Lautstark: Experimentell, laut, weiblich – Malaria!

Lautstark: Experimentell, laut, weiblich – Malaria!

Der Bekanntheitsgrad deutscher Musik zehrt immer noch, auch fast 40 Jahre danach, von der Neuen Deutschen Welle. Acts wie NenaTrio oder Spliff schrieben damals Hits, die auch heute noch gern auf Partys zelebriert werden, und stehen musikalisch meilenweit über der heutigen Max-Giesinger-Generation. Doch nicht nur die bekannten Songs dieser Ära sollten in den Geschichtsbüchern Erwähnung finden, sondern der avantgardistische Underground lieferte ebenfalls so einige Perlen.

von Elias Schäfer

Auch wenn ich persönlich meilenweit davon entfernt bin, die 1980er auch nur ansatzweise miterlebt zu haben, übt dieses Jahrzehnt eine gewisse Faszination aus. Der Geruch von Umbruch und grenzenlosen Möglichkeiten lag in der Luft; Konsumismus und Individualismus traten endgültig ihren Siegeszug innerhalb der Mehrheitsgesellschaft an; alles war bunt, schrill und fröhlich. Alles? Naja, nicht ganz. Zur gleichen Zeit, in der es das eine Extrem gab, in dem Neon- und Pastelltöne sowie Aerobicvideos dominierten, brodelte es im Untergrund. Natürlich gab es auch in den 80ern unzufriedene, rebellierende junge Menschen, die aus der Punk- und beginnenden New-Wave-Suppe hervorgingen und beispielsweise die zusammengefasste Goth-Subkultur bildeten, in der die Farbe schwarz, wilde Haarspray-Frisuren und exzentrisches Make-Up große Rollen spielten. Die Musik zur Bewegung war hauptsächlich eine Art Bizarrowelt von allem, was zu der Zeit populär war:

Im Gegensatz zum Bubble-Gum-Synth-Pop des US-amerikanischen und britischen Mainstreams wurden in der New bzw. Dark Wave, wie der Name es schon sagt, schleppende, düstere oder verschrobenere Synths benutzt, öfter auch dissonante Töne verwoben, und statt der klaren, höheren Stimmen, prägten tiefe, melancholische oder aggressive Vocals die Tracks. Auch in Deutschland kam diese Bewegung relativ schnell an: Durch den Krautrock der 1960er und 70er hatte sich hier schon eine gewisse Underground-Szene gebildet, die der experimentelleren Musik verschrieben war. Vor allem auch die Popularität einer Nina Hagen ebnete den Weg für viele Künstler*innen, die eher auf Punk und Nonkonformismus standen als auf Einkaufszentren und Stepping-Kurse. 

Malaria! beim SO 36 Atonal Festival 1982 in Berlin. © Christian Schulz

Hieraus entstand auch die All-Girl-Band Malaria!, die, wie soll es auch anders sein, aus Berlin stammen. Deren Musik lässt sich am besten als eine Mischung aus punkigem Dark Wave und elektronischer Avantgarde beschreiben, vielleicht auch noch mit dem eher schwammigeren Begriff Post-Punk, was jetzt nicht unbedingt für eine Easy-Listening-Erfahrung sorgt. Nichtsdestotrotz sind deren Erfolge und Einflüsse nicht von der Hand zu weisen: Zusammen mit Nina Hagen bespielten sie das legendäre New Yorker Studio 54 oder tourten mit Größen des Genres wie New Order und Siouxsie and the Banshees. Noch im Jahr ihrer Gründung wurden sie von John Peel zu einer BBC Session eingeladen. Das Duo der Sängerinnen und Multiinstrumentalistinnen Bettina Köster und Gudrun Gut musizierte zuvor schon in der experimentellen Punk-Band Mania D zusammen, die allerdings nur zwei Jahre lang (1979-1981) Bestand hatte; ein Jahr weniger als Malaria!, die sich zumindest von 1981 bis 1984 halten konnten. Diese zwei wurden dann noch durch Manon Pepita Duursma, Susanne Kuhnke und Christine Hahn ergänzt, bilden aber auf jeden Fall durch ihren Werdegang die interessantesten Persönlichkeiten nicht nur der Gruppe, sondern Deutschlands Alternativkultur im Allgemeinen. 

Gudrun Gut beispielsweise stieg während eines Studiums der Visuellen Kommunikation an der Hochschule der Künste Ende der 1970er in die Berliner Musikszene ein, lernte früh Bettina Köster kennen und betrieb neben deren erster Band Mania D ab 1978 den Subkultur-Shop Eisengrau, der sich rund um Do-it-yourself Mode, Magazine und Tapes positionierte. Zusammen mit unter anderem den Berliner Underground-Koriphäen N. U. Unruh und Blixa Bargeld gründete sie auch 1980 die Gruppe Einstürzende Neubauten, die in wechselnder Besetzung bis heute aktiv ist und als höchst einflussreich in der musikalischen Avantgarde gilt. Später engagiert sie sich noch für weitere, vielfältige Kunst- und Performanceprojekte, gründet ihre eigenen Labels (Monika Enterprise ist hier am aktuellsten), organisiert Veranstaltungen oder legt in Clubs als DJ auf. Bis heute gilt sie als eine der bekanntesten deutschen Undergroundkünstler*innen.

Ihre Kollegin, Bettina Köster, ist dabei nicht minder nennenswert. Malaria! wurden zwar aufgelöst, da Köster nach New York zog, während Gut in Berlin blieb, allerdings hieß das nicht, dass Köster inaktiver wurde. Sie arbeitete als Filmautorin und Produzentin eng mit der Regisseurin Isabel Hegner (bekannt für den LGBT-Kurzfilm »Peppermills«, der 1998 auf der Berlinale den Teddy Award für den besten Kurzfilm abräumte) und gilt aufgrund ihres androgynen Auftretens und ihrer äußerst variablen Stimme als eine frühe Ikone der queeren Subkultur.

Gudrun Gut in den 1980ern. © Pinterest

Zurück zur Band und ihrer Musik: Ich schrieb schon, dass die Erfolge der Band Schlag auf Schlag kamen und durch die Auflösung genauso schnell wieder aufhörten, so dass gemeint werden könnte, dass die Band einfach nur ein künstliches Konzeptprojekt war, um die Popularität der Neuen Deutschen Welle sowie einer neuen Form des Feminismus abzugreifen. Dem ist auf jeden Fall nicht so: Gudrun Gut beschreibt in einem Interview für i-D aus dem Jahre 2016, dass die All-Girl-Konstellation der Gruppe mehr oder minder Zufall war, da die Mitglieder sich einfach nur gut verstanden, und sie auch niemals zu einer kommerziellen »Retortenband« wie Bananarama verkommen wollten. Schlussendlich hatten sie einfach Talent und ihre Finger am Puls der Zeit.

Die Looks und die Musik der fünf Frauen passten wie die Faust aufs Auge zum damaligen Lebensgefühl der rebellischen Jugend. Die teilweise schon extrem weirde Instrumentalisierung verdient das Prädikat »künstlerisch anspruchsvoll« und Kösters performativer Gesang könnte auch mit dem eines Mannes verwechselt werden. Es ist äußerst schade, dass sie nicht mehr Musikvideos drehten, denn das Video zu »Geld/Money« ist sehr experimentell und interessant. Die 1981 veröffentlichte, selbstbetitelte EP featurete unter anderem den Song Kaltes klares Wasser, der sofort zum Underground-Hit avancierte und selbst 2001 noch als elektronische Coverversion des feministischen Künstlerinnenkollektivs Chicks on Speed auf Platz 16 der deutschen Charts stieg. Seit 2019 wird auch eine komplett remasterte Compilation namens »Compiled 1981-1984« in den Läden auf Vinyl angeboten. 

Insgesamt kann also gesagt werden, dass es sich durchaus lohnt, in den Archiven der deutschen Musikgeschichte zu stöbern, was das Internet derzeit ja ziemlich einfach macht, auch wenn die aktuelle deutsche Musiklandschaft nicht wirklich interessant wirkt. Meiner Meinung nach sind viele Acts entweder so verkünstelt, dass die Authenzität flöten geht, oder sind schlichtweg zu kitschig und pathetisch. Natürlich kann es da ebenso Ausnahmen geben (bei Empfehlungen könnt ihr euch gerne bei mir melden), aber das Flair, das 80er Underground Bands wie Malaria! eben versprühen, ist so ziemlich unnachahmbar. Deswegen bin ich sehr dankbar, dass eben solche überraschenden und innovativen Sounds hörbar sind, remastert werden, und dadurch vielleicht auch neue Generationen an Musiker*innen inspirieren.

Hier noch ein paar Songs:

Beitragsbild: © The Vinyl Factory

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