Wohnsinn-Kolumne: Wo ist der Weißkopfseeadler, wenn man ihn braucht?

Wohnsinn-Kolumne: Wo ist der Weißkopfseeadler, wenn man ihn braucht?

Ihr kennt ja schon meine Nachbar*innen aus der Wohnung unten drunter. Diese Familie hat nicht nur ein sehr eigenes Verständnis von Lärmbelästigung, nein, sie haben auch einen Hund. Korrektur, so etwas rattenähnliches, überzüchtetes, weißwurstförmiges Chihuahua-Etwas. Dieses merkwürdige Wesen scheint ebenso wenig Verständnis für das Ruhebedürfnis einer Hausgemeinschaft zu haben wie seine Besitzer*innen. Ein Wohnsinn darüber, wie 30 Zentimeter Fell und Fett ein ganzes Haus tyrannisieren.

von Lotte Nachtmann

Das eingangs beschriebene Etwas wird im Folgenden nur noch »Ratte« genannt, so wie es meine Mitbewohnerin und ich auch tun. Theoretisch hat es auch einen Namen und zwar Jolly. Und der wird auch regelmäßig – so zwei- bis dreimal am Tag – in der Nachbarswohnung, durch’s halbe Treppenhaus und über den Weg vor unserem Haus krakeelt. Die Ratte hat nämlich, neben noch vielen anderen, vor allem ein Problem: Auf jedes noch so kleine Geräusch im Haus reagiert sie mit lautstarkem, äußerst empört klingendem Bellen. Und das halt so gut wie jedes Mal, wenn jemand an der Wohnungstür seiner Familie vorbeischlurft oder auch nur unten die Haustüre geht. Ganz schlimm ist es, wenn die Nachbar*innen selbst Besuch bekommen – ein Ereignis, das zu unserem Missfallen eher häufiger als seltener eintritt. Die dann geöffnete Wohnungstür offenbar nicht nur noch ein paar Dezibel mehr des schrillen Chihuahua-Whafwhafs, sondern die Ratte schaukelt sich in eine derartige Ektase des Kleffens hoch, dass wir schon immer hoffen, dass gleich der Herzstillstand eintreten müsste.

Ein Kommunikationsproblem

Begleitet wird dieses sich überschlagende Bellkonzert dann wie gesagt immer von den Zurechtweisungen seitens der menschlichen Familienmitglieder. Vor allem ein lautes, sehr aggressives »Schhhhhhhhhhhh« ist der Nachbarn Waffe gegen ihr eigenes Haustier. Eine äußerst ineffektive Waffe, wenn ich das bemerken darf. Diese »Whaf-whaf-whaf« – »Schhhhhhhhhhhh« – Dialoge sind darüber hinaus auf Dauer auch echt ermüdend mitanzuhören. Zwischen der Ratte und seinen Besitzer*innen besteht ein ausgeprägtes Kommunikationsproblem, würde ich sagen. Sender – Empfänger – Mitteilung … irgendwo dazwischen liegt die Krux.

Auf Unterfütterung kann Jollys Unzufriedenheit jedenfalls nicht zurückzuführen sein. Ob man nun den Look von Chihuahuas mag oder nicht, darüber kann man sicher stundenlang streiten. Aber ob Sympathie hin oder her, die Ratte kann auf optischer Seite ebenso wenig wie auf manierlicher Seite punkten. Manche würden behaupten, sie hat einfach ein bisschen süßen Winterspeck. Ich würde sagen, sie ist einfach massiv übergewichtig. Eine Weißwurst auf vier Zahnstocher-Beinchen, die so fett ist, dass sie sich kaum bewegen kann. Was andere laufen nennen, sieht bei ihr eher wie so ein Rumwackeln von der rechten zur linken Seite aus und umgekehrt. Jedenfalls alles andere als souverän oder elegant. Dafür kann sie nun aber wirklich nichts, Überfütterung von Haustieren ist ein ernstzunehmendes Problem und geht letztlich auf die Unkenntnis der Besitzer*innen hinsichtlich korrekter Ernährung zurück. Eigentlich ist ja auch das Gebell nicht Jollys Schuld, sondern das Ergebnis einer fehlenden Erziehung.

Fantasien dürfen doch wohl noch erlaubt sein

Auch auf das Konto von vermutlich Frauchen geht das lächerliche, pinke Geschirr der Ratte. Natürlich pink, was sonst. Schon mehrfach haben unsere Mitbewohnerin und ich uns ausgemalt, wie wir die Nachbar*innen dazu bewegen könnten, spät abends die Musik auszuschalten, indem wir die Ratte an eben diesem Geschirr aus dem Fenster der dritten Etage halten. Bisher blieb es aber bei einer kleinen, minimal bösen Fantasie. Inspiriert dazu hat uns der Vater der Familie, ein durchaus kräftiger, großer und finster dreinblickender Herr, der mit der pink-verzierten Ratte im Gepäck einiges an Imposanz einbüßt. Meine Mitbewohnerin beobachtete einmal, wie er beim Spaziergang mit einer äußerst bockigen Jolly irgendwann die Nerven verlor, die Ratte an ihrem pinken Geschirr hochhob und zurück in die Wohnung trug.

Doch auch derlei Disziplinarmaßnahmen helfen nicht gegen das sture »Whaf-whaf-whaf« der Ratte, das täglich durch’s Treppenhaus hallt. Eine weitere Fantasie meiner Mitbewohnerin und mir besteht im Übrigen daraus, dass aus dem Nichts ein Weißkopfseeadler namens Werner auftaucht, der die Ratte am Geschirr ergreift und mit ihr davon fliegt. Ja, soweit hat uns diese akustische Tyrannei schon gebracht.

Was Selina in ihrer WG so erlebt, erfahrt Ihr dann nächste Woche wieder.

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