Transit-Filmfest: Vom faschistischen Stammtisch im Andreasstadel zu Ziegen im Schwarzwald

Transit-Filmfest: Vom faschistischen Stammtisch im Andreasstadel zu Ziegen im Schwarzwald

Schuld, Überraschung, Verletzlichkeit, Ironie, Trauer, Mitgefühl, Freude – die ersten Eindrücke vom Transit-Filmfest hat unsere Redakteurin Laura Kappes am 24. November sammeln dürfen. Sie besuchte für euch die Eröffnung der Kunstausstellung »Stammtisch Papillon« vom Tannhäuser Kreis und am Abend den Film »Wann kommst du meine Wunden küssen« von Hanna Doose. Hochklassig präsentierten beide künstlerischen Werke eine Projektionsfläche mit großem Spielraum zur Identifikation.

von Laura Kappes

Ein Shot Espresso

Beide Veranstaltungen rüttelten mich wach wie ein Espresso, wenn auch auf völlig unterschiedliche Weise. Was zunächst ein euphorisches Hochgefühl und geschärfte Konzentration verursachte, hinterließ einen unangenehmen Nachgeschmack. Nach zu viel Kaffee bleibt bei mir eine rastlose Unruhe, die die wieder aufkommende Müdigkeit ironisch kontrastiert. Es spricht für die Auswahl des Transit-Filmfest Teams, dass ihr Programm all das auslöste. Damit zunächst ein großes Lob an das Team, das hauptsächlich ehrenamtlich an diesem riesigen Projekt arbeitet und hochkarätige deutsche, sowie internationale Filme und Künstler:innen in Regensburg präsentiert. Auf welche Art der Espresso jeweils wirkte, stelle ich nun genauer dar.

Schuldiger Realismus

Begonnen hatte mein Nachmittag am 24. November auf dem Transit-Filmfest mit einem Pressetermin zu der Kunstausstellung »Stammtisch Papillon« von dem Künstler:innen-Kollektiv Tannhäuser Kreis, von Jonas Höschl und Christian Kölbl kuratiert. Vor Besuch der Ausstellung hatte ich auf Instagram gesehen, dass von der Mittelbayrischen Zeitung bereits mächtig Wind um die Ausstellung gemacht wurde. Sie warnte davor, dass möglicherweise Rechtsradikale dort nach Gratisbieren fragen werden. Die Befürchtungen wurden durch Biermarken ausgelöst, die im Vorfeld in einigen Regensburger Cafe´s und Bars auftauchten. Darauf wurde außerdem ein ominöser Telegram-Kanal verlinkt. Das Künstlerkollektiv Tannhäuser Kreis beschränkt damit seine Arbeit nicht auf die Ausstellung, sondern greift aktionskünstlerisch in die Kultur in Regensburg ein. Es geht um Aktion und Reaktion. Christian Kölbl bezeichnete es als »Trigger setzen«. Durch Reproduktion von nationalistischen, verschwörerischen Inhalten, möchten die Künstler:innen der deutschen Gesellschaft einen Spiegel vorhalten. Der Kreis arbeitet dabei bewusst an der Grenze des sagbaren und machbaren. Die Aneignung (neo-)faschistischer Bilder wird von Einigen durchaus kritisch gesehen und spielt mit der Gefahr diese Narrative lediglich zu verbreiten, anstatt sie aufzulösen. Julian Volz, einer der Vordenker der Gruppe, beschreibt es daher in seiner Erklärung zu dem Selbstverständnis der Gruppe so: »Gelingt die künstlerische Bearbeitung und Brechung des Ausgangsstoffes nicht, kann ihre Arbeit leicht eine Affirmation der nationalistischen bis faschistischen Ästhetik umkippen. Das Risiko gehen sie bei ihrem Spiel mit der Ambivalenz bewusst ein, sie machen sich dabei schuldig. Ich will daher den Begriff des Schuldigen Realismus für diese Form der Kunstproduktion vorschlagen.«

Stammtisch Papillon kuratiert von Jonas Hoeschl & Christian Kölbl (Foto: Christian Kölbl)

»Stammtisch Papillon« zwischen Deutsch-Sein und 3D-Drucker

Die Ausstellung selbst präsentiert sich als Stuhlkreis alter Holzstühle. Die Stammtisch-Atmosphäre wird durch gedimmtes Licht, abgeklebte Fenster und offene Biere verstärkt. Auf dreizehn der Stühle ist jeweils die Arbeit einer Künstlerin/eines Künstlers präsentiert. Die Werke reflektieren auf unterschiedlichste Weise deutsche, nationalistische Bilder und Narrative. Es sind zum einen typisch deutsche Symbole wie ein ICE-Kopfkissen oder die deutsche Flagge zu sehen, jedoch immer bearbeitet, aufgebrochen. Aber auch moderne, technische Interpretationen haben ihren Platz. So gibt es beispielsweise eine Virtual-Reality-Brille von Pia vom Ende, durch die Besucher:innen einen irren Prepper-Frosch bei seinen Vorbereitungen beobachten können oder eine 3-D gedruckte Waffe von Christian Kölbl. Ebenfalls interaktiv ist das Werk von Jonas Höschl, eine Dia-Projektion, die mensch selbst weiterschalten kann. Die versteckten und aufrüttelnden Details lassen sich am besten vor Ort in der Ausstellung sehen, die noch bis 14. Dezember zu besuchen ist.

Details der Ausstellung von 3D-Brille zu Essiggurken-Analplug (Foto: Christian Kölbl)

Mich ließ die Kunst nachdenklich, wurde mir doch im persönlichen Gespräch mit den beiden Kuratoren klar, dass die Grenze zwischen »Wir« und »Die Anderen« leicht verschwimmt. Einen der beiden erinnern die Stühle an Wirtshäuser bei seiner nationalistischen Oma auf dem Land. Sein Verhältnis zu der Heimat beschreibt er als »Hassliebe«. Wie viele der (neo-)faschistischen Bilder stecken in jeder:m von uns? Können wir unsere nationale Identität überhaupt vollständig davon abgrenzen? Die Ausstellung warf unter anderem diese Fragen bei mir auf und zeigt damit, wie es gelingen kann einen Spannungsbogen von der Reproduktion nationalistischer Bilder hin zur Selbstreflektion bei Besucher:innen aufzubauen. Ebenfalls zum Nachdenken brachte mich der Film »Wann kommst du meine Wunden küssen«, der im Folgenden kurz besprochen wird.

Frauen-Freundschaft in »Wann kommst du meine Wunden küssen«

Hanna Doose zeigt in ihrer Tragikkomödie die drei Frauen Maria (Bibiana Beglau), Laura (Gina Henkel) und Kathi (Katarina Schröter), zwei davon Schwestern, die einst eng zu dritt befreundet waren. Laura und Kathi leben jetzt mit Laura´s Freund Jan (Alexander Fehling) auf einem Hof mit Ziegen und weiteren Tieren im Schwarzwald. Maria blieb in Berlin. Als die Umstände sie schließlich dazu veranlassen in den Schwarzwald zu fahren, werden die drei Frauen mit ihrer zerbrochenen Freundschaft konfrontiert. Ihre Leben sind auf unterschiedlichste Weise gescheitert, Kathi steht sogar kurz vor dem Tod. Zwischen gegenseitigen Anklagen und Vorwürfen, entstehen immer wieder kleine Momente der Erinnerung an alte Zeiten und ein Besinnen auf die Freundschaft. Der DJ-Freund Jan kämpft mit seiner eigenen Sehnsucht nach Berlin und der Beziehung zu seiner Ex-Freundin Maria. In beeindruckenden Bildern von einem schneebedeckten Schwarzwald spitzt sich die Situation auf dem Aussiedlerhof schließlich immer weiter zu, bis sie schließlich dramatisch endet. Zuschauer:innen werden konfrontiert mit dem Tod, mit Beziehungsproblemen, Drogenkonsum und Erbstreit. Es bleibt auch hier ein mulmiges Gefühl und keine:r dürfte sich wünschen in der Situation der Protagonist:innen zu stecken. Für meinen Geschmack sind alle Lebensgeschichten zusammen etwas sehr tragisch. Von ungewollter Schwangerschaft, über Suizid bis hin zum Kampf mit Krebs, wird nichts ausgelassen. Trotzdem sind alle Personen für sich sehr überzeugend gespielt und die Zuschauer:innen fühlen sich nah an den Charakteren dran. Die starken Bilder und die eigens komponierte elektronische Musik von Kangding Ray, einem DJ aus dem Berghain in Berlin, machen den Film besonders.

Erinnerung an alte Zeiten – Maria (Bibiana Beglau) und Kathi (Katarina Schröter) ©Markus Zucker

Nach der Vorstellung gab es noch ein Q&A mit den beiden Produzenten des Films, Martin Schwimmer aus Regensburg und Dominik Utz. Sie berichteten von Komplikationen beim Filmdreh zu Beginn der Corona-Pandemie und ihrem Vertrauen in Hanna Doose, die die beiden mit einem Drehbuch ganz ohne feststehende Dialoge überzeugte. In vielen der Szenen hatten die Schauspieler:innen Freiraum zur Improvisation, was die Gespräche sehr lebendig macht. Der bildgewaltige Film hat sich den Publikumspreis beim Förderpreis Neues Deutsches Kino in Münchenmehr als verdient und ist definitiv sehenswert. Ab 2. Februar 2023 wird »Wann kommst du meine Wunden küssen« dann in deutschen Kinos gezeigt werden. Trotz viel Tragik, eine klare Empfehlung zum Anschauen.

Vom 23. November bis 30. November zeigt das Transit-Filmfest noch weitere hochklassige Filme.

Einzeltickets (9 Euro/7 Euro ermäßigt) sind online unter www.transit-filmfest.de erhältlich, Dauerkarten (45 Euro/35 Euro ermäßigt) im Festivalbüro in der Filmgalerie im Leeren Beutel und an der Universität (Lehrstuhl für Medienwissenschaft, SHK-Zimmer PT 3.0.54).

Die Kunstausstellung des Tannhäuser Kreises ist bis 14. Dezember im Andreasstadel (1. Stock) zu sehen.

Weitere Informationen zum Programm gibt es auf www.transit-filmfest.de.

Beitragsbild: Transit Filmfest ©complexpleasures

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