Wohnsinn-Kolumne: Einige Gedanken über das Wohnen

Wohnsinn-Kolumne: Einige Gedanken über das Wohnen

Zusammen wohnen – alleine wohnen – miteinander wohnen – nebeneinander wohnen – getrennt wohnen – Wohnung tauschen – mobil wohnen – ohne Wohnung wohnen – Ferienwohnung – Wohnsitz – Wohnungsmiete… Wohnen – Daran hängt eine ganze Wolke von Begriffen und Gedanken, die man wohl noch ewig so weiter führen könnte. Doch was ist eigentlich wohnen? Was bedeutet wohnen für mich persönlich? Über all das möchte ich im heutigen Beitrag meine Gedanken mit Euch teilen und Euch einmal mitnehmen in meine Welt rund ums Wohnen. Vielleicht ist dieser Beitrag eine der vielen Versuche, sich die Dinge, die uns im Alltag als so selbstverständlich erscheinen, einmal genauer durch den Kopf gehen zu lassen.

von Anne Mathis

Wohnen – ein Begriff, der so alltäglich ist und doch so riesengroß, dass man ihn kaum richtig fassen kann. Sucht man in einem Lexikon nach dem Wort »wohnen«, erscheint dieser Begriff noch nicht einmal – man findet lediglich »Wohnsitz«, »Wohnungsmiete« oder »Wohnungstausch«. Und auch diese Begriffe zielen vielmehr auf die räumliche Bedeutung des Wohnens ab. Befragen wir das scheinbar allwissende Internet über diesen großen Begriff, werden wir schon eher fündig, aber ganz zufrieden bin ich immer noch nicht. Der Duden schreibt unter dem Begriff wohnen: »seine Wohnung, seinen ständigen Aufenthalt haben“ und „vorübergehend eine Unterkunft haben, untergebracht sein«. Aber können nicht auch Menschen, die auf der Straße leben, behaupten, sie wohnen? Schließlich haben diese Menschen meist weder eine Wohnung noch eine vorübergehende Unterkunft. Bedeutet wohnen tatsächlich, an einem Ort ständig verweilen und immer ein Dach über dem Kopf zu haben?

Was ist also wohnen? Um diese Frage zu beantworten, bleibt wohl nichts anderes übrig, als bei meinem persönlichen Wohnen und wie ich über das Wohnen denke, anzufangen.

Seit ich vor rund acht Monaten nach Regensburg gezogen bin, hat es einige Zeit gedauert, bis ich endlich behaupten konnte, einen Ort gefunden zu haben, an dem ich mich wohlfühle und an dem ich gerne wohnen möchte. Die Wohnungssuche in Regensburg erwies sich als so kompliziert, dass ich innerhalb von einem Semester an drei verschiedenen Orten gewohnt habe. Mittlerweile wohne ich mit meinen beiden Mitbewohner:innen in einer WG und bin sehr glücklich, hier in unserem kleinen Reich. Doch für immer wird mein Zimmer hier nicht Bestand haben. Schon in wenigen Monaten werde ich für mein Studium in die kleine französische Stadt Clermont-Ferrand ziehen und dort wieder anders wohnen – in einer anderen Wohnung, in einem anderen Zimmer und natürlich mit anderen Menschen. Nach einem Jahr werde ich zwar in meine WG in Regensburg zurückkehren, doch werde ich dann genauso wohnen wie jetzt?

Innerhalb kürzester Zeit habe ich also gelernt, dass wohnen auch bedeutet, flexibel zu sein, sich immer neu einzugewöhnen und sein »kleines zu Hause« an einem Ort abzubauen, nur um es an einem anderen wieder aufzubauen. Vielleicht ist es gerade auch das, was wir in unserer sich immer schneller entwickelnden Welt brauchen, was wir lernen müssen in einer Welt, die immer näher zusammenrückt; Eine Welt, in der es auch darum geht, mobil zu leben.

Wohnen – das ist für mich ein Gefühl von Geborgenheit und Individualität, aber auch das Gefühl, zu Hause zu sein. Manchmal braucht es so wenig, um sich zu Hause zu fühlen und um zu wissen, »Hier bin ich zu Hause, hier wohne ich und niemand anderes«. Vielleicht ein Bild der Familie, die gut gewachsenen Zimmerpflanzen oder das eigene Bett.

Aber manchmal, da kann das Zimmer noch so groß sein, die Lage der Wohnung noch so perfekt oder die Nachbarn des Wohnheimzimmers noch so sympathisch. Manchmal, da sehne ich mich nach zu Hause, nach meiner Familie, nach meinen Freunden – nach all denen, die ich vorerst gegen meine Wahlheimat Regensburg als meinen Wohnort verlassen musste. Zu Hause, Wohnen – das ist für mich auch ein Gefühl, dass ich nur bei den Menschen spüre, die mir lieb sind. Und sind diese Menschen bei mir, dann behaupte ich: »Hier wohne ich gerne, denn hier fühle ich mich wohl«. Deshalb braucht es vielleicht auch nicht immer den perfekten »Wohnsitz«, um dieses Gefühl von Geborgenheit zu empfinden. Vielleicht können wir auch überall zu Hause sein, wenn die Menschen dabei sind, mit denen wir uns wohlfühlen. Manchmal habe ich auch das Gefühl, an mehreren Orten gleichzeitig zu Hause zu sein. Natürlich wohne ich vor allem in Regensburg, aber irgendwie doch auch noch in meiner Geburtsstadt Bonn. So würden meine Eltern doch niemals behaupten, dass ich dort nicht mehr wohne. Vielleicht bin ich zwar nicht immer da, nicht jeden Tag wie früher in meinem Zimmer. Aber selbst in vielen Jahren – wer weiß, wer dann in meinem ehemaligen Zimmer wohnt – selbst dann werde ich dort vielleicht Spuren von meinem Wohnen hinterlassen haben: Vielleicht ist es nur ein Nagel in der Wand, an dem einst ein Bild hing; Vielleicht ist es aber auch eine ganze Hand voll Erinnerungen.

Wohnen – Was bedeutet das also?


Eine vollständige Antwort finde ich auf die Frage, was wohnen denn nun wirklich bedeutet, nicht. Der Begriff ist einfach zu groß und die individuellen Empfindungen, die an ihm hängen, zu stark. Ich würde sagen, wohnen, das ist Verweilen an einem Ort – egal ob unter einem Dach, in vier Wänden, auf vier Rädern oder unter freiem Himmel – an dem man seine Spuren hinterlässt und sich einen Ort schafft, der einen Rückzugsort für einen selbst bildet von alledem, was man auch mal hinter sich lassen will. Wohnen könnte ich persönlich nicht allein, denn wohnen funktioniert auch miteinander, manchmal nur nebeneinander und manchmal auch nur zweckmäßig, aber zumindest meistens mit anderen zusammen. Zusammen ist man eben weniger allein. Und wenn man dann noch an einem Ort wohnt, an dem man sich wohlfühlt, mit den Menschen, die man gerne hat, ja dann ist man sogar daheim.

Vielleicht bedeutet wohnen aber auch manchmal noch viel mehr. Goethe sagte einmal »Die beste Freude ist wohnen in sich selbst.« Wohnen, das ist vielleicht auch manchmal, in sich zu gehen und sich zu fragen, ob man, und das meine ich im wahrsten Sinne des Wortes, in seinen eigenen »vier Wänden« gerne wohnt.

Abschließend kommt mir der Gedanke, dass es vielleicht nicht immer nur wir sind, die wohnen. Wie sagt Hermann Hesse nicht in seinem bekannten Gedicht »Stufen«? „ […] Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe/ Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,/ Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern/ In andre, neue Bindungen zu geben./ Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne […]«. Und es geht ja noch weiter: »Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.« Wenn das so ist, dann kann ich wohl auch zuversichtlich nach Frankreich gehen. Dann können wir vielleicht nach jedem Umzug, in jeder neuen »Wohnung«, zu Hause sein, ohne dabei den Zauber der vielen Anfänge, die wir schon erlebt haben, zu vergessen. Ja, wenn in jedem Anfang ein Zauber inne wohnt, dann können wir vielleicht manchmal viel zuversichtlicher durchs Leben gehen.

Wohnen – das ist also Zaubern, zu Hause sein, Spuren hinterlassen und neu anfangen…

Was bedeutet für Euch wohnen? Wo wohnt Ihr und mit wem? Wo ist Eure Heimat? Könnt Ihr an mehreren Orten gleichzeitig wohnen oder sogar überall zu Hause sein?

Vielleicht findet Ihr heute einmal die Zeit, Euch dort einen Platz zu suchen, wo Ihr gerade wohnt, wo Ihr Euch zu Hause fühlt und wo Ihr gerne Eure Zeit verbringt. Dann lasst die Gedanken auch einmal schweifen und stellt Euch vielleicht einmal selbst die Frage »Was bedeutet für mich eigentlich wohnen und wo bin ich daheim?.«

Nächste Woche erwartet Euch dann ein Wohnsinn von Justine.

Beitragsbild: Hansjörg Keller / Unsplash

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