Feminis:muss: Weihnachtweh II

Feminis:muss: Weihnachtweh II

Vor einiger Zeit erschien an dieser Stelle im Rahmen unseres Adventskalenders eine Kurzgeschichte über eine Freundschaft zwischen zwei Frauen, die an einer schmerzhaften Trennung, die eine der beiden durchlebt, zu zerbrechen scheint. Sie trägt den Titel „Weihnachtweh“. Wenn Du diese noch nicht kennst, kannst Du gerne – bevor du hier weiterliest – an dieser Stelle nochmal einen Blick hinein werfen. Irgendwie hat mich das herbstlich graue Nieselwetter zur Zeit wieder öfter an die zwei Freundinnen denken lassen und so ist eine Fortsetzung der Geschichte entstanden. Viel Spaß beim Lesen!

von Anna-Lena Brunner

Und dann? Dann war da Januar und das neue Jahr löste eine Sehnsucht aus. Nach Wechsel und Wandel und frischem Wind auf der Haut. Obwohl sich doch nur eine Zahl von vier geändert hatte. 

Sie versuchte ihn zu vergessen. Wieder ein Klassiker. Wir alle wissen doch, dass sie ihn nicht vergessen wird. Höchstens verdrängen. Bis ihn billiger Netto-Wein wieder an die Oberfläche spült. 

Vorsatz: Vergessen. 

Sie tat, was man* da eben so tut. Verpasste sich selbst einen neuen Haarschnitt, fesch, frech. Aber nicht zu frech. Das ist nicht gut. Sie will ja nicht anecken. Bloß nicht zu sehr auffallen, zu laut sein, zu viel sein. Das war sie ihm ja dann. Zu viel, zu laut, meine ich.

Sie tat weiter, was man* eben so tut. Kaufte sich Eis, das sie vorm Fernseher verschlang. Viel zu süß, eklig gar. Es half ihr kein bisschen und ihr Inneres fühle sich von der schleimigen Masse wie verklebt. Wie ein pappiger Becher Heiße Liebe, der zu lang in der Sonne stand. 

Irgendwann dann rief sie mich an und klang betrunken und verwaschen und traurig. Erschöpft und müde. Leise sprach sie mit Tränen in der Stimme von Veränderung, von Vorsätzen und Vergessen. Bessern werde sie sich, es tue ihr leid, entschuldigen wolle sie sich, obwohl ich nichts davon wollte. 

Dann stand sie vor mir. Auf einmal. Unangekündigt und ihre Augen kündigten verzweifelt von dem, was sie nicht imstande war zu sagen. Dass sie ihn nicht vergessen könnte, nicht wollte und dass sie immer noch trauerte. Um die Anwesenheit. Und um das was sein hätte können, aber nicht war, denn Realität ist eine Übereinanderlagerung von Möglichkeiten, die eintreten oder nicht, das könnten wir doch langsam begreifen, verdammt.

Ich nahm sie in den Arm. Nicht weil ich ihr verzieh. Sondern weil ich die Sehnsucht nach körperlicher Nähe in ihr sah. In mir sah. Klein und leicht fühlte sie sich an in meinen Armen. Ich atmete den Geruch ihrer ungewaschenen Haare ein, die nach Verlorenheit dufteten. Plötzlich schien es, als sei alle Kraft aus ihrem Körper gewichen und ich fing sie auf. Weil das Freundschaft war, oder? 

Langsam führte ich sie hinein in die Wohnung. Wir gingen auf mein Bett zu und schon packte ich sie warm ein in Daunen und Decken, sah aber genau, wie kalt ihr immer noch war. Erschöpfung und Leere schienen die Wärme, für die ich sie so liebte, längst verdrängt zu haben. 

Sie schlief ein. Ist eh einfach, wenn man* sowieso nie mehr so wirklich wach wird, werden will. Einige Minuten saß ich neben ihr auf der Bettkante und betrachtete ihr Gesicht. Die feine Haut, die einst sonnengewärmt und sommersprossengesprenkelt, mittlerweile aber von einer grauen Traurigkeit gezeichnet war. Die scharf geschnittene Nase, die sie immer hasste und die ich liebte, weil sie die Stärke verkörperte, die mir immer zu fehlen schien. Mund, Augenbrauen, kleine Rötungen von zu viel Zigaretten und zu wenig Liebe. Die Haare, eigentlich lang, schokolade. Jetzt stumpf und schlecht geschnitten. Sie war so klein, wie ein Kind fast. Ich strich ihr sanft übers Haar und wusste plötzlich, dass ich ihr sowieso bereits verziehen hatte. Eigentlich nie böse war. Höchstens gekränkt, enttäuscht, traurig, wütend. Eifersüchtig auch, wenn ich ehrlich bin. Vielleicht auf ihn. Weil er mir so viel von ihr nahm. 

Und jetzt? Jetzt kann ich die Scherben einsammeln, die er dagelassen hat. Kann versuchen zu kleben, was zu kleben ist, obwohl doch alle wissen, dass nichts hält und nichts von Dauer ist. Ich versuche es trotzdem und schleiche mich leise aus dem Zimmer. Mache mir eine Tasse Tee, um die Wärme zu spüren, die sie mir früher gab. Jetzt muss ich die Wärme sein. Für sie. Schaffe ich das? Ich muss es versuchen, denn was bleibt, wenn nicht?

Kälte, die uns beide verschlingt und dann ist nichts mehr so, wie es einmal war. Aber ist nicht schon alles anders? 

Beitragsbild: ©Annie Spratt on Unsplash

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