Wohnsinn-Kolumne: Sweet home … wo eigentlich?

Wohnsinn-Kolumne: Sweet home … wo eigentlich?

Wie bezeichnet Ihr es, wenn Ihr Urlaub im Hotel Mama-Papa macht? Nach Hause fahren, in die Heimat? Seit einiger Zeit tue ich mich echt schwer mit diesen Formulierungen, komme ich doch nur noch maximal zwei oder drei Mal im Jahr für ein paar Tage in das ostwestfälische Städtchen, in dem ich aufgewachsen bin. Ein Wohnsinn über’s dahoam sein.

von Lotte Nachtmann

Für einige Studierende bedeutete der Corona-Lockdown eine kurzfristige Rückkehr in die elterlichen vier Wände, um der Enge des WG-Zimmers oder Ein-Zimmer-Apartments zu entkommen. Die Ambivalenz, die dabei für viele entstanden ist – auf der einen Seite mehr Zeit mit der Familie und auf der anderen ein Rückfall in die kindliche Unselbstständigkeit – hat Anna-Lena letzte Woche noch beschrieben. Für mich bedeutete die Pandemie jedoch genau das Gegenteil von unfreiwilliger Family-Time. Meine ursprünglich geplante Heimreise zum Geburtstag meiner Mutter im April habe ich abgeblasen. Zur einer Zeit, in der die Fallzahlen in die Höhe schnellten und niemand wusste, was am nächsten Tag noch erlaubt sein würde, verständigten meine Eltern und ich uns darauf, dass es wohl nicht so vernünftig wäre, eine sechs Stunden lange Zugfahrt anzutreten. Zumal beide der Risikogruppe angehören und mein Vater gerade frisch operiert aus dem Krankenhaus kam. So blieb ich in Regensburg. Die Situation blieb lange unklar. Das neue Semester und damit der Alltagsstress hatten mich bald fest im Griff. So war auch, als die Einschränkungen gelockert wurden und das Infektionsgeschehen an Bedrohlichkeit abnahm, kaum daran zu denken, hoch in den Norden zu fahren. Sicher liegt es auch ein bisschen an meiner Bequemlichkeit, die ich gerne damit erkläre, dass meine Heimfahrt über die vermutlich beschissenste Bahnverbindung in ganz Deutschland zu bewältigen ist.

»Kommst Du denn zu Weihnachten?«

Jetzt in den Semesterferien war es nun aber soweit und ich trat die eigentlich gar nicht so beschwerliche Reise über Würzburg, das wundervolle Kaff Altenbeken und das nicht ganz so kaffige Detmold an. Seit den Weihnachtsferien war ich nicht mehr im ostwestfälischen Bad Salzuflen bei Bielefeld gewesen. Acht Monate sind das. Tatsächlich ist das nicht die längste Zeit, die ich nicht »zu Hause« war. Während meines Auslandsaufenthaltes habe ich es auch schon einmal auf neun Monate gebracht. Für manche mag das jetzt unvorstellbar viel sein, für anderen vermutlich das natürlichste der Welt. Das solle nun aber nicht zu einem Wettbewerb des »Wer hat seine Familie am längsten nicht gesehen« ausarten. Mir stellt sich dabei nämlich eine ganz andere Frage: Kann oder möchte ich überhaupt noch sagen, dass ich »nach Hause« fahre? Wie bestimmt man eigentlich sein »zu Hause«?

Bei mir liegt es sicher nicht nur daran, dass ich nur zwei- oder dreimal im Jahr für wenige Tage in meine Heimatstadt komme, dass ich Bad Salzuflen nicht mehr gerne als »zu Hause« bezeichne. Ausschlaggebend ist nämlich auch, dass ich diese Kleinstadt nie wirklich mochte. Klar das Elternhaus, der Garten, in dem ich meine Kindheit verbracht habe … All das sich glückliche Erinnerungen. Irgendwann setzte natürlich das für die Pubertät typische »ich-hasse-das-alles-hier« ein und auch die familiäre Harmonie bröckelte. Als ich dann mit 19 endlich aus und nach Regensburg zog, war mir klar, dass ich niemals nach Bad Salzuflen zurückkehren würde. Und das ist auch gut so, auch wenn über 500 Kilometer schon eher zu den längeren Distanzen für die erste neue Stadt gehören. Anfangs war ich noch optimistisch, ich würde bestimmt einmal im Monat heim fahren. Daraus wurde dann ein »Na ja, zu Weihnachten reicht es auch« und mittlerweile die Frage meiner Eltern »Kommst Du denn zu Weihnachten?« Wenn ich dann mal da bin, ist das natürlich ein freudiges Wiedersehen und man hat sich viel zu erzählen. Aber wie es Anna-Lena schon beschrieben hat: Irgendwann möchte man einfach wieder seinen Tagesablauf leben, sein vegetarisches Essen kochen, seine Hafermilch im Kaffee trinken oder einfach wieder erwachsen sein. Und die Zeitspanne, bis sich der Wunsch bei mir einstellt, wieder nach Regensburg zurück zu fahren, verkürzt sich mit jedem Heimat-Aufenthalt. Trotz der acht Monate, die ich dieses Mal fort war, haben mir vier Tage Kind-sein auch schon wieder gereicht. Und meinen Eltern vermutlich auch.

»Zu Hause ist da, wo die Post ankommt.«

Und da sind wir genau bei dem Punkt: Ich bin nämlich eigentlich gar nicht acht Monate fort von »zu Hause«. Vielmehr war ich letzte Woche fünf Tage fort von meinem zu Hause in Regensburg. Und als ich auf der Autobahn – ich habe mir nämlich für einen Monat ein Auto bei meinen Eltern ausgeliehen – das erste Mal Regensburg ausgeschildert sah, dachte ich: »Ich bin bald zu Hause.« Mit Unterbrechungen ist Regensburg jetzt seit vier Jahren mein Hauptwohnsitz, hier verbringe ich 90 Prozent des Jahres. Und ganz nebenbei liebe ich diese kleine Großstadt in der Oberpfalz einfach abgöttisch. Da ist es doch nur logisch, dass ich hier her nach Hause komme und nicht mehr nach Bad Salzuflen. Ist – jetzt einmal rein auf die Stadt bezogen – nicht dort Dein zu Hause, wo Du genau weißt, wo Du was bekommst, wo Du langsam die Straßennamen kennst, wo Du nicht mehr in Google-Maps eingeben musst, wo Du hin willst und wo Du durch die Gegend fährst und Dir denkst: »Das ist meine Stadt.« In Regensburg ist das inzwischen so für mich. Mein Vater hat immer gesagt: »Zu Hause ist da, wo die Post ankommt.« Na ja und das ist schließlich schon seit Jahren nicht mehr Bad Salzuflen.

Und was das emotionale »zu Hause« angeht, das Gefühl, zu Hause zu sein, denke ich inzwischen, dass das nicht an einen Ort gebunden sein muss. Wie gesagt, Kindheitserinnerung bleiben schließlich und sind nicht davon abhängig, welchen Namen die dazugehörige Stadt trägt. Sie haben vielmehr mit den Menschen zu tun, die darin vorkommen. Und egal, wo es mich hin verschlägt, oder wo meine Familie einmal hinziehen wird, das »zu Hause«-Gefühl wird mitziehen. Und ist es nicht auch ein beruhigendes Gefühl zu wissen, dass einem so das »zu Hause« nie weggenommen werden kann, sondern man es einfach wie die Zahnbürste in den Koffer packt?

Nächste Woche meldet sich dann auch wirklich Laura bei Euch.

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