Warum Karl Lauterbach nicht der Gesundheits-Messias ist

Warum Karl Lauterbach nicht der Gesundheits-Messias ist

Nach fast vier Jahren Jens Spahn (CDU) als Gesundheitsminister kommt es einem Segen gleich: Dr. med. Dr. sc. Karl Wilhelm Lauterbach (SPD) wird als sein Nachfolger vorgestellt. #wirwollenkarl trendete tagelang auf Twitter, als die ersten Vorschläge für Minister:innenposten bekannt wurden und er nicht dabei war. Nun kann sich Lauterbach endlich den Traum vom Gesundheitsministeramt erfüllen – dabei ist der Ex-Fliegenträger in keinster Weise ein Heiland für die Stelle.

von Elias Schäfer

Endlich ein Mann mit Qualifikationen. Endlich jemand, der etwas von seinem Ministerium versteht. Karl Lauterbach wurde vor allem seit Beginn der Corona-Pandemie als großer Mahner und Talkshow-Dauergast bekannt und beliebt. Naja, zumindest bei Nicht-Impfverweigernden. Fast schon verzweifelt appelliert er an die Menschlichkeit während der Pandemie, um nicht noch mehr Menschen durch verfehlte Politik sterben zu lassen. Fast schon prophetisch muten seine Aussagen hinsichtlich Infektionsgeschehen und Gegenmaßnahmen an, die dann auch oftmals wirklich so zutreffen.

Keine Frage: Lauterbach ist in einem seiner Fachbereiche, der Epidemiologie, die er in Harvard studiert hat, äußerst kompetent. Die neuesten Daten herauszulesen und richtig zu interpretieren, als ungefähr einzige in der Politik tätige Person, haben ihn an die Vorfront der medialen Aufmerksamkeit in den letzten zwei Jahren gebracht. Als intelligent wirkender Fisch im großen Teich der Inkompetenz herauszustechen, ist allerdings kein wirkliches Meisterstück. Das Meisterstück Lauterbachs liegt eher darin, durch seine ständige Präsenz und seine ständigen Kommentare zur Corona-Krise die Öffentlichkeit seine ganzen, groben Missgriffe vergessen oder gar nicht erst herausfinden zu lassen.

Neben seiner Tätigkeit als »SPD-Gesundheitsexperte«, Epidemiologe und Mediziner ist der gute Herr Gesundheitsökonom – mit einem Master of Science in Health Policy and Management, natürlich ebenfalls von Harvard. Gesundheitsökonom:innen sind die Leute, die extrem große Lust darauf haben, dass das Gesundheitssystem profitabel wird, ist und bleibt und das ohne große Rücksicht auf Verluste. Menschlich gesehen natürlich.

Obwohl Wirtschaft und Gesundheit sich eigentlich ausschließen sollten, wird mit Krankenhausschließungen, Privatisierungen und nicht zuletzt den unsäglichen Fallpauschalen (die Vergütung von medizinischen Leistungen im Behandlungsfall, gemessen an Erkrankung und Behandlungsdauer) dick Kohle gemacht. Kranke Menschen werden so zur Ware, Krankenhäuser zum Big Business. Und Karl Lauterbach? Der war mittendrin in der ganzen Chose, die diese Perversion in Deutschland überhaupt erst möglich gemacht hat. 

Jeder weiß, dass wir in Deutschland mindestens jede dritte, eigentlich jede zweite, Klinik schließen sollten. Dann hätten wir anderen Kliniken genug Personal, geringere Kosten, bessere Qualität, und nicht so viel Überflüssiges. Länder und Städte blockieren

Karl Lauterbach (@Karl_Lauterbach) auf Twitter, 04. Juni 2019

Seit Mitte der Nullerjahre baut das deutsche Gesundheitswesen immer weiter ab. Ganz vorne dabei: Na klar, der Karl. Zusammen mit der von 2001 bis 2009 amtierenden Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) drehte sich das Gespann wie das typische sozialdemokratische Fähnchen im Wind. Mal für die Pharma-Lobby, mal dagegen, dann wieder dafür – es blieb beim Dafür, denn seit 2001 wurden laut dem Statistischen Bundesamt über 300 Krankenhäuser in Deutschland geschlossen (Stand 2019). Bei der Anzahl der Betten ist der Abbau noch eklatanter zu sehen: 2001 gab es 552.680, 2019 mit 494.326 über 50.000 weniger. Auf der Seite der Privatisierungen, die zwar Krankenhäuser erhalten, diese aber zu schnöden gewinnorientierten Unternehmen umgestalten, denen das Wohlergehen der Menschen egal ist, sieht es für Lauterbach auch ganz nach Plan aus.

Das Ärzteblatt berechnete, dass seit 2005 zehn bis 15 Prozent mehr Krankenhäuser privatisiert wurden, was die gesamte Prozentzahl auf 35 bis 40 Prozent steigen ließ. Seit 2015 soll sogar jede zweite Universitätsklinik in privater Hand ein. Tendenz: weiter steigend. Zusammengefasst heißt das für das Hier und Jetzt: Es gibt zu wenige Krankenhäuser, zu wenige Betten, zu wenige Ärzt:innen und Pflegekräfte, dafür zu viele reiche Manager:innen, was in der derzeitigen Situation fatal ist. Und während Lauterbach die ganze Zeit mahnt und tobt, dass die Politik zu wenig mache, hat er selbst dem Gesundheitssystem mit seinem offensiven Lobbyismus einen Bärendienst erwiesen.

Karl Lauterbach, der Pharma-Lobbyist

Vor seinem Eintritt in die SPD im Jahre 2001 war Lauterbach nicht nur Mitglied der CDU, sondern auch weniger Politiker als wissenschaftlicher Interessensvertreter der Pharmaindustrie. In einem Bericht des Spiegels aus dem Jahr 2004 wird erwähnt, dass der sympathische Mann mit der lustigen Fliege (die er 2020 abgelegt hat, schade) und schrulligen Brille an groß-angelegten Medikamentenstudien beteiligt war, für die er allein im Jahr 2000 über 800.000 Euro an Drittmitteln kassiert hatte. Eigentlich nichts Neues und kein wirkliches Wunder, da sich kaum eine integre Person innerhalb der Politik finden lässt. Diesem Land ist es schließlich auch egal, dass der neue Bundeskanzler direkt für den Tod eines Mannes namens Achidi John im Jahr 2001 durch den Einsatz von Brechmitteln verantwortlich ist.

Auch Lauterbach ist mehr oder minder für Tode und schlimme Verläufe verantwortlich: Das Medikament, das er unter anderem testen ließ, namentlich der Fettsenker Lipobay des Riesenkonzerns Bayer, wurde 2001 vom Markt genommen, da es tödliche Zwischenfälle damit gab. Es häuften sich schon früh Hinweise auf die Gefahr des Mittels – Lauterbach sowie seinen Auftraggebenden war das wohl egal.

Damals noch der Flüsterer aus der zweiten Reihe: Karl Lauterbach (Mitte) mit Ex-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (rechts). © Bernd Settnik/ZB/picture-alliance

Der 58-jährige Westfale spielt sich auch gerade als großer Verfechter der Bürgerversicherung auf; die neue Ampel-Regierung hat schon bestätigt, dass diese nicht kommen wird. Diese hätte eigentlich der medizinischen Zwei-Klassen-Gesellschaft aus gesetzlich und privat entgegenwirken sollen – die Lauterbach mit seinem intensiven Kampf für die Fallpauschale verstärkt hat. 2003 wurde diese von der rot-grünen Regierung eingeführt und damit auch das »Drehtürsystem«: Patient:innen werden schnell entlassen, neue wieder aufgenommen, um so viele »Fälle« wie möglich abzurechnen. Gewisse Erkrankungen bringen mehr Geld, andere wiederum weniger. Es ist klar, welche Betroffenen dabei priorisiert werden. Und wenn nicht »richtig« priorisiert wird, nunja, dann muss die jeweilige Klinik halt als gescheitertes Unternehmen schließen.

Auch wenn Lauterbach nach der personifizierten Inkompetenz namens Jens Spahn zumindest vordergründig der am sinnvollsten scheinende Corona-Gesundheitsminister ist, versagt die Gesundheitspolitik der Ampel schon in den Anfangstagen auf ganzer Linie. Der geplante und dringend benötigte Bonus für Intensivpflegekräfte wird verschoben. Obwohl das Geld da wäre, fällt der beliebteste Grund der Deutschen den Pfleger:innen in den Rücken: Formalitäten. Insgesamt eine Milliarde Euro sollten hierfür lockergemacht werden, 3.000 Euro pro Pflegekraft, versprach Olaf Scholz noch bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags im November.

Für die besonders geforderten Pflegekräfte in den Krankenhäusern und in den Pflegeheimen werden wir eine Bonuszahlung veranlassen.

Olaf Scholz

Tja, Pustekuchen. Die Prämie wird vorerst gestrichen, über ihre praktische Umsetzung soll nochmal 2022 beraten werden. Karl Lauterbach, sonst zu allem eine Meinung habend, schweigt zu der ganzen Sache – soll das aber als eine seiner ersten Amtshandlungen umsetzen. Irgendwann.

Und sonst so?

Damit ist die Geschichte Lauterbachs jedoch immer noch nicht auserzählt. Mit den 800.000 Euro aus dem Jahr 2000 war er offensichtlich noch nicht zufrieden, denn bis heute fallen Unregelmäßigkeiten bei seinen Nebeneinkünften auf. Abgeordnetenwatch beschrieb 2011 noch, wie Lauterbach als Aufsichtsratsmitglied der privaten Rhön-Kliniken seinen Verdienst nicht ganz so offen deklarierte, wie er eigentlich sollte und wie er eigentlich darstellte. Die Informationen über die genaue Höhe sollten sich auf seiner Webseite finden lassen, doch diese verwies nur auf den Geschäftsbericht des Konzerns, der sich nicht ganz so einfach finden ließ. »Diese kleine Hürde [sei für Interessierte, Ergänzung d. Red.] sicher nicht zu hoch«, sagte damals ein Mitarbeiter Lauterbachs auf Nachfrage seitens Abgeordnetenwatch. Ziemlich frech. Und auch zehn Jahre später meldete der ach so bescheidene Gesundheitsexperte knapp 18.000 Euro an Nebeneinkünften aus den Jahren 2018 bis 2020 zu spät. Diesmal druckste er zumindest nicht herum, sondern gestand, dass es ein »Riesenfehler« war, für den er »geradestehe«. Die Höhe der Nebeneinkünfte sollte auch an die UNICEF gespendet werden – Karl Lauterbach, ganz der Philanthrop.

Die Akzeptanz der Flüchtlinge sinkt derzeit stark in der Bevölkerung. Unter diesen Bedingungen ist Integration nur bedingt möglich. Auch das ist Demokratie. Daher hat Andrea Nahles recht. Auch Abschiebung muss korrekt funktionieren.

Karl Lauterbach (@Karl_Lauterbach) auf Twitter, 26. Mai 2018

Nicht ganz so menschenfreundlich war der gute Karl jedoch oftmals bei seinen Abstimmungen im Bundestag. Wie bei Abgeordnetenwatch ganz klar hervorgeht, leistete sich Lauterbach so einige Wahlen, die stutzig machen: Am 14. Mai 2020 stimmte er gegen die Erhöhung des Regelsatzes der Grundsicherung, erst mit der Ampel-Regierung wird diese Idee 2022 umgesetzt. Die »Grundsicherung«, also Hartz-IV, bzw. das euphemistische Bürgergeld, wird sage und schreibe 449 Euro pro Monat betragen – drei Euro mehr als vorher, als Lauterbach noch dagegen stimmte. Am 18. September 2020 stimmte er gegen die Aufnahme von Geflüchteten aus Moria in Deutschland. Am 26. März 2021 stimmte er, durchaus nicht überraschend bei seiner Vorgeschichte, gegen Transparenzregelungen für Abgeordnete. Und am 06. Mai 2021 stimmte Lauterbach, der große Corona-Mahner, der Verfechter der Gesundheit der Menschen während der Pandemie, gegen die Freigabe der Impfstoff-Patente. Die Erklärung für all das: Verpflichtungen gegenüber der Partei, der Koalition. Und wo bleibt die Verpflichtung gegenüber der Menschlichkeit, gegenüber dem eigenen Gewissen? Um doch mal die Lamas mit Hüten zu zitieren: »Aber Kaaaarl, das tötet Menschen.« Solange der Ministerposten gesichert und die mediale Aufmerksamkeit garantiert ist, spielt das wohl keine so große Rolle.

Beitragsbild: © dpa

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