»Snapchat-Dysmorphie« – Wie soziale Medien unser Schönheitsideal beeinflussen

 »Snapchat-Dysmorphie« – Wie soziale Medien unser Schönheitsideal beeinflussen

Ebenmäßige, reine Haut, eine gerade Nase, größere Augen und vollere Lippen, durch die Verbreitung von Beauty-Filtern auf den sozialen Medien hat sich ein neues Schönheitsideal entwickelt: das sogenannte »Instagram Face«. Doch was macht diese Entwicklung mit unserem Selbstwert und schlussendlich der Diversität unserer Gesellschaft?

von Kim Kessler

Beim Warten auf den Bus oder den/die Freund:in, noch vor dem Schlafengehen im Bett, bei der Zigarettenpause, während der Vorlesung oder einfach zwischendurch – häufig lassen wir uns in Momenten mit Social Media berieseln, wenn wir uns mal kurz eine Auszeit nehmen und einfach nicht nachdenken wollen. Was wir jedoch in diesen Momenten meist nicht tun, ist, die uns dargestellten Inhalte zu hinterfragen und auf ihren Realitätsgehalt zu prüfen. Warum auch? In solchen Momenten will man sich eben nicht aktiv mit etwas oder jemandem auseinandersetzen. Auch wenn keine aktive Auseinandersetzung mit den Inhalten stattfindet, beeinflussen diese dennoch unsere Wahrnehmung in vielerlei Hinsicht – Mitunter, was wir als »schön« wahrnehmen und empfinden. Doch was genau betrachten wir, wenn wir Bilder auf den sozialen Medien konsumieren, und was genau prägt dort eigentlich unser Schönheitsideal?

Neues Schönheitsideal: Instagram Face

Im Jahr 2013 nahm die Geschichte des »Instagram Face« ihren Anfang. Mit der Einführung von FaceTune wurde es möglich, Selfies nach den individuellen Wünschen der Nutzer:innen auf dem Smartphone zu retuschieren. Die App schoss in hunderten von Ländern auf Platz eins der App-Charts. Der Durchbruch folgte im September 2015, als Snapchat die ersten AR-Face-Filter auf den Markt brachte. AR steht für Augmented Reality und bezeichnet computergestützte Techniken, die unsere Realität um eine virtuelle Ebene erweitern. Die Haut erscheint glatter, die Nase gerade, die Augen größer und die Lippen voller – kurzum es entsteht ein Gesicht ohne Makel, auch »Instagram Face« genannt. Schaut man sich auf den sozialen Medien um, scheint die gesamte Bevölkerung nur aus »perfekt« geformten Menschen zu bestehen oder anders gesagt, aus »einer Horde exakt gleich aussehender Avatare«. Weder Individualität noch Diversität werden somit gefördert, ganz im Gegenteil: Der Algorithmus bevorzugt nur prototypisch »schöne« Gesichter, welche dem gängigen Schönheitsideal, sprich dem »Instagram Face«, entsprechen und folglich Nutzer:innen sehen.

Was macht dieser Trend mit unserer Gesellschaft?

Laut Forschenden des Boston Medical Centers hat sich das Schönheitsideal in den sozialen Medien durch die Verbreitung von einfach zugänglichen Fotobearbeitungstechnologien (z.B. Snapchat, FaceTune) verändert. Bilder von körperlicher »Perfektion«, die früher nur in Modemagazinen oder der Werbung zu finden waren, sind nun allgegenwärtig. Die vermehrte Nutzung und stetige Konfrontation inszenierter Körper- und Schönheitsdarstellungen verstärken den Mechanismus des sozialen Vergleichs. Der soziale Vergleich findet somit nicht mehr nur im engeren Umfeld, beispielsweise der Schule oder der Arbeit statt, sondern zu einem großen Teil in den sozialen Medien, welche ein Schönheitsideal propagieren, das schlichtweg verzerrt und unrealistisch ist. Dennoch eifern viele Menschen solch unrealistischen Schönheitsidealen nach. Die junge Generation ist besonders gefährdet, da sie sich in einer Phase der Identitätsbildung befindet und auf der Suche nach Vorbildern ist. Diese »unfertigen« jungen Menschen, wie sie Werner Mang in seinem Buch »Abgründe der Schönheitschirurgie« beschreibt, die zu einem großen Teil noch ziemlich unsicher in ihrem Wesen sind, haben folglich die Möglichkeit, sich ständig mit anderen Personen auf den sozialen Medien zu vergleichen, welche ihnen eine makellose Welt und ein makelloses Selbst präsentieren. Dies kann zu Wettbewerb, Druck und Selbstzweifeln führen, und hat nicht selten negative Auswirkungen auf Selbstwahrnehmung, Selbstwert und Selbstbewusstsein.

Alarmierende Erkenntnisse liefert eine australische Studie aus dem Jahr 2016, welche gezeigt hat, dass selbst Mädchen, die wissen, dass Bilder mit Filtern bearbeitet wurden, diese als schöner und sogar natürlicher wahrnehmen als realistische Fotografien. »Man kann sich nun also lebhaft vorstellen, was in einem zwölfjährigen Mädchen vor sich geht, das ein gefiltertes Selbstporträt mit einem unbearbeiteten vergleicht: Sie fühlen sich unzulänglich, mit Makeln behaftet und hässlich.«, beschreibt es Werner Mang. Im schlimmsten Fall kann dies die Entstehung »körperdysmorpher Störungen« begünstigen.

Unter körperdysmorpher Störung versteht man eine Störung der Wahrnehmung des eigenen Körpers. Betroffene beschäftigen sich meist intensiv, durchschnittlich drei bis acht Stunden täglich, mit einem oder mehreren subjektiv wahrgenommenen Mäkeln ihrer Erscheinung. Wie manche Personen mit Zwangsstörungen fühlen Sie sich zu bestimmten Verhaltensweisen gezwungen, wie beispielsweise die ständige Überprüfung des Aussehens in spiegelnden Oberflächen, oder das Bitten um Beurteilung des Äußeren durch andere. Betroffene empfinden sich häufig als unattraktiv und haben nicht selten ein starkes Ekelgefühl gegenüber sich selbst, was mit einer starken Belastung und einem hohen Leidensdruck einhergeht. Snapchat-Dysmorphie beschreibt somit ein aktuelles Phänomen welches sich auf die körperdysmorphe Störungen bezieht und ihre Ursprünge in den sozialen Medien besitzt. Zum ersten Mal tauchte dieser Begriff in einem Artikel in der Zeitschrift »JAMA Facial Plastic Surgery« auf, um darauf aufmerksam zu machen, dass die Verwendung von Fotofiltern in Social Media Kanälen negative Auswirkungen auf die Selbstwahrnehmung haben kann.

Was tun?

Heutzutage kann von einem reflektierten Umgang mit sozialen Medien noch nicht die Rede sein. Nicht verwunderlich, so lange gibt es Social Media Plattformen ja auch noch nicht. Da sie jedoch einen immer größeren Teil unseres sozialen Lebens einnehmen und beeinflussen, gilt es, vor allem jungen Leuten einen gesunden Umgang diesbezüglich zu vermitteln. Die gute Nachricht ist, wir sind medialen Körper- und Schönheitsidealen nicht einfach ausgeliefert, grundsätzlich kommt es auf einen reflektierten, konstruktiven und selbstbestimmten Umgang mit den Botschaften aus den sozialen Medien an. Hierbei kann es hilfreich sein, die uns gezeigten Inhalte kritisch zu hinterfragen und auf ihren Realitätsgehalt zu prüfen sowie die Achtsamkeit für den eigenen Körper zu stärken. Außerdem können soziale Medien auch zur Prävention und Behandlung eingesetzt werden, sprich zur Gesundheitsförderung genutzt werden, was bereits seit geraumer Zeit zunehmend in den Fokus gerückt ist. Dies kann die Reichweite, Erreichbarkeit und Verfügbarkeit von Hilfsangeboten verbessern und persönliche Hindernisse wie Unsicherheit, Scham und Stigmatisierung, welche die Inanspruchnahme professioneller Hilfe erschweren können, überwinden. 

Beitragsbild: Vince Fleming I Unsplash

Quellen:

Abgründe der Schönheitschirurgie – Verunglückte Operationen, Scharlatane, Instagram Wahnsinn von Prof. Dr. Werner Mang

Lahousen, T., Linder, D., Gieler, T., & Gieler, U. (2017). Körperdysmorphe Störung. Der Hautarzt, 68(12), 973-979.

https://www.kinderaerzte-im-netz.de/news-archiv/meldung/article/beauty-standards-wie-selfies-und-photofilter-das-koerperbild-beeinflussen/

Hinweis: Die Psycho:logisch-Kolumne verabschiedet sich mit diesem Artikel in die Semesterferien. Zum Semesterstart im April geht es weiter mit spannenden Texten rund um das Thema psychische Gesundheit und Krankheit.

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