Die Berufe der Vögel

Die Berufe der Vögel

Welche Berufe üben eigentlich Zugvögel aus? Und wie sehen sie eine Stadt wie Regensburg als Unistadt? In der heutigen Krea:tief-Kolumne macht sich Redakteurin @yvonnemikschl in ihrer Kurzgeschichte Gedanken über studierende Vögel und beweist: Nicht nur Menschen studieren, sondern auch Enten, Spatzen, Elstern und Raben.

von Yvonne Mikschl

Ich spazierte eines Abends über den Campus der lokalen Universität in der Stadt, in der ich seit zwei Jahren lebte. Ein warmer, doch windiger Frühlingstag ging grad zu Ende und ich überlegte, was ich noch in dieser Woche zu tun hätte. Der Campus war fast leer, die neue Vorlesungszeit stand erst in ein paar Wochen bevor, nur wenige saßen in den Lesesälen der Bibliothek. Ein ruhiger Abend für einen Campus, über den in Hochzeiten normalerweise Tausende von Studierenden am Tag liefen – oder anders formuliert: Die Ruhe vor dem Sturm. Jedoch bemerkte ich etwas, woran ich den Frühling und herannahenden Sommer sicher wusste: Die Zugvögel waren wieder zurück und beherrschten die Bäume. Sie sangen ihr Lied und einige hielten sich sogar an den Bäumen bei den Sitzgelegenheiten auf. Unterschiedlichste Größen, unterschiedlicher könnten sie nicht sein. Und während ich weiter Richtung Innenstadt lief, fragte ich mich, was Singvögel an einen Campus trieb – daraus entstanden die folgenden Passagen.

Rabe Matthias auf dem Weg zur Studentenkanzlei

Matthias hatte an diesem Abend Spätschicht. Die Bar hatte ihn bis in die Morgenstunden wachgehalten. Dabei freute er sich auf diesen Dienstagabend besonders. Endlich hatte er die Zulassung für seine Weiterbildung an der Uni bekommen. Sieben lange Jahre hatte er sich in der Gastronomie durchschlagen müssen, die Fliegerei von seiner Heimat im Osten der Stadt bis zu seiner Bar im Südwesten des Landkreises kam ja noch jeden Tag hinzu. Jetzt konnte er das endlich hinter sich lassen und seinen Bachelor of Science in Neurowissenschaft machen. Also ab zur Studentenkanzlei und die letzten Unterlagen abgeben, die noch fehlten, bevor er endlich im Juli anfangen konnte. Er hätte den Umschlag auch per Brieftaube schicken können, aber seinen Personalausweis wollte Matthias persönlich vorzeigen. Lisa, seine Freundin, hatte ihm noch gesagt, dass die Studentenkanzlei um diese Zeit schon geschlossen hatte. Und sie sollte Recht behalten. So ärgerte er sich etwas, musste er halt am nächsten Tag am Vormittag vorbeikommen. Matthias beschloss aber, vor dem Heimflug noch ein wenig die Ruhe zu genießen, die der Campus zu bieten hatte – Lisa konnte ja mit dem Abendessen noch etwas warten.

Die philosophischen Elstern Stefan und Elsa

Stefan hatte nur Stress. Seine Freundin hatte ihn verlassen, die Arbeit im Veranstaltungssektor war nervig und als ob das nicht schon genug wäre, war er auch noch durch eine Prüfung durchgefallen. Ein Glück hatte er mit Sabine eine Elster an seiner Seite, die ihn verstehen konnte. Während sie sich auf das neue Semester freute und am Unicampus nach Katzen zum Nerven Ausschau hielt, saß Stefan in der Universitätsbibliothek und wälzte den Philosophiesektor. Manchmal fragten sich beide, warum sie sich das Studium angetan haben. Je näher ihr Abschlusssemester kam, umso größer war die Angst der beiden Elstern, keinen Job zu finden. Und als Lehrer:in in einer Schule anzufangen, war nicht unbedingt ihr Traum, vor allem ohne Lehramtsstudium. Nach einigen Stunden kam Stefan endlich aus der Bibliothek geflogen und setzte sich zu Sabine ins Gras. »Lernsession beendet?«, fragte sie. »Jo, für heute schon. Aber ich bin noch lange nicht durch.« »Wie wäre es, wenn wir den Abend bei einem schönen Gläschen Prosecco am Fluss ausklingen lassen?«, schlug Sabine nach kurzem Schweigen vor. Stefan gab ihr einen freundschaftlichen Kuss auf die Stirn. »Sabine, du bist die Beste.« Sie lächelte und beide flogen Hand in Hand los.

Ente Sabine lernt im Uni-Teich

»Es gibt nichts Besseres, als im Schatten seine Bücher zu lesen, wenn man eh sich‘s aussuchen darf, wo man lernt. Also warum soll ich dann in die Innenstadt, wenn ich hier am Campus doch alles habe?« Das war Sabines Motto, seitdem sie an der Technischen Hochschule (TH), nicht weit von der Universität entfernt, mit dem Studium angefangen hatte. Und das wussten mittlerweile alle Stockenten, die das Weibchen kannten, zu gut. So ergab sich besonders im Sommer folgendes Bild: Während die Erpel auf Brautschau im Fluss in der Innenstadt waren, wollte Sabine nichts davon wissen und drehte ihre Runden im Teich der TH. Manchmal war ihr ihr eigener Rücken zum Büchertransport zu schwer, aber das machte nichts: Der Teich lag nah an der Bibliothek, da kann man sich ja Schließfächer holen.

An diesem Abend genoss sie die Ruhe am Campus besonders, nur diese Studentin am Ufer schien sie zu beobachten. Sabine verdrehte nur kurz die Augen und vertiefte sich in ihr Buch, das sie bald im Kurs brauchen würde. Den Leitfaden »Straßen, Plätze, Wege, Öffentliche Verkehrs- und Grünanlagen sowie Spielplätze« für Architekt*innen gab es zwar auch als elektronisches Buch, aber Enten waren nur ungern an den PCs gesehen. Und mit ihren 27 Jahren galt Sabine unter Stockenten auch nicht mehr als die Jüngste. Aber sie hatte einen Traum: Ein Haus mit ihrem besten Freund, den Biber Ben, zu bauen, das sie selbst geplant hatte. Bislang – sie war im dritten Semester – schien dieser Plan zu funktionieren. Irgendwann legte sie das Buch auf ihren Rücken, setzte ihre Lesebrille ab, schwamm ins Schilf am Ufer und legte sich auf ihre Sonnenliege. Und sie sang im Gedanken ihr Lieblingslied: »What a wonderful world…«

Spatz Tobi und die Wurstküche

Tobi pfiff gemütlich vor sich hin. Er genoss den Blick auf den Fluss in der Innenstadt. Von der Baumkrone, in der er sein Zuhause hatte, hatte er die halbe Vegetation um den Fluss im Blick. Tobi wich, wie vieler seiner Spatzenkollegen auch, von dem typischen Regelstudenten ab. Als alleinerziehender Vater – seine Frau kam bei einem Jagdunfall ums Leben – studierte er im Fernstudium an einer großen Fernhochschule Gartenbau. Seine Vorlesungen und Kurse hatte er alle online, da er nicht umziehen wollte. Er beschloss an diesem schönen Tag jedoch, den Kurs sein zu lassen, stattdessen sich ein Skript für ein anderes Seminar anzusehen und sich mit seinen Freunden an einem Badesee in der Nachbarschaft zu verabreden. Doch zuvor knurrte sein Magen. Er legte das Skript weg und überlegte kurz: »Wonach ist mir denn heute: Würmer, Nüsse, Erdnussflips? Oder doch eine saftige Breze?« Dann kam ihm die Idee: »Bratwürste, das wär’s! Ich flieg schnell rüber zur Wurstküche!« Gesagt, getan. Nach fünf Minuten kam er mit einem Stück Bratwurst im Schnabel zurück in sein Nest, wo sein Sohn schon auf ihn wartete. Gemeinsam speisten sie, bevor sich Tobi kurze Zeit später zum Badesee aufmachte.

Beitragsbilder: aufgenommen am 05.05.2023 von Yvonne Mikschl am Campus der Universität Regensburg

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