»Mosaik«

»Mosaik«

Der Spiegel schien bereits zu zerbrechen, noch bevor die Käsereibe ihn getroffen hatte. Vielleicht war er schon immer zerbrochen gewesen. Wer konnte das schon wissen? Als die Käsereibe ihn ein weiteres mal traf, löste sich einer der oberen Haken und der Rahmen riss all sein Glas mit sich zu Boden.

Von Jule Schweitzer

Der Spiegel schien bereits zu zerbrechen, noch bevor die Käsereibe ihn getroffen hatte. Vielleicht war er schon immer zerbrochen gewesen. Wer konnte das schon wissen? Als die Käsereibe ihn ein weiteres mal traf, löste sich einer der oberen Haken und der Rahmen riss all sein Glas mit sich zu Boden. Unzählige Splitter trafen auf dem Boden auf. Die Glassplitter knirschten, als sie in Hausschuhen darüber lief, um die Käsereibe aufzuheben.

»Jetzt lass doch endlich mal das blöde Ding liegen!«, sagte er. Sie antwortete nicht, sondern setzte sich an den Tisch und fuhr damit fort, ihren Parmesan zu reiben.

»Hörst du mir überhaupt zu?«

»Immer«

»Warum antwortest du dann nicht?«

»Weil mir meistens nicht danach ist.«

»Ist das jetzt also dein Weg mit mir umzugehen?«, fragte er leise. Leise, aber provokant.

»Wenn’s anders nicht funktioniert.«

»Aber ich wollte doch nur, dass du über das nachdenkst. Über mich und deine Liebe.«

»Wenn du da ein paar Worte änderst, könntest du auch sagen, dass du willst, dass ich über dich und meine Beile nachdenke.«

»Hä?«

»Ich mein ja nur.«

»Du meinst ja nur was?«

»Ich mein ja nur, dass das, jetzt ziemlich relativ ist.«

»Aber ich hab‘ dir doch ganz genau gesagt, dass ich will, dass du über Liebe nachdenkst.«

»Und ich hab dir ganz genau gesagt, dass du genauso gut hättest sagen können, ich soll über Beile nachdenken.«

Sie sah sich im Raum um. Ihr Blick blieb auf dem Berg aus Parmesan auf ihrem Teller hängen und dann auf dem Berg aus Spiegel-Splittern auf dem Boden. Ihr Hals schmerzte.

»Wieso kannst du dich denn nicht ein einziges Mal vernünftig ausdrücken?«
»Wieso kannst du mich denn nicht ein einziges Mal machen lassen?«

»Weil dann alles schief geht.«

»Genauso relativ.«

»Was soll denn das jetzt heißen?«

»Das heißt du gehst mir auf die Nerven.«
Sie stand auf, stellte ihren Teller Parmesan in den Kühlschrank und suchte nach einem Handbesen. Als sie Besen und Schaufel schließlich gefunden hatte, ließ sie beides stehen. Heute nicht. Heute ließ sie ihn nicht gewinnen. Im Schneidersitz ließ sie sich auf dem Boden nieder und begann, die Einzelteile des Spiegels aufzusammeln und zu einem glitzernden Mosaik in den Rahmen zu kleben. Sie verlor jegliches Gefühl führ Zeit und Raum.

Drei Mal schnitt sie sich den Mittelfinger an einer Scherbe auf, doch das Blut perlte einfach vom Spiegel ab und trocknete auf dem Boden zu kleinen Flecken. Wenn sie die Augen zukniff, sahen die Flecken aus wie Rotwein.

Und sie sang. Sie sang so laut, dass sie ihn nicht mehr hörte, wie er sich über verschwendete Zeit beschwerte. Sie war so konzentriert, dass sie nicht wahrnahm, wie er mit Schaufel und Besen vor ihrer Nase herumwedelte. Sie ignorierte die Schmerzen, die sie verspürte, wenn er sie anschrie.

Sie fühlte sich so leicht wie noch nie, als sie den reparierten Spiegel wieder an seinen ursprünglichen Platz zurück hängte. Sie sah sich selbst zu tausenden in den kleinen Partikeln. Er war immer noch da, aber sie konnte ihn nicht sehen, die Teilchen waren zu klein.

»Das macht keinen Sinn«, sagte er.

»Stimmt«, antwortete sie, »aber schau‘ doch mal. Ich bin viel! Und gleichzeitig klein und groß!«

»Ich seh’s nicht«, sagte er, irgendwo weit weg.
»Ich weiß«, antwortete sie und lachte.

Bildquelle: Paul Suttner

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