Wohnsinn-Kolumne: Von Sonnenbrillen und Milchschnitten

Wohnsinn-Kolumne: Von Sonnenbrillen und Milchschnitten

Die kalten Monate beginnen. Vieles verlagert sich nach drinnen und bald zieht vielleicht wieder der Duft nach Zimt und schmelzendem Wachs durchs Zuhause und man sitzt mit seinen Lieben gemütlich und friedlich auf weichem Untergrund – Idylle, Idylle. Realität ist meistens anders.

von Anna-Lena Brunner

Stell dir vor, du bist wieder klein. Alle Menschen sind Ries:innen, die auf dich hinabschauen. Die Welt ist so groß, der Spielplatz viel größer, deine Stimme ganz klein. Stell dir vor, der Höhepunkt des Tages ist das zartschmelzende Weiß der Milchschnitte, die du zwischen Turnstunde und Rausgehen viel zu schnell verschlingst, weil sie dir sonst Jakob aus der Froschgruppe wieder abzieht. Stell dir vor, deine Mama holt dich nachmittags ab und du siehst ihre Augen nicht, weil sie wieder die große Sonnenbrille mit den dunklen Gläsern trägt und dein Bauch fängt an zu schmerzen. Stell dir vor, du bist wieder klein und du weißt genau, was die Sonnenbrille bedeutet. 

Das Ausmaß von häuslicher Gewalt gegen Frauen scheint uferlos. Die Kinder leiden, verstehen nicht, verstehen zu viel und werden im Erwachsenenalter mit doppelt so hoher Wahrscheinlichkeit selbst Opfer von Partnerschaftsgewalt (Quelle: Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend, kurz BMFSFJ). Freund:innen, Bekannte, Familie müssen häufig tatenlos zusehen, agieren ja viele Täter so, dass sie die Frauen über einen längeren Zeitraum immer mehr von ihrem gewohnten Umfeld isolieren, um ein Abhängigkeitsverhältnis zu erzeugen.

Laut dem BMFSFJ wird jede vierte Frau im Laufe ihres Lebens Opfer physischer und/oder sexueller Gewalt durch einen aktuellen oder ehemaligen Partner. Konkret in Zahlen spricht man dann von rund 115 000 Frauen, die im Jahre 2019 häusliche Gewalt erleben mussten. Gewalt innerhalb der eigenen vier Wände erfahren natürlich nicht nur weiblich gelesene Personen. Allerdings ist es rein statistisch wahrscheinlicher, als Frau Opfer von häuslicher Gewalt zu werden (81 Prozent der Betroffenen im Falle von Partnerschaftsgewalt sind weiblich). 

Ohne an dieser Stelle eine Täter-Opfer-Umkehr proklamieren zu wollen – der Versuch, die Perspektive der Täter einzunehmen, mag die gesamtgesellschaftliche Problematik von häuslicher Gewalt nochmal dezidiert in den Fokus rücken. Denn schon allein die Tatsache, dass die allermeisten Täter in Fällen von Partnerschaftsgewalt männlich sind, zeigt, dass sich dahinter eine strukturelle Wirkungsmacht verbergen muss, die den Mann als der Frau übergeordnet deklariert. Somit wird ihm eine Deutungshoheit zugesprochen, die sich dann im Privaten im schlimmsten Fall durch einen gewaltvollen Umgang mit Konflikten niederschlägt.

Nicht der Duft nach Zimt und schmelzendem Kerzenwachs zieht also durch die Zimmer von vielen, sondern immer noch das Patriarchat als Strukturkategorie, die häusliche Gewalt in der Form, in der sie in so vielen Leben und Wohnungen auftritt, ermöglicht. Und um genau dafür mehr Bewusstsein zu schaffen, zu sensibilisieren und aufzuklären hat der AStA Regensburg in Zusammenarbeit mit anderen studentischen Initiativen (unter anderem auch der Lautschrift) anlässlich des 25. November einen Aktionsmonat zu häuslicher und patriarchaler Gewalt organisiert. Der Monat November wird gefüllt sein mit ganz vielen unterschiedlichen Veranstaltungen, wie beispielsweise Leseabende, Vorträge, Filmvorstellungen uvm. Wenn ihr mehr darüber erfahren wollt, dann schaut gerne auf dem Instagramkanal des AStA vorbei!

Stellt dir also vor, du bist wieder klein. Alle Menschen sind Ries:innen, die auf dich hinabschauen. Die Welt ist so groß, der Spielplatz viel größer, deine Stimme ganz klein. Stell dir vor, die Milchschnitte ist Matsch in deinen Händen, du hast vergessen, dass du sie essen wolltest, denn unten hörst du nur stummes Poltern. In deinem Schrank ist es warm und du verstehst nichts, du verstehst alles. Es riecht leicht nach Zimt.

Justine berichtet euch dann nächste Woche von ihrem Wohnsinn. Seid gespannt!

Beitragsbild: ©Noah Buscher | Unsplash

One thought on “Wohnsinn-Kolumne: Von Sonnenbrillen und Milchschnitten

  1. Ich finde es ja bezeichnend für unseren gesellschaftlichen Umgang mit häuslicher Gewalt gegen Frauen, dass die Autorin des Textes konsequent gendert, nur eben nicht beim Begriff „Täter“ und dies implizit mit der etwas tendenziösen (da nicht belegten) Aussage rechtfertigt, die allermeisten Täter*innen in Fällen von Partnerschaftsgewalt seien männlich. Hierzu eine Reihe von Gedanken:

    1. Ohne es überprüft zu haben, würde ich der Aussage ja so rein gefühlsmäßig zustimmen – vermutlich ist das aber eben halt auch eher Kennzeichen einer patriarchalen Gesellschaft, in der Männer auf die Rolle des Täters und Frauen auf die Rolle des Opfers festgeschrieben sind als eine empirisch belegte Wahrheit. Die unhinterfragte Reproduktion dieser Stereotype ist bestimmt nicht die Intention der Autorin, aber ich frage mich schon, welche Agenda hier eigentlich vertreten wird. Meine Kritik bezieht sich übrigens im Wesentlichen auf die Generalisierung, die hier betrieben wird.

    2. Auch wenn es laut Artikel statistisch wahrscheinlicher ist, als Frau von häuslicher Gewalt betroffen zu sein, würde ich gerne zwei Bemerkungen machen. Zum einen sagt das nichts absolut über die Täter*innen aus. Die Forschung suggeriert nämlich, dass gleichgeschlechtliche Beziehungen in einem ähnlichen Umfang von häuslicher Gewalt betroffen sind wie heterosexuelle Beziehungen. Die Täter*innen somit auf die Täter zu beschränken ist allein vor diesem Hintergrund schon problematisch. Zum anderen würde ich gerne auf das Dunkelfeld verweisen, in dem viele Straftaten gegenüber Männern untergehen, weil diese aufgrund von gesellschaftlichen Gegebenheiten, die häusliche Gewalt gegen Männer als harmlos, witzig oder nicht existent betrachten, untergehen.

    3. Ironisch, aber irgendwie doch symbolisch für den Text: Der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe Frauen gegen Gewalt e.V. macht auf seiner Website explizit auf die Tabuisierung von Gewalt aufmerksam, die Frauen an Frauen verüben (https://www.frauen-gegen-gewalt.de/de/infothek/gewalt-gegen-lesben/merkmale-und-tatsachen.html).

    Nun ja.

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