich ausgeschlossen und fehl am Platz. Nimmt lieber 15 Kilometer Fußweg in Kauf, um in die Theaterprobe, anstatt ins Fußball zu gehen. Um dem Gefühl der »Andersartigkeit« zu entfliehen, versucht er die Männlichkeitserwartungen seines dörflichen und familiären Umfeldes zu erfüllen: Er spricht mit tieferer Stimme, datet Frauen und beginnt sich zwanghaft für Fußball zu interessieren. All diese Anpassungsversuche sind jedoch zum Scheitern verurteilt. 

Die Regensburger Inszenierung 

Die Regensburger Inszenierung erzählt die Geschichte aus der Retroperspektive. Dabei rückt sich Protagonist Eddy nicht in eine Opferrolle. Vielmehr blickt mit einer gewissen Souveränität auf die Ereignisse seiner Kindheit. Dargestellt wird Eddy von den drei Schauspielenden Natascha Weigang, Max Roenneberg und Lilly-Marie Vogler. Sie alle drei verkörpern auf unterschiedliche Weisen den jungen Eddy. Dass zwei weibliche Schauspielerinnen einen homosexuellen Mann darstellen zeigt, dass es dabei um mehr als Geschlechtlichkeit geht. Vielmehr sind die Schauspielenden als unterschiedliche Bewusstseinsteile Eddys zu verstehen. Einige Textstellen werden von den drei Schauspielenden synchron gesprochen, was die Zusammengehörigkeit der Dreien unterstreicht, und die Wirkung der gesprochenen Worte intensiviert. Unterstützt wird das Schauspiel-Trio durch eine dreiköpfige Statisterie, deren Gesichter durch Masken bedeckt sind. Ihr gesichtsloses Auftreten erweckt das Gefühl der stillschweigenden, kollektiven Zustimmung in Bezug auf Eddys Leidensgeschichte. Das zunächst trostlos und industriell wirkende Bühnenbild greift die verzweifelte Grundstimmung des Stückes auf und wird durch gleißende Lichteffekte ergänzt. 

Natascha Weigang, Max Roenneberg, Lilly-Marie Vogler © Tom Neumeier Leather 

Neben der schauspielerischen Ebene gibt es auch eine tänzerische, bei der vor allem Eddys Emotionen zum Ausdruck gebracht werden. Sie zeigt in den Momenten der Angst, des Glücks oder der Ekstase die Gefühlswelt von Eddy, in der Worte und Erzählungen dies nur eingeschränkt könnten.  

Im Verlauf seine Jugend wird Eddy zunehmend mit Männlichkeitserwartungen seines Vaters und der Gesellschaft konfrontiert. Eddys Vater möchte einen »echten Kerl« aus ihm machen, was in seiner Welt das höchste Gut darstellt. Sein Bild der Männlichkeit besteht dabei aus Elementen wie Fußball, Alkoholmissbrauch und Brutalität, mit denen sich Eddy nicht identifizieren kann. Kreativität, Homosexualität oder Verträumtheit haben dort keinen Platz. Die Sichtweisen und das Männlichkeitsbild des Vaters werden immer wieder durch zusammengeschnittene Videoclips im Hintergrund der Szenerie dargestellt. Dabei spielen Gewalt, Unterdrückung von Minderheiten und Machtgefühl eine sehr starke Rolle. Eine aktuelle und politische Dimension bekommt das Stück durch zusammengeschnittene Videoclips homofeindlicher Übergriffe und aktuelle Nachrichtenmeldungen. Besonders prägend ist die Szene, in der Eddy zum ersten Mal seine Sexualität auslebt. Um das Geschehen in den Vordergrund zu rücken, greift man in dieser Szene auf Hasenmasken zurück, die die Gesichter der Darstellenden bedecken. Die Masken mit der im Hintergrund abgespielten sakralen Musik bilden nicht nur ein Zusammenspiel aus Triebhaftigkeit und Sinnlichkeit, sondern verleihen der Szene auch etwas Majestätisches. 

Das Stück beschreibt gewalttätige Szenen aus Eddys familiärem und schulischem Umfeld. Bereits auf der Theaterwebsite befindet sich der Trigger-Hinweis, die Inszenierung setze sich auf sprachlicher Ebene mit körperlicher Gewalt, Rassismus, Homofeindlichkeit und sexuellen Handlungen auseinander. Es wird jedoch nicht nur Eddys Leidensgeschichte gezeigt, sondern auch seine Selbstbefreiung aus der Enge seiner Kindheit.  

Eine ungefilterte Beschreibung der eigenen Realität 

Regisseur Barish Karademir hat bereits im Jahr 2019 mit »Im Herzen der Gewalt« einen Roman von Édouard Louis für die Theaterbühne adaptiert. Im Gespräch mit Dramaturgin Theresa Selter sagt er, dass ihn besonders der zugängliche, ungefilterte, jedoch nicht wertende Schreibstil fasziniere. Louis sei ein junger Autor, der ohne Filter seine eigene Realität beschreibe, ohne dabei allzu sehr zu theoretisieren. Trotz der Einfachheit sei in seiner Sprache eine bestimmte Poesie zu finden. Aufgewachsen in ärmlichen Verhältnissen im Arbeitermilieu sieht Karademir in Eddys Geschichte auch Parallelen zu seiner eigenen Biographie. Auch er war konfrontiert mit traditionellen Rollenbildern, Homophobie und patriarchalen Männlichkeitserwartungen.  

Die Regensburger Inszenierung bietet dem Zuschauenden eine große Identifikationsfläche mit Eddys Geschichte. Lediglich die französischen Orts- und Personennamen erinnern daran, dass das Stück in Frankreich spielt. Protagonist Eddy ist kein Einzelschicksal. Vielmehr steht er stellvertretend für viele Menschen, die Diskriminierung erfahren und damit allein gelassen werden. Die zusammengeschnittenen Szenen von homofeindlichen Übergriffen geben dem Inhalt eine gänsehauterregende Aktualität und heben das Stück aus dem Theatersaal, heraus auf unsere alltäglichen Straßen.  

Dass die Umsetzung des Regensburger Theaters hervorragend gelungen ist, zeigte auch der langanhaltende Applaus bei der Premiere. Das Regensburger Theaterpublikum kann sich auf einen eindrücklichen und bewegenden Theaterabend mit musikalischen und tänzerischen Darbietungen freuen.  


Weitere Informationen zum Stück gibt es auf der Website des Theater Regensburg (Theater Regensburg – Das Ende von Eddy

Beitragsbild: Ensemble © Tom Neumeier Leather 

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