Politische Bildung an der Uni Regensburg – Talkrunde über Migration

Politische Bildung an der Uni Regensburg – Talkrunde über Migration

Mehrere Jahre hatten die Verhandlungen der EU über Reformen in ihrer Asylpolitik gedauert, bis sie am 14. Mai 2024 mit dem neuen Asylpaket zu einem Ergebnis kommen. Eine Woche später, am 22. Mai 2024, lädt der Regensburger Studierendenverein Junges Europa zu einer Podiumsdiskussion mit dem Titel „Migration als Zerreißprobe für Europa“ ein, bei der Experten und Politiker vor allem über das neue Migrations- und Asylpaket der EU debattieren.

Von Anna Müller

Wie wollen wir mit Migration umgehen und welche Rolle spielt die EU und ihre reformierte Asylpolitik dabei? Diesen Fragen ging vergangenen Mittwoch Sebastian Casañas, Student der Politik- und Medienwissenschaft und Mitglied bei Junges Europa e. V., auf der Bühne des H24 im Vielberth-Gebäude der Uni Regensburg vor einem aufmerksamen Publikum nach.

Antworten darauf oder Gedanken dazu lieferten ihm Michael Buschheuer, Gründer der gemeinnützigen Organisationen Sea-Eye und Space-Eye, mit denen er sich für die Seenotrettung im Mittelmeer einsetzt und Menschen auf der Flucht unterstützt, sowie Frau Gertrud Maltz-Schwarzfischer, SPD-Oberbürgermeisterin der Stadt Regensburg und Oberste Chefin des Amtes für Integration und Migration in Regensburg. Außerdem teilte Prof. Dr. Ulf Brunnbauer, der als wissenschaftlicher Direktor des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung und Inhaber des Lehrstuhls Geschichte Südost- und Osteuropas an der Universität Regensburg Schwerpunkte seiner Arbeit auf Migrationsgeschichte, Nationsbildung und muslimische Minderheiten setzt, sein Wissen. Den vierten Stuhl des Podiums nahm Martin Schöffel ein, er ist seit 2008 als CSU-Politiker Mitglied des Bayerischen Landtags und bekleidet seit 2023 das Amt des Staatssekretärs im Bayerischen Staatsministerium der Finanzen und für Heimat.

Migration sei keine „Zerreißprobe“, sondern völlig normal

Den Einstieg ins Thema übernahem Prof. Dr. Brunnbauer mit dem Hinweis auf die Aktualität der Diskussion angesichts des Beschlusses des Migrations- und Asylpakets der EU eine Woche vor der Veranstaltung. Im selben Atemzug machte er auf den trügerischen Titel der Veranstaltung aufmerksam, schließlich sei Migration etwas völlig Normales, das passiere, wenn Menschen ihren Wohnsitz verlegen, um ihre Lebenssituation zu verbessern. Eine „Zerreißprobe“ entstünde erst durch die politische Problematisierung der Migration. Anschließend fasste er die Kernintentionen des EU-Pakets zusammen: die Reduktion der irregulären Migration durch ein obligatorisches Screening an den Außengrenzen, währenddessen Geflüchtete unter haftähnlichen Bedingungen unterkommen und bei dem innerhalb von sieben Tagen festgestellt werden soll, wie die Chancen der Migrierenden auf ein gelingendes Asylverfahren stehen, die Idee der stärkeren Solidarität im Sinne von Unterstützung der Mitgliedstaaten mit Außengrenze sowie eine generelle Vereinheitlichung der Asylstandards innerhalb der EU.

Pakt als wichtiger Schritt in der Einigung Europas

Alle Podiumsgäste waren sich einig: Die Vereinheitlichung der Asylregeln innerhalb der EU sei ein wichtiger Schritt auf dem Weg hin zu einem geordneten Umgang mit Asylsuchenden. Auch wenn Buschheuer als Privatmann und Seenotretter das Paket grundsätzlich chancenorientierter und weniger „populistisch behaftet“ formulieren würde, befürworte er als „brennender Europäer“, und das sei die wichtigere Stimme, die lang ersehnte Einigung. SPD-Frau und Regensburger Oberbürgermeisterin Maltz-Schwarzfischer betonte ebenso die Wichtigkeit der Einigung, kritisierte jedoch die gefängnisähnlichen Einrichtungen an den Außengrenzen. Diesen Kompromiss gehe man zwar – eben für die Vereinheitlichung – ein, jedoch stelle er im Hinblick auf Würde und Menschlichkeit eine Schwierigkeit dar.

CSU-Politiker Schöffel sehe die Chance des Pakts auch darin, irregulär Migrierende – dabei verwies auf jene, die in Deutschland das Kalifat forderten oder auf andere Weise gefährden oder betrügen würden – nicht einreisen zu lassen und im Zuge dessen mit zu verhindern, dass in Deutschland jene Kräfte stärker werden, die die Europäische Union schwächen oder gar aus ihr austreten wollten.

Populismus fehl am Platz

Migration sei nur ein kleiner Teil der Politik, so Buschheuer. Allerdings sei die Thematik gerade der Teil, auf dem die „Zerreißprobe“ des deutschen und europäischen Populismus ausgetragen werde. Prof. Dr. Brunnbauer forderte, die Diskussion im großen Kontext zu führen. Damit meine er, eine Balance zwischen Sicherheitsbedürfnis, Management und humanitären Aspekten zu finden. Es würden sich ihm „die Haare aufstellen“ bei einer undifferenzierten Betrachtung und Formulierung, dass Zuwanderung das Ende der europäischen Werte bedeuten würde. Die wahre Bedrohung der Demokratie würde nicht durch Migranten nach Europa kommen, viel mehr sitze sie in Bundestag und Landtag – darauf solle man sich fokussieren. Das Publikum zeigte seine Zustimmung durch lauten Beifall. Daraufhin richtete sich Seenotretter Buschheuer an CSU-Mann Schöffel: Es missfalle ihm, wenn Migration mit Islamismus und Terrorismus n einen Topf geworfen würde, das empfinde er als blanken Populismus und eben der sei gerade jetzt fehl am Platz.

Schöffel verteidigte seine eigene Darstellung als sachliche Formulierung. Er betonte, dass man Asyl und Migration nicht verwechseln dürfe. Asyl bekämen all jene Menschen, die aus festgelegten Gründen wie etwa Krieg oder Verfolgung flüchten. Migration jedoch, also Auswanderung aufgrund dem bloßen Wunsch nach Verbesserung, hänge nun einmal von der Wirtschaft des Ziellandes ab. „Verfolgten zu helfen steht völlig außer Zweifel“, so Schöffel. Für ihn stehe fest: „Der größte Feind Europas ist die AfD – eine Partei, die dem Dritten Reich nachhängt und im Bundestag sitzt. Und die soll schwächer werden.“ Trotzdem existiere die Angst vor zu vielen Fremden, dieses Gefühl sei nicht gleich Populismus, sondern müsse ernst genommen werden. Oberbürgermeisterin Maltz-Schwarzfischer widersprach: „Gefühle dürfen uns da nicht leiten.“ Stattdessen brauche man Regeln und Gesetze.

Seenotrettung – Anreiz für Schlepper oder Wahrnehmung von Humanität?

Ein weiteres Wortgefecht trugen Schöffel und Buschheuer in der Frage nach der Rolle der Seenotrettung aus. Die CSU vertrete beim Wahl-O-Mat für die kommende Europawahl die These, dass „[d]ie Wiederaufnahme der staatlichen Seenotrettung das falsche Signal setzen“ würde, denn „[j]e mehr Schiffe im Mittelmeer zur Rettung unterwegs sind desto mehr Menschen machen sich mit seeuntauglichen Booten auf den gefährlichen Weg und bringen sich in Lebensgefahr.“ Schöffel sei überzeugt davon, dass gefährliche Schifffahrten und damit unzählige Tote nur durch militärische Kontrolle des Seegebiets verhindert werden könnten.  Von NGOs angebotene „Fährlinien“ seien kontraproduktiv. Buschheuer unterbrach die Ausführungen mit der Bitte, den Begriff „Fährlinien“ zurückzunehmen – es seien Rettungsfahrten, keine Transportlinien. Schöffel attestierte dem Gründer von Sea-Eye Empfindlichkeit. Der wiederum warf dem Staatssekretär vor, wenig Ahnung von der hochkomplexen Thematik zu haben. In der Vergangenheit habe sich beispielsweise an der tunesischen Küste gezeigt, dass das Militär den Schleuserbetrieb eben nicht zur Strecke bringen könne. „Schlepper arbeiten mit Erpressung: Rettet die Geflüchteten oder sie saufen ab.“ Ja, Schlepper seien Schwerverbrecher und Mörder, aber die Geiseln ertrinken zu lassen helfe eben auch nicht weiter. Schöffels Argument sei unterkomplex, schlicht falsch.

Also fragte Schöffel nach einem Vorschlag, das Schleusergeschäft zu unterbinden. Buschheuer selbst habe keinen ernsten Lösungsansatz. Ihm sei jedoch wichtig, die Problematik nicht zu vereinfachen und unter keinen Umständen die Humanität zu vernachlässigen.

„Fähig und resilient“ – Visionen von der Migration in den nächsten Jahrzehnten

Zum Abschluss der Diskussionsrunde wollte der Moderator wissen, welche Zukunftsvisionen die Anwesenden von der Migration in Europa in den nächsten Jahrzehnten hätten. Die Oberbürgermeisterin wünsche sich klare Regeln für den Weg der Geflüchteten und eine breitere Aufstellung der Einwanderungsgesetze. Außerdem hoffe sie, dass „grauenhafte Lager“ in nordafrikanischen Staaten, in denen Menschen auf der Flucht untergebracht würden, zum Stillstand kämen. Buschheuer möchte, dass sich die Diskussion über Migration versachliche und chancenorientiert, auf keinen Fall von Populismus behaftet, geführt werde. Darüber hinaus sollte Deutschland seine Erfolge feiern, die es im bisherigen Umgang mit Geflüchteten, beispielsweise Ukrainern, erzielt hätte. Prof. Dr. Brunnbauer erbitte sich, diese Diskussion in 20 Jahren nicht mehr führen zu müssen, weil Migration dann schon reguliert stattfinde. Dadurch, so seine Vorstellung, werde sich die Gesellschaft bewusst, wie fähig und resilient sie sei, und könne „viel entspannter an die Sache herangehen“. Schöffel hoffe auf die Aufrechterhaltung des derzeitigen Asylsystems, das Schutzsuchenden Aufnahme gewähre. Die Unterstützung von Asylbewerbern solle nicht als Alimentation sondern vielmehr als Aufgabe und Chance angesehen werden. Des Weiteren wünsche sich der CSU-Politiker eine bessere Entwicklung des Kontinents Afrika, sodass Milliarden von Menschen ohne Perspektive endlich hoffnungsvoll in die Zukunft blicken könnten.

Im Anschluss hatte das Publikum die Möglichkeit, den Podiumsgästen Fragen zu stellen. So ergaben sich weitere kurze Diskussionen, etwa über Großbritanniens Asylvertrag mit Ruanda, über das Dublin-Verfahren, sowie über Ideen, den Diskurs zu deeskalieren und zu rationalisieren. Der Studierendenverein Junges Europa bedankte sich bei den Gästen, bei der Moderation und allein Mitgliedern des Vereins für ihre Bemühungen sowie bei den zahlreichen Zuschauenden für ihr Interesse. Auch im nächsten Semester werden sie den politischen Diskurs auf die Bühne der Hochschule bringen und Anstoß geben, sich mit einer Thematik auseinanderzusetzen und verschiedenen Standpunkten Gehör zu schenken.

Beitragsbild: Anna Müller

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