»Schlummertaste«

»Schlummertaste«

Es gäbe so vieles zu tun: Für den Klimaschutz. Für die Uni. Oder anders gesagt: Gegen das Aufschieben und Um-Den-Heißen-Brei-Herumreden – Doch ich bin wie gelähmt und drücke wieder und wieder auf die Schlummertaste. Warum stehe ich nicht auf, sondern harre aus? 

von Franziska Leibl

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Es ist zu früh. Viel zu früh. Völlig neben mir »liegend« suche ich mit meiner blinden Hand das Handy, damit das lärmende Klimpern – das mich an mein übermotiviertes Vorhaben, früher aufstehen zu wollen, erinnert – endlich aufhört. Als meine patschenden Fingerspitzen den Bildschirm finden und so lange darauf herumdrücken, bis sich das Schlummertier zufriedengibt und sein Hunger für einen kurzen Moment gestillt ist, wird klar:

Willkommen, täglich grüßt das Schlummertier!

Wütend über mich selbst vergrabe ich mein Gesicht im Kissen. Denn durch meinen Fingertipp auf die Schlummertaste habe ich das Schlummertier, das mich jeden Morgen lechzend begrüßt und schnatternd einen Happen von meinem metaphorischen Wurm verlangt, geweckt und gefüttert. Das Schlimmste daran: Damit habe ich offiziell auch den Teufelskreis, das Rennen um die Zeit, eröffnet, weil sich – Spoileralarm – das »Snoozen« so lange wiederholt, bis am Ende für den frühen Vogel nichts mehr vom Wurm übrig bleibt. Eigentlich liebe ich ja die Vorstellung eines entspannten Morgens, an dem ich (gefühlsmäßig) die erste wieder aufwachende Person im Studierendenwohnheim bin. Und so habe ich seit Beginn meiner Studienzeit eine durchdachte Routine in meiner Traumwelt entwickelt: Entspannt zu duschen, bei jazziger Musik den Kaffee aufzubrühen, das Müsli zu essen, im Sonnenaufgang ein paar Gedanken zu notieren, … 

Klingt nach einem schönen Plan, oder? Dachte ich auch. Zumindest noch am Vorabend, als ich die zehn Wecker samt Snooze-Funktion eingestellt hatte, um pünktlich aus dem Bett zu kommen und…

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»Ist ja gut!« Mit jedem Mal klingt diese Melodie vorwurfsvoller und eindringlicher. Langsam wird das Schlummertier wirklich unverschämt. Ich traue mich gar nicht auf die Uhr zu schauen. Vermutlich ist von meinem Wurm – also dem Zeitpuffer, in dem ich produktiv hätte sein wollen – ohnehin kaum mehr etwas vorhanden, daher nehme ich mein schlummerndes iPhone zur Hand. Und »boom!«: Da stehen sie schon in ihren Startlöchern, die ganzen Nachrichten und Mails, die durch ihr Aufploppen nach meiner Aufmerksamkeit schreien. Hastig wische ich sie weg und wechsle zur Nachrichten-App. Ich überfliege die Schlagzeilen, doch schließe die App bereits nach einigen Minuten wieder mit einem dicken Kloß im Hals. 

Es gäbe eigentlich so vieles zu tun: Für den Klimaschutz. Für Frieden. Für mehr Gerechtigkeit. Für mehr Menschlichkeit. Für die Uni. Für meine Freund:innen und Familie. Für meine Gesundheit. Oder anders gesagt: Gegen das Aufschieben und Um-Den-Heißen-Brei-Herumreden – Doch ich bin wie gelähmt und kann nicht aufstehen. Warum harre ich aus? Was lähmt mein Handeln?

Was mich etwas tröstet und im nächsten Moment dann doch noch mehr beunruhigt: Offenbar scheint es vielen Menschen, auch in der Politik, ähnlich zu ergehen: dass Dinge bis fünf vor zwölf aufgeschoben und ignoriert werden; manchmal gar, bis es völlig zu spät ist. Mir wird bewusst, dass das Schlummertier nicht nur in unseren Weckern schlummert, sondern auch tief in unserem Inneren. Es schreit nach unserem Bedürfnis, sofort handeln zu wollen und verleibt es sich ein. Es frisst unsere Sorglosigkeit, etwas falsch zu machen oder nichts ausrichten zu können. Es füttert uns mit Perfektionismus und Trägheit und gaukelt uns im Gegenzug eine heile, sorglose Welt vor, in der wir noch genügend Zeit haben, um uns von den unangenehmen To-Do’s abzulenken: »Morgen ist ja auch noch ein Tag!«, sagen wir uns dann oft. Aber mit welchem Recht nimmt sich der moderne Mensch eigentlich diese Sicherheit?

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Das klingt dieses Mal wie eine Warnung. Das Schlummertier scheint wohl genau zu wissen, dass wir uns ohnehin immer um uns selbst und unsere kleine Welt drehen und sich unsere Prokrastination stets wiederholt. Es lebt ja davon.

Da ich ohnehin gerade in meinem Morgenmuffel-Gedankenfluss schwimme, schenke ich ihm also nochmal ein Stück meines eingeplanten Frühaufsteh-Zeitkontingents. Ich atme tief durch, während ich mich wieder auf meinen Rücken zurückdrehe. Die langweilige weiße Decke, die ich anstarre, wird plötzlich vor meinem geistigen Auge durch persönliche Sorgen belebt. Und da wären ja auch noch meine Pläne, wie: endlich wieder etwas mit langjährigen Freund:innen auszumachen oder mehr für die Uni tun zu wollen. Letztlich fällt mein Blick aber auf die türkisfarbigen Krücken, die am Stuhl neben meinem Bett lehnen und in dieser Woche zu meinen treuesten Begleiterinnen geworden sind. Auch das könnte ich mir eigentlich vornehmen: Meine Verletzung auskurieren.

Doch dafür müsste ich etwas Unangenehmes tun: Entscheidungen treffen, mich auf einzelne Aufgaben konzentrieren und einhergehend manchen alternativen Handlungsoptionen absagen und auf sie verzichten. Ja, letztlich müsste ich auch damit leben müssen, wenn ich etwas falsch oder umsonst mache, etwas verpasse und am Ende unzufrieden mit meinem Tun und meinen getroffenen Entscheidungen zurückbleibe. Andererseits: »Wer nichts wagt, der nicht gewinnt?« Naja.

Ich drehe mich auf den Bauch und schaue aus dem Fenster: Bunt gefärbte Bäume und ein goldenes Licht, das den Nebel noch magischer erscheinen lässt, lassen meine zugekniffenen Augen groß werden. Da muss ich lächeln. Morgenstund‘ hat wahrlich Gold im Mund… Doch vor allen Dingen hat Morgenstund‘ einen trockenen Geschmack im Mund. Während ich also endlich aufstehe, um zu einem Glas Wasser in die Küche zu humpeln, sehe ich: Ich habe den Sonnenaufgang erneut verpasst. So ein Mist. »Dann eben morgen!« Plötzlich meldet sich das Schlummertier erneut zu Wort: 

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Dieses Mal klingt es wie ein schelmisches Lachen, denn wir wissen ja beide, wer den morgigen Kampf um den Wurm gewinnen wird. Dennoch: »Man sollte den Tag nicht vor dem Abend schlechtreden«– oder so ähnlich.

Beitragsbild: akirEvarga I pixabay

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