SPD-Wahl: Eine neue Hoffnung unter direktem Beschuss

SPD-Wahl: Eine neue Hoffnung unter direktem Beschuss

Panikreaktionen seitens Vertretern der Wirtschaft, Hyperventilation bei Outlets des Springer-Verlags, gnadenlose Kritik von Union, FDP und AfD und versuchte öffentliche Bloßstellung bei Anne Will: Der Backlash, den die neu gewählte SPD-Führung unter Saskia Esken, 58, und Nobert Walter-Borjans, 67, seit knapp drei Tagen von unterschiedlichen Stellen ertragen muss, ist immens. Die Vorwürfe reichen von »Sie sind zu links!« über »Sie werden die SPD zerstören!« bis hin zu »Sie werden die Regierung sprengen und Deutschland ins Chaos stürzen!« – und entlarven dabei die deutsche Medien- und Parteienlandschaft abermals als Speichellecker der Wirtschaftslobby.

von Elias Schäfer

Ein Disclaimer vorneweg: Ich bin kein großer Freund der SPD. Diese ist in großen Teilen für den spätestens seit der Regierungszeit Gerhard Schröders betriebenen, massiven Raubbau am Sozialstaat verantwortlich, der von Vertretern der eigenen Partei mühevoll aufgebaut und, zumindest eine Zeit lang, vernünftig umgesetzt wurde. Darüber hinaus musste sie immer einen Balanceakt zwischen ihrer selbst propagierten Nähe zur Arbeiterschaft und der großen, mächtigen Wirtschaft schaffen, der dazu führte, dass die SPD sich so einige Schnitzer in ihrer Geschichte leistete, die ihr einen sehr wankelmütigen Ruf in linken Kreisen schufen. Sei es die vom ersten Reichspräsidenten Friedrich Ebert gebilligte Ermordung der berühmten deutschen Sozialisten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht im Jahre 1919, das immerwährende Appeasement an die Union in der Nachkriegszeit, der Wandel zur selbsternannten Volkspartei durch das Godesberger Programm ab 1959 oder die fast komplette Hinwendung zum Wirtschaftsliberalismus durch das Schröder-Blair-Papier im Jahre 1999: Wirklich links oder revolutionär war die SPD maximal in ihren Anfangstagen, seitdem plätschert sie irgendwie dahin.

Links oder revolutionär zu sein ist natürlich lange nicht mehr das Ziel der SPD. Die nun stark zersplitterte und in manchen Teilen Deutschlands in der Bedeutungslosigkeit versunkene Partei war einst berühmt für große Staatsmänner wie Willy Brandt oder Helmut Schmidt, für die soziale Marktwirtschaft, für Stabilität, für die geglückte Balance zwischen Kapital und Sozialismus, die in Deutschland bis zur Wiedervereinigung gut funktionierte. Sie war über Jahre hinweg der einzige Gegenpol, der der konservativen Union aus CDU und CSU die Stirn bieten konnte. Seit der asozialen Agenda 2010, dem dilettantischen Crash des Schulz-Trains im Rahmen der Bundestagswahlen 2017 und der darauffolgenden beispiellosen Talfahrt in die profillose Irrelevanz sucht die einst so stolze Sozialdemokratische Partei Deutschland händeringend nach neuer Anerkennung, neuen Prozentpunkten, einem neuen Messias. Oder eben zwei.

Die Wirtschaft fürchtet um ihre Macht

Klar ist: Esken und Walter-Borjans können, Stand jetzt, keine Heilsbringer sein. Dafür sind beide nicht charismatisch genug und schicken sich an, die SPD auch eher zaghaft als radikal umzukrempeln. Ebenso ersichtlich ist jedoch, dass die Wahl der Beiden um einiges klüger war, als Olaf »Die schwarze Null muss stehen!« Scholz und Klara Geywitz, die nicht mehr als einfach nur in Ordnung ist, in den Vorstand zu hieven. Vor allem Scholz, an dessen kartoffelknödeliger Ausstrahlung und Roboterhaftigkeit sich jede*r an sozialer Veränderung interessierte Deutsche sattgesehen haben müsste, hätte der eh schon dahinsiechenden SPD den Todesstoß mit anschließender Selbstauflösung in der Union gegeben. Esken und Walter-Borjans stehen trotz ihrer bisherigen Unbekanntheit hingegen für GroKo-Kritik, für eine Politik weg vom konservativen Flügel des Seeheimer Kreises und wollen eine linkere, sozialere Linie fahren. Ebenso soll die Nähe zur Parteibasis und zur Wählerschaft wiederhergestellt und gestärkt werden. Das sind die einzigen Ansätze, die der SPD aus ihrer derzeitigen Krise helfen können, denn ein »Weiter so!« im Würgegriff der Union wäre nicht nur das endgültige Ende der Sozialdemokratie in Deutschland, sondern ein massiver Sieg für sämtliche neoliberalen Kräfte im Land.

Fakt ist, dass die Führungsriege der SPD seit Altkanzler Schröder durchgehend sehr wirtschaftsfreundlich war. Hierbei ist es kein Wunder, dass Schröder selbst im Aufsichtsrat des russischen Ölkonzerns Rosneft sitzt, Ex-Vizekanzler Sigmar Gabriel Vorstand des Verbandes der Automobilindustrie werden wollte und selbst im kleinen Raum der vom Dienst suspendierte Regensburger Bürgermeister Joachim Wolbergs im Mittelpunkt einer Korruptionsaffäre steht. Genauso wenig verwunderlich ist es also, dass nach der Wahl des neuen Führungsduos ein sofortiger Aufschrei durch die deutsche Wirtschaft ging: Es wird bei einer Abkehr von der schwarzen Null vor einem Schuldenberg gewarnt, vor Firmenfeindlichkeit, vor größerer staatlicher Regulierung des Finanzmarktes vor Verlust der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und überhaupt der Ausrufung einer sozialistischen Räterepublik, sollte die SPD die GroKo nun aufkündigen. Und, ganz ehrlich? Das wäre super. Die Wirtschaftshörigkeit der Bundesregierung ist mehr Fluch denn Segen, zumindest für jede Person, die nicht mindestens wie Friedrich Merz zur Millionärs-Mittelschicht gehört. Vielleicht, aber nur vielleicht, schafft es der Elan des jetzigen SPD-Vorstands, dem grassierenden Lobbyismus im Bundestag Einhalt zu gebieten und den Menschen statt der Industrie in den Mittelpunkt zu rücken. Das klingt zwar utopisch, aber anscheinend gefährlich genug, dass sämtliche Ökonomen sich dazu gezwungen sehen, Esken und Walter-Borjans medial zu verteufeln.

Medien, Konservative und Liberale – ein Bollwerk gegen den Sozialismus

Eskens Twitter-Aussage vom Januar 2018, »Wer Sozialismus negativ verwendet, hat halt einfach keine Ahnung«, wird ihr infolgedessen nun gerne um die Ohren geschlagen. Der Sozialismus habe Millionen Menschenleben und den Niederfall sämtlicher Wirtschaften auf dem Gewissen und sei allgemein ein Teufelswerk, dem die armen privaten Industrien als Erstes zum Opfer fallen würden. Die Interessen dieser müssen natürlich deren professionelle Stiefelputzer innerhalb der deutschen Parteien- und Medienlandschaft vertreten, da ja sonst stark benötigte Hilfsmittelchen gekürzt werden würden. So liest man in jeder größeren Tageszeitung empörte Kommentare über die neue SPD-Parteispitze und gesammelte Stimmen von rechten Politikern, die sich auf einmal ganz große Sorgen über die Zukunft der Sozialdemokratie machen. Bei der Anne Will Ausgabe vom 01.12. wurden keine Kosten und Mühen gescheut, das linke Trio rund um Norbert Walter-Borjans, Saskia Esken und Linken-Vorsitzende Katja Kipping mundtot zu machen, während Christoph Schwennicke, Chefredakteur des konservativen Cicero, Armin Laschet von der CDU und die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch problemlos ihre negativen Ansichten über die Neuausrichtung der SPD in die Kamera schwadronieren durften. Selbst die aktuelle Meinung von Brigitte Seebacher, der Witwe Willy Brandts, wird überall aufmerksamkeitssuchend rezitiert: »Ein Drama…«

Ein Drama ist allerdings nicht die ganze Situation rund um die neue SPD-Führung, sondern die Art, wie sämtliche wirtschaftsnahen Kreise zwei demokratisch gewählte Menschen in der medialen Öffentlichkeit demontieren wollen, nur weil diese ihnen nicht allzu freundlich gesinnt sind. Man sieht hierbei, dass trotz der herbeigeredeten und -gewünschten Bedeutungslosigkeit der SPD immer noch über sie gestritten, geschrieben und gesprochen wird. Dank der Wahl vom 30. November steht sie wieder in jeder Schlagzeile. Dementsprechend ist es nicht von der Hand zu weisen, dass die Sozialdemokraten, wenn sie sich unter dem jetzigen Duo geschickt anstellen, ein enormes, linksgerichtetes Comeback zu feiern vermögen. Sie könnten die Speerspitze einer mainstreamtauglichen, sozialen Bewegung innerhalb Deutschlands darstellen, wofür die Linken alleine zu nischenhaft und die Grünen zu bourgeois wären. Dies ist auch der Grund dafür, warum die Verteidiger des Wirtschaftsliberalismus sich nun zu einem Bollwerk gegen sozialistische Tendenzen innerhalb der SPD zusammentun, denn eine Bewegung, die sich auch nur etwas gegen die Interessen des Kapitals wendet, muss sofort torpediert werden. Aber, keine Sorge, Esken und Walter-Borjans werden wohl kaum die Internationale singend eine rote Fahne schwingen, eine Revolution starten oder die Planwirtschaft einführen; trotz alledem können sie als Katalysatoren für einen Umschwung in Richtung sozialerer Politik, die Deutschland dringend braucht, fungieren. Zu wünschen wäre es ihnen – und uns allen – allemal.

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