»Return to Seoul«: Auf der Suche nach dem ‚missing link‘ (Transit-Filmfest)

»Return to Seoul«: Auf der Suche nach dem ‚missing link‘ (Transit-Filmfest)

Davy Chous elektrisierender zweiter Langspielfilm »Return to Seoul« (Retour à Séoul) setzt sich mit dem Thema der Auslandsadoption, mit Fremdheit und Familie auseinander. Chou weiß als Sohn kambodschanischer Eltern aus erster Hand, wie es sich anfühlt, seine eigene Geschichte und Kultur erst als Erwachsener kennenzulernen. Die internationale Koproduktion lief zunächst in Cannes und hat nun im Rahmen des Transit-Filmfests eine würdige Lokalpremiere erhalten. Dort lief er als einer der vielen Highlights der Hauptsektion, die »liminale Lebensphasen« begleiten. Eine Besprechung der rastlosen Dynamik des Films und seiner weiblichen Hauptfigur.

von Johannes Schiller

Geboren in Korea, wurde Freddie (Park Ji-min in ihrem Schauspieldebüt!) als Säugling während des Krieges von einem französischen Paar adoptiert. Erst mit 25 besucht sie das Land, dessen Sprache sie nicht spricht und nimmt über eine Adoptionsbehörde Kontakt zu ihren leiblichen Eltern auf. Was eher einer spontanen Eingebung entspringt, hat tiefgreifende emotionale Folgen für Freddie, auch wenn man es ihr oft kaum anmerkt; sie ist eigensinnig, bisweilen störrisch und zu einem gewissen Grad unvorhersehbar. Wenn sie dann von ihrem Vater (Oh Kwang-rok) mit recht unbeholfenen Nachrichten überhäuft wird, der sie zurück haben möchte, distanziert sich Freddie zusehends. Sie möchte sich nicht den koreanischen Traditionen unterwerfen, da sie sich als Französin sieht. Wir verfolgen ihre Geschichte im Lauf von acht Jahren, in denen ihr Verhältnis zu ihrem Geburtsland sowohl Hochs als auch Tiefs erlebt. Gleichzeitig kommen wir ihr näher, wenn unterschiedliche Facetten ihrer Persönlichkeit aufgefächert werden – oder bleibt sie dadurch nicht noch schwerer einzugrenzen?

Der verborgene Draht

Wodurch definiert sich Familie? Ist sie immer biologischer Natur oder diejenige, die wir für uns kreieren? »Return to Seoul« versucht sich diesen Fragen anzunähern und beweist dabei große Sensibilität. Für Freddie bedeutet dies ein rastloses Angezogen- und Abgestoßen-Werden von Südkorea. Und erst ihr Besuch löst diese innere Zerrüttung scheinbar aus, eine  Identitätskrise, die vielleicht schon immer bestanden hat, sich aber erst jetzt manifestiert. Wer bin ich und wo gehöre ich hin? Die Möglichkeit eines verborgenen Drahtes zu ihrer Heimat ist nicht abzustreiten und womöglich der Schlüssel ihrer Suche. »Ich bin Französin«, beharrt sie, um sich von den für sie unbegreiflichen Höflichkeitsstandards abzusetzen. Sie sei aber auch Koreanerin, merkt eine Freundin an. Konflikte zeichnen »Return to Seoul« aus, vor allem die inneren, die sich nicht auflösen lassen. Neben den offensichtlichen Sprachbarrieren tut sich eine Kluft auf zwischen der emanzipierten Europäerin und der noch in patriarchalem Denken verhafteten koreanischen Gesellschaft, für die Familie an erster Stelle steht. Die zeitlich gebrochene Erzählweise erweist sich hierbei als kluges Mittel, um zu veranschaulichen, dass eine solche Annäherung über Jahre andauern kann.

Chou idealisiert nicht, stattdessen legt er seine Hauptfigur komplex und voller Widersprüche an. Eine Figur, die entgleitet im neonfarbenen Lichtermeer Seouls, die zwanglos-impulsiv agiert und auf ihre Umwelt abweisend reagiert. Nicht ganz so ungeschliffen und verblüffend intim wie »Rosetta« (1999) des belgischen Brüderpaars Dardenne, aber doch im Spirit ungehemmter Held:innen des Independent-Kinos angesiedelt, die ihre Verletzlichkeit auf andere Weise offenbaren – und das nicht selten im Akt des Trotzes.

Lost in Translation?

Als Kulturclash zwischen West und Ost liegt der Vergleich zu Sofia Coppolas Arthouse-Sensation »Lost in Translation« (2001) nahe. Diesem wurde unter anderem eine eurozentrische Sicht auf Japan vorgeworfen. Bei Chou wäre ein solcher Vorwurf völlig unglaubwürdig; er verhandelt die sozialen und psychologischen Auswirkungen der Adoption aus der Innenperspektive heraus – der »cultural gaze« reflektiert sich selbst – und ist inspiriert von den realen Erlebnissen einer Freundin des Filmemachers, die ebenfalls in ihren Zwanzigern zu ihrem Vater nach Südkorea gereist ist. Bei der postmodernen Stilistin Coppola hingegen sind es zwei in einer Sinnkrise steckende Amerikaner in Tokio, die aufeinander treffen und eine innige Freundschaft verbindet. Coppola inszeniert das als vornehmlich ästhetische Erfahrung aus Rhythmus, Klang, Musik und Farbe. Visuelle Anklänge an ihren Film sind bei Chou dennoch anzutreffen, obgleich er tonal andere Wege geht. Wenn etwa Freddie alleine und ausgelassen tanzt, ruft das andere großartige Tanzszenen ins Gedächtnis – mit der frivolen Leichtigkeit der Nouvelle Vague lassen sich immer auch ernstere Stoffe kondensieren.

Fazit
Freunde von aufrichtig-nuanciertem Arthouse-Kino sollten sich »Return to Seoul« nicht
entgehen lassen, ein Porträt der Gen Z mit einer hervorragend aufspielenden Newcomerin (Park Ji-min), gefangen zwischen den Identitäten und zwischen den Welten, dem vor allem zugute
gehalten werden muss, dass er keinen Klischees oder Stereotypisierungen anheimfällt. Für
den deutschen Kinostart ist der 26. Januar 2023 angesetzt.

Beitragsbild: Filmszene »Return to Seoul«, Pressematerial Transit-Filmfest, ©Rapid Eye Movies

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert