Einmal Heldin sein und zurück

Einmal Heldin sein und zurück

Große Schlachten und Gemeinschaft am Lagerfeuer: Beim Live-Rollenspiel schlüpft Alina in eine andere Haut – und verwischt die Grenze zwischen Realität und Fiktion.


Eine Teilnehmerin an Live-Rollenspielen aus Alinas Gruppe / Foto: Alina Soudet.
Eine Teilnehmerin an Live-Rollenspielen aus Alinas Gruppe / Foto: Alina Soudet.

Laternen, Sonnensegel, mittelalterliches Geschirr und Deko: Langsam entsteht rund um Alina eine kleine Zeltstadt. Neben ihr baut eine Seefahrer-Crew ihr Lager auf. Am Abend stimmt der Kapitän der Truppe mit seiner tiefen Bassstimme ein Lied an. Seine Mannschaft begleitet ihn. Alina wird den Moment nie vergessen: »Musik löst sehr viele schöne Gänsehaut-Erinnerungsmomente aus, die man nicht mehr missen möchte.«

Alina erinnert sich gern an ihr erstes Live-Rollenspiel vor fast vier Jahren. Seitdem macht die 22-Jährige immer wieder bei so genannten LiveAction-Roleplay-Conventions mit, einem Gesellschaft sspiel, bei dem sie nachts am Lagerfeuer singt und tagsüber große Schlachten schlägt.

Der bekannteste und am meisten gespielte Schauplatz ist eine mittelalterliche Fantasy-Welt im »Herr der Ringe«-Stil, in der sich mythisch-fantastische Charaktere wie Orks, Heiler und tapfere Ritter tummeln. Daneben gibt es Mittelalter-Conventions die besonderen Wert auf authentische historische Gewänder legen, oder Vampir-Szenarien, die mit der romantischen »Twilight«-Welt nur wenig zu tun haben. Vielmehr bestimmen Intrigen und gebrochene Bündnisse zwischen verschiedenen Vampirclans das Spiel.

Kernstück sind die Rollen, deren Hintergrundgeschichte sich alle Spieler selbst überlegen: Wo bin ich geboren? Komme ich aus gutem Haus? Welchen Charakter habe ich? Bin ich schüchtern oder ein Draufgänger? Kämpfertyp oder harmoniebedürftg?

Alinas Charakter heißt Lili: Sie ist verspielt, naiv und leicht zu beeindrucken. Magie zieht sie an und sie stillt lieber dreist ihre Neugier, als sich zurückzuhalten. Nach der Devise »Viel reden, viel Spaß haben« diskutiert sie andere in Grund und Boden.

Besonders reizvoll scheint es zu sein, Charakterzüge anzunehmen, die die Teilnehmer im realen Leben nicht haben: Menschen, die sich nie vorstellen könnten, zu stehlen, können zu geborenen Meisterdieben werden.

Im Alltag ist Alina zurückhaltender

Alina ist in ihrem Alltag als Studentin der Informationswissenschaft en an der Uni Regensburg wesentlich zurückhaltender als ihre Figur Lili: »Ich bin zwar neugierig, aber nicht um jeden Preis. Einfach so mit einem Fremden plaudern – das würde mir nie passieren.« Dieser Spagat verlangt ihr einiges ab: »Ich muss ziemlich umstellen. Ich darf nicht schreckhaft sein, sondern immer fröhlich. Das kann teilweise echt anstrengend sein.«

Wichtig für ein Rollenspiel ist das Gefühl dafür, wann man in seiner Rolle und wann im Alltagsleben ist. Die Fachbegriffe dafür lauten In-time – in der Rolle – und Out-time – außerhalb der Rolle. In-time gilt die eiserne Regel der Ignoranz: Gegenstände und Orte wie Sanitäranlagen oder Spielplätze müssen ausgeblendet werden, um voll und ganz in die erfundene Geschichte eintauchen zu können. Genauso werden zwischenmenschliche Beziehungen davon beeinflusst, ob man In– oder Out-time ist.

»Mein Ex-Freund wusste keine andere Lösung,
als mir die Axt in den Brustkorb zu rammen«

»Wenn mein Charakter sich unsterblich in einen anderen verliebt, bedeutet das noch lange nicht, dass ich in der Realität mit der Person überhaupt zurecht komme«, sagt Alina, die es mit ihrem ExFreund auch schon umgekehrt erlebt hat. »In-time haben wir uns richtig gestritten und fanden zu keiner Einigung. Letztendlich fand er als sein Rollen-Ich keine andere Lösung, als seine Axt zu packen und sie mir in den Brustkorb zu schlagen«, erzählt. Alina. Out-time waren sie ein glückliches Paar.

Da Emotionen bei den Rollenspielen für Alina sehr wichtig sind, kann sie Intime und Out-time aber oft nicht trennen: »Wenn mich etwas In-time berührt, berührt es mich meist auch Out-time.« Eine Erfahrung im Spiel lasse sie außerhalb nicht kalt. »Ich kann daraus etwas lernen und mich auch daran weiterentwickeln. Ich bin zwar mit dieser Einstellung nicht alleine, aber sehr viele LARPer sehen das anders.«

Alina erinnert sich an ein ganz besonderes Erlebnis: Als naiver und unbedarft er Charakter stand sie in den Schlachtreihen, ein wenig erhöht sammelte sich eine Armee gerüsteter Orks. »In dem Moment, als diese schwarz-grüne Front begann, auf uns zuzurennen, bekam ich tatsächlich Gänsehaut. Es war nicht wirklich Angst, mir war bewusst, dass die Leute das nur spielen und nicht wirklich direkt in uns hineinkrachen – aber gewissermaßen tun sie das ja doch. Wenn eine riesige Menschenmasse, mit schweren Rüstungen bekleidet einen Berg hinunter rollt, ist das wirklich erst einmal sehr beeindruckend.«

Conventions finden überall statt; die Hauptsaison ist in den Sommermonaten. Alina genießt es, regelmäßig die Grenze zwischen Fiktion und Alltag zu überschreiten: »Eine Convention ist für mich wie Urlaub von mir selbst, um die Realität wieder klarer sehen zu können.«

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