Lautstark: 100 gecs

Lautstark: 100 gecs

Selbst mir fällt bei diesem Duo keine gewiefte Unterüberschrift ein. Dieser Artikel stellt reine Resignation dar und es wird sich den schlimmsten musikalischen guilty pleasures hingegeben, während 100 gecs sämtliche Gehörgänge ordentlich durchspülen. Außerdem stellt sich die Frage aller Fragen: Was ist eigentlich ein gec?

von Elias Schäfer

Stellt Euch folgendes Szenario vor: Nach einem harten Tag kommt Ihr nach Hause, legt die Füße hoch und denkt Euch, dass es eine gute Idee wäre, den »Mix der Woche« auf einer bekannten Musik-Streaming-App auszuchecken. Auf einmal tönen schiefe Western-Töne aus den Lautsprechern und eine bis zur Unkenntlichkeit geautotunete Stimme spricht diesen lieblichen Willkommensgruß aus: »Hey, you lil‘ piss baby, you think you’re so fucking cool? Huh? You think you’re so fucking tough? You talk a lotta big game for someone with such a small truck«. Ganz ehrlich? Ich habe mich noch nie von einem Lied so beleidigt gefühlt wie von »money machine« des US-amerikanischen Duos 100 gecs – und dann setzt auch noch diese krass daneben klingende Flöte ein.

Irgendwo zwischen Chipmunk-/Nightcore-Remix, Hyper-Pop und Videospielmusik, gespickt mit Metal-Einflüssen, willkürlich erscheinendem Gedüdel und mehreren gleichzeitig abstürzenden PCs, haben es sich Dylan Brady und Laura Les zur Mission gemacht, die Kunstform der Musik gänzlich neu zu erfinden und sie in Form eines anarchischen Angriffs voll auf die Zwölf, ohne Rücksicht auf Verluste, auf die ZuhörerInnen einprasseln zu lassen. Das mag zwar alles wie ein großer Witz klingen, aber die beiden MusikerInnen, die an diesem Projekt teilhaben, sind ganz sicher keine Witzfiguren: Dylan Brady sowie Laura Les machen schon seit mehreren Jahren Musik, mal zusammen, mal nicht, aber sind doch an sehr interessanten Projekten beteiligt: Erstgenannter produzierte schon Tracks für Acts wie The Neighbourhood, Charli XCX und Rico Nasty und ist Besitzer seines eigenen Record-Labels (Dog Show Records), während Zweitere hauptsächlich mit ihrem Soloprojekt osno1 Erfahrung in der Musikbranche sammeln konnte.

Die gecs bei einem Live Auftritt © Skullcandy

Eine kleine gec-schichte

100 gecs lernten sich – wie kann es auch anders sein – während eines Rodeos in ihrer Heimatstadt St. Louis, Missouri, kennen, als sie noch frische High-School SchülerInnen waren. Ab 2015 beginnen sie, gemeinsam verschiedene Formen von Musik zu komponieren, indem sie sich gegenseitig Soundfiles hin und her schicken, was schließlich in der ersten, gleichnamigen EP des Duos gipfelt, die 2016 released wurde. Doch, wie jeder weiß, sind 100 gecs nicht genug: »One gec at a time« mausern sich die 100 gecs bald zu 1000, was deren 2019er Album 1000 gecs schließlich beweisen sollte. Brady und Les schaffen auf dieser Platte das Kunststück, alles Positive zu nehmen, was man irgendwie mit seiner Kinder- und Jugendzeit Anfang der 2000er verbindet, durch den Fleischwolf zu drehen und zu absolutem Käse zu verwandeln. Obwohl ich schon in den Tiefen der internationalen Noise-Musik gegraben habe, tischen 100 gecs eine Mischung auf, die mich bis ins Mark irritiert: Alles, wirklich alles, was ich an Musik liebe, wird gecisiert. Wie kann etwas so Altes so neu klingen? Wie kann etwas Gutes so schlecht klingen? 100 gecs sind ein klassisches Paradoxon, das mich zweifeln lässt, ob es überhaupt geht, sie ironisch zu hören oder ob es schon reiner Masochismus ist, Songs wie »money machine« 20 Mal hintereinander laufen zu lassen und … abzugehen?

Kurz gesagt: 100 gecs sind der Soundtrack zu einem mentalen Zusammenbruch. Nichts an dieser Gruppe ergibt Sinn. Nicht der Name, der immer wieder auf verschiedene Weisen halbwegs erklärt wird, nur um die Erklärung im nächsten Interview wieder als falsch zu deklarieren, nicht die Texte, nicht das Auftreten der Beiden, das irgendwo zwischen total aufgedreht und komplett bocklos schwankt, nicht die Albumtitel und erst recht nicht die Musik. Trotz alledem fahren sie nacheinander Lobpreisungen von bekannten Magazinen wie Noisey oder Pitchfork ein, werden vom Rolling Stone erwähnt und sogar von einem New York Times Kritiker mit 1000 gecs für das beste Album des Jahres 2019 ausgezeichnet. Irgendetwas scheint also an diesen Geckos dran zu sein: Nicht umsonst wurde 2020 ein Remix-Album des ersten Albums namens »1000 gecs and the tree of clues« veröffentlicht, das weltbekannte und aufstrebende KünstlerInnen wie Charli XCX, Fall Out Boy, Kero Kero Bonito, Tommy Cash und Hannah Diamond als GästInnen mit dabei hatte. Vor allem der Song »xXXi_wud_nvrstøp_ÜXXx (Remix)« mit Tommy Cash und Hannah Diamond hat es mir dabei angetan, da er mich eine Zeit nostalgisch fühlen lässt, in der die gecs gerade mal kurz aus Abrahams Wurstkessel entflohen waren. Ich meine, der Song wurde von mir durch ein Video mit ravenden Katzen und Anfang-2000er-Internet-Stickern entdeckt. Muss da noch mehr gesagt werden? Dank 100 gecs ist Eurodance immer noch nicht untergegangen.

Das Cover des Remix-Albums »1000 gecs and the tree of clues« © Laut.de

Ironisch oder nicht – Spielt das überhaupt eine Rolle?

Oft tun Menschen die Tatsache, dass sie sozial nicht wirklich akzeptierte Musik mögen, als »ironisches Hören« ab. Als »guilty pleasure«. Doch macht einen etwas, was man gerne genießt, direkt schuldig, nur weil es etwas schrulliger und allgemein komischer klingt? Meine Meinung dazu ist: Nein, ganz sicher nicht. Musik ist dafür da, um ein so breites Spektrum an Emotionen und Eindrücken wie möglich zu transportieren, und Freude gehört da ganz klar dazu. Wenn jemand richtig dafür brennt, nüchtern auf David Hasselhoff abzugehen – warum nicht? In eine ähnliche Sparte fallen 100 gecs und, mal jeden Spaß beiseite, ist kein musikalischer Act dazu da, ironisch gehört zu werden. Laut eigener Aussage geht es ihnen auch überhaupt nicht darum, sondern beispielsweise »so bekannt zu werden wie Ed Sheeran«. Auch meinen sie ihre Musik überhaupt nicht ironisch, obwohl sie viele witzige und parodistische Elemente inkorporiert, sondern haben einfach nur enorm intensiven Spaß und pushen ganz nebenbei interessante Innovationen wie ein Minecraft-Konzert und die Verbreitung mehrerer eigentlich komplett Mainstream-untauglichen Musikstile. 

Fakt ist: Bradys und Les‘ Musik repräsentiert eine längst vergessen geglaubte Internetkultur, in der noch alles spaßig und wholesome war. Für einen Typen wie mich, der genau in dieser Zeit aufgewachsen ist und als Teenie sehr oft im Internet unterwegs war, ist das praktisch gefundenes Fressen. Ja, anfangs taten mir noch die Ohren und noch mehr die Seele weh, aber irgendwann gewöhnt man sich zumindest halbwegs an die Absurdität des Sounds der gecs und hat wirklich Spaß dabei, sich gefühlt permanent in die Ohren boxen zu lassen. Was ein gec ist, weiß ich immer noch nicht, aber dafür weiß ich ganz genau, dass 100 gecs mir in Zukunft weiterhin viel Freude bereiten werden.

Zum Schluss noch ein paar Musikvideos/Soundbeispiele (nur anklicken, wenn Ihr euch wirklich traut):

Beitragsbild: Warner Music Germany

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert