Otello – Loverboy am Limit

Otello – Loverboy am Limit

Wir alle kennen ihn. Das Idealbild des eifersüchtigen (männlichen) Liebhabers. Aufbrausend, besitzergreifend und gewalttätig. Der moderne Inbegriff dieses Beziehungskillers schlechthin mag womöglich der gutaussehende Christian Grey sein – die Hauptfigur des literarischen Erotikphänomens des letzten Jahrzehnts. Dieser hat allerdings in der Geschichte der Geschichten von eifersüchtigen Männern einen Vorgänger, dessen grenzwertig dominantes Verhalten eventuell schon die Zuschauerinnen des 19. Jahrhunderts die Augen bis zur gepuderten Perücke verdrehen ließ. Und genau diesen anstrengenden Boy namens Otello (Deniz Yilmaz) kann man in der gleichnamigen Oper von Giuseppe Verdi (Dichtung von Arrigio Boito) momentan im Theater am Bismarckplatz anschmachten.

von Anna-Lena Brunner

Vor Kurzem habe ich von einer kulturellen Testmethode gelesen, die meine bis dahin für umfangreich gehaltene, feministische Bildung ziemlich infrage gestellt hat. Dabei handelt es sich um den Bechdel-Test der Amerikanerin Alison Bechdel. Der Test besteht aus drei Grundfragen, die dazu dienen sollen herauszufinden, ob Frauen in Spielfilmen unterrepräsentiert sind. Man/frau fragt sich also dann: Gibt es mindestens zwei Frauenrollen? Sprechen sie übereinander? Unterhalten sie sich über etwas anderes als über einen Mann? Sobald eine der Fragen verneint wird, handelt es sich bei dem Film um einen nicht unbedingt frauenfreundlichen, um es vorsichtig auszudrücken.

Du, liebe*r Leser*in fragst dich jetzt bestimmt: »Das ist ja alles schön und gut, aber was hat das bitte mit der Oper Otello zu tun? Kann sie vielleicht einmal zum Punkt kommen?«

Ja, danke für den Hinweis, kann ich. Aber noch nicht jetzt.

Zuerst einmal noch die wichtigen Facts zum Stück. Meine Wenigkeit hat sich freiwillig (!) gemeldet, um sich die dreistündige (!) Oper von Guiseppe Verdi zur Premiere am 18. September 2020 anzutu.. äh anzuschauen. Für die musikalische Leitung war Chin-Chao Lin zuständig, die Oper inszeniert hat Verena Stoiber. Wie bereits angedeutet beschränkt sich die Handlung eigentlich ausschließlich auf die Eifersüchteleien des Protagonisten Otello, der seiner Angebeteten Desdemona (Deniz Yetim) eine Affäre mit dem Hauptmann Cassio  (Brent L. Damkier) vorwirft – eine klassische Beziehungskrise also. Und wie man das so von klassischen Krisen kennt, wird das Drama mit ganz viel Pathos und Gefühlsduselei in dem Fall durch vielerlei Arien und chorische Gesänge breitgetreten. 

So und jetzt zurück zur anfänglichen Überlegung. Beim Anschauen der Oper ist mir immer wieder dieser Bechdel-Test ins Gedächtnis gekommen. Denn Otello könnte diesem leider nicht standhalten, denke ich. Ja, ich weiß. Der Test wird eigentlich auf Filme angewandt, aber eine Oper ist ja auch sowas wie ein langer, gesungener Film, also passt das schon. Jedenfalls gibt es nur zwei Frauenrollen in dem Film, deren einziges Thema die verhaltensauffälligen Männer in ihrem Leben zu sein scheinen. Die Erzählung stereotypisiert die weibliche Protagonistin Desdemona zum Idealbild des verzweifelten, missverstandenen Objekt des Begehrens. Ihre Hingabe kulminiert in ihrer Ermordung durch Otello. Über dessen charakterliche Kompliziertheit wird indes über das Ganze Stück hinweg sinniert. Ich würde mir wünschen, dass es in Zukunft in Regensburg mehr Opern mit mehr als zwei weiblichen Charakteren geben würde, die als aktive Handlungsträgerinnen bestehen können, sodass die Erzählung dem Bechdel-Test besteht. 

Nichtsdestotrotz habe ich jede Sekunde des Stückes genossen. »Wieso?« fragt sich jetzt der*die aufmerksame*r Leser*in. Erstens: Corona. Der eine oder die andere hat es vermutlich schon mitbekommen, dass in letzter Zeit aufgrund des weltweiten, pandemieverschuldeten Ausnahmezustands nicht so viel im Kulturbetrieb los war. Sämtliche Theater und Spielstätten lagen brach und wurden die vergangenen Monate von einer feinen Staubschicht bedeckt. Umso mehr hat es mich gefreut, endlich wieder die heiligen Hallen betreten und einen Abend in die Welt des Musiktheaters eintauchen zu dürfen. Zweitens knüpft an erstens an. Denn aufgrund von erstens mussten bestimmte Hygieneregeln bei der Vorstellung, aber auch bei Proben etc. eingehalten werden. Dies zu meistern stellte für alle Beteiligten mit Sicherheit eine große Herausforderung dar und ich muss sagen, sie wurde mit Bravour gemeistert.

Die Inszenierung der Oper war modern, minimalistisch und schräg. Sie drängte der doch recht dramatischen Handlung etwas Makabres auf, das ihr eine ungewöhnliche Leichtigkeit verlieh. Denn es gab gewissermaßen drei Ebenen durch die sich die Geschichte entfaltete. Eine dieser Ebenen war der direkte Handlungsstrang, der sich ganz gewöhnlich auf der Bühne (immer mit genügend Abstand) ereignete. Dann existierte aber noch eine Metaebene. Diese wurde durch die Figur des Jago (Adam Kruzel) konstruiert. Er spielte den eigentlichen Plot nämlich mit Puppen nach, was dem Ganzen eine futuristisch psychotische Atmosphäre verlieh. Verbunden wurden diese zwei Ebenen durch eine dritte. Diese spielte sich hinter der Bühne ab und wurde durch kurze Videos gezeigt. Durch diese Filme, die sich immer innerhalb der Erzählstruktur einordneten, bekam der*die Zuschauer*in auch einen Einblick hinter die Kulissen des Theaters, was für Fans natürlich sehr besonders ist. 

Der fragwürdige Erzählkontext wird meiner Ansicht nach definitiv von der außergewöhnlichen Inszenierung außer Kraft gesetzt. Besonders, kreativ und vielschichtig wurde hier gearbeitet, um eine inhärent sexistische Handlung zu untergraben und sie in ein modern witziges Korsett zu hüllen. Die Künstler*innen verinnerlichen ihre Rollen mit Perfektion und es war eine Freude, ihnen dabei zuzusehen. 

Wer Modernes und Altes, Witziges und Trauriges, Schräges und Klassisches mag – auf jeden Fall anschauen! Es lohnt sich! Karten dafür kann man auf der Internetseite des Regensburger Theaters erstehen.

Beitragsbild: Jago (Adam Kruzel) beim feuchtfröhlichen Puppenspiel. ©Jochen Quast 

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