Lautstark: Bring Me The Horizon – die talentierteste Band der Welt?

Lautstark: Bring Me The Horizon – die talentierteste Band der Welt?

Es gibt wohl kaum eine andere Musikgruppe im härteren bzw. nicht so harten, aber trotzdem noch etwas harten Bereich, die über Jahre hinweg so kontrovers diskutiert wurde und sich im Laufe der Zeit so sehr verändert hat wie Bring Me The Horizon. Die Band rund um den berüchtigten Frontmann Oli Sykes erneuert sich gefühlt täglich, verprellt dabei einige Fans, doch auf jede abwandernde Person kommen zehn neue hinzu. Wie machen sie das?

von Elias Schäfer

Wenn man seit ungefähr einer Dekade Fan einer bestimmten Band ist, erlebt man so einiges mit: Man wächst mit der Band, die Geschmäcker verändern sich, vielleicht driftet man auseinander, verliert den Anschluss, nur, um ihn dann schließlich doch noch wiederzufinden. Als ich mit ungefähr 13/14 Lenzen das erste Mal das Album »Suicide Season« der britischen Band Bring Me The Horizon gehört habe, haute es meinem kleinen Emo-Ich die Nieten vom Gürtel. Was für eine garstige Stimme, was für schroffe Breakdowns, was für ein Groove, was für Melodien und was für relatable Lyrics. Eins vorneweg: Klar gab und gibt es immer noch tiefgründigere oder brutalere Metal-Bands, doch neben der ebenfalls britischen Gruppe Architects öffnete mir der Sound von Bring Me The Horizon die Welt zu dieser Art von Musik, namentlich Death- und Metalcore. Obwohl ich dadurch andere coole Bands entdeckte, blieben Bring Me The Horizon trotzdem pausenlos an der Vorfront, was meine Favoriten anging. Und obwohl ich nicht mehr so ganz in dieser Szene drin bin, klicke ich immer noch total gespannt auf jeden Song, den die fünf Buben aus Sheffield herausbringen – unter anderem auch, weil ihre Musik kaum mehr etwas mit ihren Anfangstagen zu tun hat. Somit bleibt es immer spannend. Man* weiß nie, ob sich hinter einem Lied ein pop-rockiger Wohlfühlsong, experimenteller Electro oder eine sprichwörtliche Reise durch die Hölle verbirgt. Seit ihrer Gründung 2004 und ihrem erstmaligen Charteinstieg mit der EP »This Is What the Edge of Your Seat Was Made For« im Jahre 2006 schaffen es Bring Me The Horizon kaum mehr aus den Schlagzeilen und Musikberichterstattungen, sowohl in positiver, als auch in negativer Art und Weise.

Anfangszeit und Steigerung bis zum vorläufigen Höhepunkt ihres Schaffens

Bring Me The Horizon (ein Zitat aus »Fluch der Karibik«, kein Witz) wurde von Leadkrächzer Oliver »Oli« Sykes, den Gitarristen Lee Malia und Curtis Ward sowie vom Bassisten Matt Kean und Drummer Matt Nicholls gegründet, nachdem ein paar Sheffielder Bands zusammengelegt wurden. Und was passiert, wenn sich fünf dünne, blasse, britische Jungs zum Jammen treffen? Genau, sie steigen aus dem Mitte-2000er-MySpace-Emo-Scene-Sumpf auf und erschaffen nicht nur die vorhin genannte EP, sondern auch noch ein Album namens »Pray For Plagues«, das für die nächsten Jahre noch den Deathcore prägen sollte und ihnen direkt einen Platz in der Topriege des Genres gesichert hat. Anstatt es sich jedoch dort neben Szenegrößen wie Suicide Silence oder All Shall Perish gemütlich zu machen, dachten sich die Fünf: nö. Obwohl im Nachfolger »Suicide Season« (2008) noch so einige Deathcore-Elemente vorhanden waren, wurden die Songs langsam melodischer. Sie inkorporierten Ambient/Electro Elemente und wurden nun eher dem Metalcore zugeordnet. Das war das beste, was die Band machen konnte, denn ab da begann der stetige Aufstieg in den Mainstream. »Suicide Season« war ein großartiges Album, das Hit nach Hit lieferte und mit Zeilen wie »We will never sleep, ‚cause sleep is for the weak / and we will never rest, ‚til we’re all fucking dead« nicht nur Stoff für Generationen an Tumblr-Blogs lieferte, sondern beispielsweise mit dem achtminütigen, positiv-schleppenden und zeitweise dramatischen Titeltrack auch interessante musikalische Erzeugnisse vorzuweisen hatte. Auf  »The Sadness Will Never End« (ich weine schon, wenn ich den Titel lese) fanden sich sogar dank Sam Carter, dem Vocalist der Band Architects, etwas cleanerer Gesang wieder, was bis dato ein Novum bei BMTH war. Gleichzeitig ballerte sich Oli Sykes durch eine ungesunde Screamingtechnik bei Livekonzerten zunehmend die Stimmbänder weg. Auch, wenn er irgendwann klang, als ob er sich permanent im Stimmbruch befinden würde, inspirierte mich dieser Stil, selbst mit gutturalem Gesang anzufangen: also zwei negative Folgen auf einmal.

BMTH anno 2008: Wer dachte sich eigentlich, dass so ein Look cool wäre? Ich will diese Person sprechen und sie loben – was für süße Racker. © Kerrang

Abermals hätten es sich Bring Me The Horizon einfach in ihrer neugefundenen Nische bequem machen können, denn »Suicide Season« staubte positiv-gemischte Kritiken ab und machte eine große Welle in der englischsprachigen Metalcore-Szene. Doch abermals dachten sich die fünf Jungs – mittlerweile mit dem australischen Gitarristen Jona Weinheim statt Curtis Ward am Sechssaiter – nach einer Remix-Version ihres zweiten Albums:  »nö« und ließen 2010 »There Is a Hell Believe Me I’ve Seen It. There Is a Heaven Let’s Keep It a Secret.« auf die Welt los. Meine Güte, was für ein Albumtitel (was jedoch nicht der weirdeste sein sollte, was das Genregrenzen komplett missachtende 2019er Projekt »Music to Listen to~Dance to~Blaze to~Pray to~Feed to~Sleep to~Talk to~Grind to~Trip to~Breathe to~Help to~Hurt to~Scroll to~Roll to~Love to~Hate to~Learn Too~Plot to~Play to~Be to~Feel to~Breed to~Sweat to~Dream to~Hide to~Live to~Die to~Go To« zeigte). Und das dritte Album, wie ich es ab hier nennen werde, da ich das nicht jedes Mal in den Artikel hineinkopieren will, hatte es in sich und ließ mich so richtig in den Sound der Band verlieben. Bring Me The Horizon wurden nochmal eine Schippe melodischer, verzweifelter, atmosphärischer, und verpackten das in eine äußerst dicke Produktion. Oli schreit sich die Seele aus dem Leib, das Riffing der beiden Gitarristen ist on point, und die Drum ’n‘ Bass Fraktion sorgt für treibende und knallende Rhythmik. Die Einbettung in ein orchestral-elektronisches, bei »Blacklist« sogar leicht dubsteppiges Gewand rundet das Gesamtbild schließlich ab. Textlich geht es hauptsächlich um Himmel und Hölle, Leben und Tod, Drogenmissbrauch und psychische Probleme. Fast jeder Song sticht hier heraus: Seien es das langsame, düstere »Blessed With A Curse« oder »Don’t Go«, das mit Streichern unterlegt wurde und ein Feature der kanadischen Sängerin Lights beherbergt. Die schnellen Nummern wie »Fuck«, »Alligator Blood« und »Home Sweet Hole« prügeln gut rein und die modernen Metalcore-Hymnen »It Never Ends« und »Crucify Me« sind sowieso über jeden Zweifel erhaben. Wieder könnten sich Bring Me The Horizon auf ihren Lorbeeren ausruhen und weitere Erfolge feiern, ohne ihren Sound jemals zu verändern, doch … naja, Ihr wisst wahrscheinlich, was die Band vermutlich dazu sagte.

»This is sempiternal!«

Am 4. Januar 2013 saß ich die ganze Zeit gespannt vor meinem PC, da es hieß, dass die Band einen neuen Song namens »Shadow Moses« (eine Anspielung auf die legendäre Stealth-Spielreihe »Metal Gear Solid« von Hideo Kojima für die PlayStation-Systeme) releasen würde. Davor verließ Gitarrist Jona Weinheim die Gruppe, der in einigen Statements Bring Me The Horizon kritisierte, wofür der Keyboarder Jordan Fish kam – eine riskante, aber folgerichtige Entscheidung. Als dieses Lied schließlich online kam, wäre es untertrieben, wenn ich sagen würde, dass ich ziemlich erstaunt war. Waren das etwa halbwegs cleane Vocals, die Oli Sykes aus seinem geschundenen Hals rauspresste? Nach einer kleinen Google-Aktion wusste ich: ja, in der Tat. Dieser Mann bekommt auch eine melodische Gesangsspur hin, was zu diesem Zeitpunkt niemand erwartet hätte. Nach dem melodischen, fast schon choralen Einstieg fegte mich das darauffolgende Riff jedoch komplett weg. Wie konnten Bring Me The Horizon mit jeder Veröffentlichung einfach nochmal tausendfach besser werden? Der erste Eindruck bestätigte sich dann mit dem neuen Album namens »Sempiternal«, ein Schachtelwort aus den lateinischen Wörtern »semper« (immer) und »aeternus« (ewig), das ich einfach rauf und runter gehört habe. Meiner Meinung nach ist es immer noch eins der besten Alben, die je veröffentlicht wurden. Der Grund dafür ist … alles. Jeder Teil jedes Songs ist perfekt aufeinander abgestimmt. Melodische, harte und elektronische Elemente werden genau dann eingesetzt, wenn sie gebraucht werden. Das Album bezeichnet jedoch auch die langsame Abkehr vom Metalcore zu einem Rock mit Metal-Elementen. Insgesamt klang die Band nie besser als zuvor und hatte neben ihren typisch düsteren (und auch sehr klischeehaften) Lyrics auch zeitweise einen sogar positiveren Sound, was vor allem daran lag, dass Oli Sykes endlich aus dem K-Hole herauskam. Im Ernst: Oli litt unter einer ernstzunehmenden Ketamin-Abhängigkeit und ließ sich vor dem Beginn des Schreibprozesses an »Sempiternal« therapieren.

Oli Sykes und Jordan Fish bei einem Liveauftritt. © DIY Mag

Sieht man sich allerdings die beiden Folgealben »That’s The Spirit« (2015) und »amo« (2019) an, wäre ich ganz happy gewesen, hätten die fünf sich doch mal an ihre »Sempiternal«-Struktur gehalten und nicht wieder ihren Sound verändert. Es war klar, dass der Mainstream-Durchbruch geschafft war und poppigere Klänge ab jetzt den Sound von Bring Me The Horizon dominieren werden, doch ich hätte nicht erwartet, dass dies in solch einem Extent passieren würde. Während »That’s the Spirit« mit Songs wie »Doomed«, »Follow You« oder »Happy Song« noch einige Knaller parat hatte, war ich von ein paar Liedern wiederum enttäuscht, was bis dahin noch nie passiert ist. Mittlerweile waren sie im Alternative-/Indie-Rock angekommen, was für mich überhaupt kein Problem darstellte, da ich keineswegs einer von den Metal-Fans bin, für die alles »heavy« sein muss. Trotzdem fehlte für mich langsam die Seele in den Liedern, das Herzblut, und ich konnte mit rund einem Viertel des Albums nicht wirklich etwas anfangen. Da jedoch weder Oli Sykes noch die anderen Mitglieder der Truppe meine oder überhaupt jegliche Meinungen jucken, blieben sie bei diesem Stil und vergrößerten ihre Fangemeinde enorm. Auftritte in Arenen oder auf riesigen Festivals waren die logische Konsequenz. Ich war jedoch nicht mehr so sehr an der Band interessiert und so nahm ich die Veröffentlichung von »amo« eher beiläufig wahr, auch wenn ich die Entwicklung von BMTH mit zumindest einem Auge weiter beobachtete. »amo«, ein »Liebesalbum« nach Worten von Oli Sykes, war noch poppiger, noch elektronischer, und erinnerte eher an Twenty One Pilots, was dabei auch das Ziel war. Für mich schien es, als hätte sich das Kapitel Bring Me The Horizon in meinem Leben geschlossen und sie hätten den Weg von Linkin Park eingeschlagen, deren meiste neuen Releases ich auch einfach nicht anhören konnte, ohne gelangweilt einzuschlafen. Naja, okay, gibt Schlimmeres … Moment, ist das gerade auf YouTube wirklich ein Video von 2019, bei dem die Truppe um Oli Sykes ein perfektes Deathcore-Medley mit Songs aus den Anfangstagen aufführt? Was ist denn da los?

Komplette Weirdness und »Post Human: Survival Horror«

Es dauerte lang, aber irgendwann kapierte auch ich, dass das, was Bring Me The Horizon über Jahre hinweg machten, total genial war. Sie könnten theoretisch immer noch locker eine 10/10 Deathcore-Platte raushauen, genauso wie »Sempiternal« die Zweite oder ein weiteres Pop-Rock Album im Stile von »amo«, das wieder an die Spitze der Charts steigen würde. Trotzdem ändern sie permanent ihren Sound, weil es das ist, worauf sie Bock haben. Mehr nicht. Zufälligerweise ist das, worauf BMTH Lust haben auch immer das, was gerade in der demografisch wichtigsten Gruppe der Teenager*innen gerade am trendigsten und relevantesten ist und somit auch immer neue Trends setzt. Anstatt sich mit jedem Album einer populären Richtung anzuschließen und nur eine von vielen Bands zu sein, erschaffen sie mit jedem Album solch eine verdammt schlaue Mixtur aus Innovation und dem, was gerade durch die Decke gehen könnte, was ein ausgezeichnetes Gespür für das Musikbusiness beweist. Es ist jedoch überhaupt nicht so, als wären sie nur auf Trendsetting aus, sonst hätten sie niemals so etwas wie, uff, »Music to Listen to~Dance to~Blaze to~Pray to~Feed to~Sleep to~Talk to~Grind to~Trip to~Breathe to~Help to~Hurt to~Scroll to~Roll to~Love to~Hate to~Learn Too~Plot to~Play to~Be to~Feel to~Breed to~Sweat to~Dream to~Hide to~Live to~Die to~Go To« herausgebracht, das einfach nur ein komplett weirdes, elektronisches, trip-hoppiges Experiment war. Beim Song »Ludens«, das extra für Hideo Kojimas neuestes Spiel »Death Stranding« aufgenommen wurde, war ich abermals überrascht, diesmal aber durchaus positiv: Gitarrist Lee Malia hatte mal wieder etwas zu tun, es gab einen Breakdown, dazu sehr stimmungsvolle elektro-pop-hiphop-mäßige Strophen. Es schien wie eine Akkumulation aus allen Sounds, die BMTH in all den Jahren angesammelt haben. Die Band kündigte an, einen Zyklus aus vier EPs herauszubringen, die alle anders klingen würden und bei dem »Post Human: Survival Horror« den Anfang machen sollte. Und was für einen Anfang diese EP machte.

Das Cover zur 2020er EP »Post Human: Survival Horror«: Sieht nach Hippie aus, ist es aber nicht. © Wikimetal

Das Überthema auf diesem Release ist eindeutig die derzeitige Corona-Pandemie, die Isolation dadurch und die mentalen Schwierigkeiten, die diese mitsichbringt. Okay, dachte ich mir, »Ludens« sowie die ebenfalls vom gleichnamigen Survival-Horror-Videospiel für die PS1 inspirierte Singleauskopplung »Parasite Eve« klangen interessant und ich habe diese durchaus genossen. Also mal sehen, was Oli Sykes und co. jetzt zu bieten haben. Die ebenso davor erschienene Single »Obey« mit Yungblud, den ich nicht besonders mag, war auch okay. Wie dem auch sei: Dann lief also »Dear Diary,« an und … Grundgütiger, was für ein Brett! Ich hatte längst abgeschrieben, dass die Band jemals wieder etwas annähernd so Schepperndes machen würde, doch da zeigt sich abermals die Qualität der Fünf. »Dear Diary,« geht fast von Anfang an direkt auf die Zwölf, Oli Sykes haut High-Pitched-Screams raus, Lee Malia baut ein an »Pray For Plagues« erinnerndes Thrash-Metal-Solo ein, was man* ewig schon nicht mehr gehört hat und Matt Nicholls prügelt auf sein Drumset ein wie ein Besessener. Selbst Bassist Matt Kean hat in dem nicht einmal dreiminütigen Song eine Stelle, in der das Spotlight auf ihn gerichtet ist. Der Rest der Lieder ist wie eine Achterbahnfahrt, in der jede Sekunde Spaß macht: »Teardrops« avancierte innerhalb weniger Tage zu meinem wohl meistgehörten Song des Jahres, »1×1« zusammen mit den Nova Twins ist knapp dahinter und schlägt in eine leicht poppigere Richtung, wobei diese Kombination einfach perfekt funktioniert. Doch die absolute Spitze auf der Krone ist »Kingslayer«, das die japanische Band Babymetal featured und einfach das absolute Chaos darstellt. Die Gitarrenwände hierbei sind dicker als die Berliner Mauer, Oli Sykes growlt wie ein Dämon und die süßen, hohen Stimmen von Babymetal ergänzen dieses Schauspiel, in dem man* sich keine Minute von diesem Angriff in Audioform erholen kann. So muss moderner Metal im Jahre 2020 klingen. Alle Songs verbinden zusätzlich noch starke Anleihen an Linkin Park, was wohl als Tribut an den 2017 verstorbenen Leadsänger Chester Bennington dienen soll und den Kreis perfekt schließt: Genauso wie Linkin Park verändern auch Bring Me The Horizon ihren Sound mit jedem Album, wohlwissend von dem Risiko, dass es einige alteingesessene Fans verprellen könnte. Doch das ist ihnen egal, denn mittlerweile kann die Sheffielder Band alles machen, was sie will – es vergrößert trotzdem oder gerade deswegen ihre Reichweite und wird so oder so phänomenal.

Hier noch ein paar Musikbeispiele:

Beitragsbild: © NME

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