Wir sind endlich – »Die Kinder« im Theater Regensburg

Wir sind endlich – »Die Kinder« im Theater Regensburg

Zur Premiere von »Die Kinder« am 17. Dezember trafen existenzielle Krisen auf schwarzen Humor. In diesem Kammerspiel werden große Gefühle wie Verantwortung, Schuld und Hilflosigkeit auf kleiner Bühne verhandelt und am Ende ist eines klar: Jede:r muss irgendwann eine Einstellung zum Leben und Sterben entwickeln.

von Hannah Eder und Laura Kappes

Von Landidylle zu Sperrzone

In Lucy Kirkwood‘s Stück »Die Kinder«, inszeniert von Stephanie Mohr, taucht das Publikum am Theater Regensburg ein in die Hütte und das Leben des alternden Physiker-Ehepaars Hazel (Franziska Sörensen) und Robin (Gerhard Hermann). Die beiden könnten eigentlich einen entspannten Ruhestand auf ihrem Bio-Bauernhof verbringen, doch dann kommt es zu einer Störung in dem Kernkraftwerk, in dem sie früher arbeiteten und in dessen Nähe sie auch lebten. Anstatt ihres idyllischen Hofes bewohnen Hazel und Robin jetzt eine Behelfsbehausung am Rande der Sperrzone, die um das Kraftwerk eingerichtet wurde. Vor diesem Hintergrund werden die Zuschauer:innen Zeugen einer Beziehung, in der plötzlich vieles aus den Fugen geraten ist. Hazel und Robin kämpfen seit der Katastrophe mit vielerlei Einschränkungen im Alltag – darunter Nahrungsmittel- und Stromknappheit – und hadern gleichzeitig mit dem unaufhaltsamen Prozess des eigenen Alterns. Beide suchen nach Wegen, um diesen Zustand zu kompensieren und so verschreibt sich Hazel ganz ihren Yoga-Übungen und gesunder Ernährung, während Robin täglich zum verstrahlten Bauernhof zurückkehrt, um die Kühe zu versorgen. Kann das lange gut gehen?

Eine alte Bekannte

Als eine alte Freundin, Rose (Silke Heise), auftaucht, entspinnt sich vor dem dystopischen Hintergrund des Stücks eine Diskussion über alte Zeiten, Lebensstile in der Gegenwart und Verantwortung für die Zukunft. Dass Rose, die früher mit beiden im Kernkraftwerk arbeitete, eine Affäre mit Robin hatte, führt zu einem spannungsgeladenen Verhältnis zwischen den beiden Frauen. Die Stimmung ist von Beginn an gereizt als Rose mit einer blutenden Nase vor den Bühnenvorhang tritt, die daher rührt, dass Hazel sie im Schreck über ihr Wiedersehen aus Versehen geschlagen hat. Und auch der verbale Schlagabtausch der beiden ist eine Mischung aus abgedroschenen Kalendersprüchen, Sticheleien, aber auch der Wiedersehensfreude zweier Frauen, die prägende Zeiten gemeinsam durchgestanden haben. Zwischen Robin, Rose und Hazel entspinnt sich ein Beziehungsdreieck, das trotz aller Krisen und Spannungen immer wieder zu Momenten der Unbeschwertheit zurückfindet und dem man eine tiefe Verbundenheit – sei es durch romantische oder freundschaftliche Gefühle – durchaus abnimmt. Trotz der emotionalen Aufgeladenheit des Stücks, wird an zahlreichen Stellen eine Prise Komik und Ironie eingestreut, die es dem Publikum erleichtert, sich mit existenziellen Themen auseinanderzusetzen.

Wo sind die Kinder?

Geschrieben wurde das Kammerspiel im englischen Original von Lucy Kirkwood, einer britischen Autorin, die in den letzten Jahren bei einem immer breiteren Publikum bekannt wurde. Geschickt verwebt sie in ihrem Stück Reflektionen über das Altern, den Umgang mit Umweltkatastrophen und das Verhältnis verschiedener Generationen zueinander. Die Kinder, obwohl im Titel des Stückes erwähnt, treten kein einziges Mal als Akteur:innen auf der Bühne auf. Trotzdem sind sie Dreh- und Angelpunkt vieler Dialoge. Kinder haben, wie Hazel und Robin oder kinderlos sein, wie Rose – hier treffen zwei gegensätzliche Perspektiven aufeinander und laden zur Reflexion über Verantwortung und Rücksichtnahme zwischen den Generationen ein. Ist es verantwortungslos Kinder in eine von Katastrophen gebeutelte Welt zu setzen? Wieviel ist die ältere Generation der jungen schuldig? Sind ältere Personen in der Pflicht, sich zugunsten ihrer Kinder aufzugeben? Oder ist es vielleicht genau andersherum? Durch die Alltagsnähe der Dialoge und die Anknüpfungspunkte, die das Stück an die Lebenswelt des Publikums bietet, werden unabhängig vom Alter der Zuschauer:innen alle auf eine ganz individuelle Art mit diesen Fragen konfrontiert.

Verfallsdatum überschritten

»Jemand, der wissentlich auf den Tod zusteuert, kann unmöglich glücklich sein«, lautet einer der prägnantesten Sätze des Stücks. Hazel, Rose und Robin sind sich dessen bewusst, dass sie älter werden. Allerdings wählen alle drei unterschiedliche Wege, damit umzugehen. Während Rose eine Schuld gegenüber der jüngeren Generation begleichen möchte, wählt Robin die Selbstaufopferung. Und Hazel – Hazel flüchtet sich in ihre eigene Welt aus »Yoga und Joghurt«, in der Hoffnung den Alterungsprozess noch aufhalten zu können. Die eigentliche existenzielle Krise, in der sich die Charaktere befinden, ist nämlich nicht die nukleare Katastrophe – es ist ihre Angst vor dem Sterben. Wie radioaktive Strahlung wird das Älterwerden im Stück als eine Art Kontamination verstanden, die jede:n mit der Zeit zugrunde richten wird. Im Angesicht der eigenen Sterblichkeit kommen in den Charakteren lange unterdrückte Emotionen wie Angst, Scham und Neid zu Tage, die aufgearbeitet werden müssen. Als Zeugen dieser Aufarbeitung wird das Publikum dazu eingeladen auch über eigene Beziehungen – zu Eltern, Kindern, Freunden und Geliebten – zu reflektieren.

Zwischen Brennstäben

Das Bühnenbild unterstützt die beklemmende Atmosphäre. Wie eine Sammlung von Brennstäben mutet die Beleuchtung aus Neonröhren an und trägt gemeinsam mit der musikalischen Gestaltung, die teils an das Knacken eines Geigerzählers erinnert, dazu bei, dass die nukleare Katastrophe nie ganz in den Hintergrund gerät. Verspielter englischer Landhausstil gepaart mit sichtbaren Zeichen der Rationierung und Einschränkung werden über Kostüm und Requisite auf die Bühne gebracht und unterstreichen das Spannungsfeld zwischen heiler Welt und absoluter Krise, in dem sich die Charaktere befinden. Die drei Schauspieler:innen Silke Heise, Franziska Sörensen und Gerhard Hermann tragen das Kammerspiel mit ihrer starken Bühnenpräsenz und großen Hingabe. Das fast zwei Stunden dauernde Stück, welches die Dialoge des gemeinsamen Wiedersehens wie in Echtzeit abbildet, bleibt kurzweilig und wird durch die Unmittelbarkeit des Gesprochenen umso eindrücklicher. Alleine, zu zweit oder zu dritt entfaltet sich ein sich zuspitzendes Drama über Witz, Liebe, (Über-)Lebenswillen und kritische Selbstreflektion, in dem sich zeitweise jeder gegen jeden und jeder mit jedem verbündet.

Was bleibt?

Egal ob jung oder alt, »Die Kinder« ist ein Stück, das seine Spuren hinterlässt. Es streift Themen, die sonst im gesellschaftlichen Diskurs nur wenig präsent sind – wer denkt schon gerne über das Sterben nach. Und trotzdem hinterlässt es keinen bitteren Nachgeschmack. Für alle, die sich auf ein nachdenkliches, explosives und dennoch unterhaltsames Stück einlassen wollen, ist »Die Kinder« eine klare Empfehlung wert.

Karten und Vorstellungtermine von »Die Kinder« finden Sie hier. (Studierende können ermäßigte Karten erwerben)

Beitragsbild: Silke Heise, Gerhard Hermann, Franziska Sörensen I Foto Tom Neumeier

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