Feminis:muss: Mutterschaft

Feminis:muss: Mutterschaft

Über das Muttersein gibt es viele Vorstellungen. Die meisten haben allerdings eins gemeinsam. Sie stellen häufig etwas positives, bereicherndes, erfüllendes dar. Doch das ist oft nur eine Seite der Medaille. Es wird Zeit, sich die gängigen Idealbilder über Mütter genauer anzuschauen und sie mal in Frage zu stellen. Immer nur leicht ist Muttersein auf jeden Fall nicht.

von Pauline Fell

In ihrem 2019 erschienenen Roman »Expectation« schildert Anna Hope das Leben der jungen Mutter Cate, die nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes gemeinsam mit ihrem Mann aus London weg in dessen Geburtsort zieht. Dort wohnen sie in einem eigenen Haus, verfügen über genügend Geld, der Mann hat einen Job und die Schwiegerfamilie ist mehr als bereit, sich zu kümmern und Cate zu integrieren. Alles perfekt, oder? Cate jedoch fehlen das Großstadtleben, ihre Freundinnen, ein Beruf. Wochenlang schafft sie es nicht, die Umzugskartons auszupacken und das Haus einzurichten, was abends, wenn ihr Mann heimkommt, zu Vorwürfen und Streit führt. Die Situation, in der Cate sich befindet, und die damit einhergehende leichte Depression sind bei Müttern sicher nichts Seltenes. Gesprochen wird darüber allerdings kaum, im gesellschaftlichen Diskurs ist kein Raum dafür. Der indirekte Vorwurf: Warum reicht dir dein Baby nicht aus, um dich zu erfüllen und absolut glücklich zu machen?

Zahllose Mütter leiden unter den gängigen – und unrealistischen – Vorstellungen einer »guten Mutter«. Die ideale Mutter ist allein schon durch die Existenz ihrer Kinder zufrieden, bringt ohne Probleme Haushalt, Erziehung und Beruf unter einen Hut und selbstverständlich achtet sie dabei noch auf sich selbst, ist ausgeglichen und gut gelaunt. Schön wär’s! Denn was nicht wahrgenommen wird, sind die schlaflosen Nächte vor allem zu Beginn der Mutterschaft, später der durchgetaktete, stressige Alltag zwischen Kindergarten oder Schule, Haushalt, Hausaufgaben und Job. Frau selbst – die eigenen Interessen und Freundschaften – stehen dabei an zweiter, dritter Stelle. Die Erwartungen an Mütter von durchgehender Zufriedenheit und die eigenen als auch die gesellschaftlichen Ideale führen zu einer ständigen Erschöpfung, die an sich selbst schon tabu ist. Durch die Überforderung können jedoch auch (postnatale) Depressionen und psychische Zusammenbrüche entstehen. Das Thema Mutterschaft wird inzwischen auch in der Wissenschaft aufgegriffen. Die Soziologin Christina Mundlos spricht von einem »Muttermythos«. Das Bild der Supermutter führt häufig zu Druck und Selbstzweifeln bei vielen jungen Müttern, denn eine Rabenmutter möchte niemand sein. Mütter, die beispielsweise nicht stillen können, sehen sich selbst als schlechte Mütter und werden zum Teil auch als solche angesehen. Durch die Gesellschaft werden Frauen manchmal auch in die Mutterschaft gedrängt, so Mundlos. Die Studie »Regretting Motherhood« der Soziologin Orna Donath sorgte in Deutschland für einen Aufschrei und eine monatelang andauernde Debatte. Mutterschaft und Reue sind zwei Konzepte, die in Kombination ein absolutes Tabu sind.

Aber bin ich wirklich eine schlechte Mutter, wenn ich jetzt nicht noch vegane Dinkelplätzchen für die nächste Weihnachtsfeier meines Kindes backe, sondern ihm gekaufte Lebkuchen aus dem Supermarkt mitbringe? 

Gleich mal vorneweg: Es soll keinesfalls abgestritten werden, dass auch zunehmend Väter Mit- oder auch die Hauptverantwortung für Kinder und Haushalt übernehmen. Umfragen ergeben jedoch immer wieder, dass sich meistens Frauen um den Haushalt kümmern, auch wenn beide Partner*innen in Vollzeit arbeiten. In Deutschland sind fast 80 % der Hauptverdienenden männlich, während ein ähnlich hoher Anteil der Mütter in Teilzeit arbeiten. Wie die Zahlen zeigen, tragen somit nach wie vor hauptsächlich Mütter die Care- und Hausarbeit.

Soweit also die Ausgangssituation – wie wirkt sich nun die Pandemie auf Mütter aus? Laut einer Studie des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung Berlin (DIW) leiden junge Mütter am stärksten unter der Coronakrise. Mögliche Gründe dafür sind auch die geschlossenen Kindergärten und Schulen, wodurch die Eltern selbst die Betreuung übernehmen müssen. Die Befragung zeigt, dass die Zufriedenheit der Frauen deutlich gesunken ist, während die der Väter gering abgenommen hat. Das Homeschooling und die Kinderbetreuung bleibt an den Müttern hängen; in diesem Zusammenhang wird von einer Re-Traditionalisierung gesprochen. Was jedoch auch erwähnt werden muss ist, dass nach der Studie auch die Väter im Durchschnitt mehr Zeit für die Kinderbetreuung aufbringen.

Durch die Coronakrise passieren also gerade zwei Dinge: 

Einerseits wird mehr über die Belastungen von Eltern, insbesondere von Müttern, durch Lockdown, Homeoffice und Homeschooling gesprochen. Eigentlich selbstverständlich, dass in so einer Situation nicht alles immer idyllisch und Friede, Freude, Eierkuchen ist. Sucht man* bei Google nach »Einsamkeit junger Mütter«, ploppen zahlreiche Berichte über Einsamkeit auf Websites zum Thema Familie auf; in vielen Foren wird sich darüber ausgetauscht. Nicht selten geht die Familiengründung mit Jobwechsel und Umzug einher, so dass das soziale Netzwerk wegfällt. Selbst wenn man* 24/7 sein eigenes Kind um sich hat, ist das nicht genügend menschliche Nähe und sozialer Austausch für einen Erwachsenen. Und neue Menschen, andere junge Mütter kennenzulernen – was ja oft über das Kind durch Krabbelgruppen und den Kindergarten geschieht –, um sich über den ungewohnten Alltag und die Überforderung auszutauschen und verstanden zu fühlen, gerade das ist jetzt schwierig und fällt aus Angst vor Ansteckungen, gerade während der Schwangerschaft, weg. 

Eine etwas positivere Entwicklung im Zuge der Pandemie ist die Tatsache, dass Begriffe wie Mental Load öfters fallen. Dass Männer nun wissen, was Mental Load bedeutet, ist laut der Zeit eines der 50 Dinge, die 2020 doch nicht so schlecht waren. Wie schon festgestellt wurde, ist Hausarbeit nicht mehr alleine Frauensache; auch Männer kochen, waschen, putzen. Die alltägliche Denkarbeit, die Verantwortung, das Managen und Kümmern – alles Synonyme für Mental Load – bleibt jedoch den Frauen überlassen. In vielen Beziehungen und Familien hat eine Person den Überblick: Sie denkt an die Termine, das Müllrausbringen, das rechtzeitige Besorgen von Geschenken, daran, wer das Kind vom Fußball abholt und dass demnächst alle mal wieder zur Zeckenimpfung müssen und man* beim Arzt anrufen sollte. Die Anderen sind lediglich die »Befehlsempfänger*innen«, die positive und negative Kritik äußern. Dass ohne diese Denkarbeit der Laden nicht laufen würde, ist klar. Dass dieses ständig-immer-an-alles-denken-müssen anstrengend ist, logisch. Aber ein Bewusstsein für die durchgehende Verantwortung der Mütter besitzen die wenigsten. Wie kommt es dazu, dass gerade Frauen den Mental Load übernehmen? Eine Rolle spielt die Prägungen durch Erziehung und Rollenmuster, die man* vor allem in herausfordernden Zeiten (Corona!) automatisch übernimmt, da sie Sicherheit und Vertrautes bieten. Verstärkt wird dieses Phänomen durch den eigenen Perfektionismus, eine perfekte Mutter sein zu wollen und somit »etwas lieber gleich selbst erledigen zu wollen«. Auch hier sieht man* wiederholt die Auswirkungen persönlicher und gesellschaftlicher Verantwortung. Kleiner Tipp: Ein unüberlegtes, gut gemeintes »You should have asked!« oder »Warum hast du nicht einfach gesagt, dass du Hilfe brauchst?« ist da eher nur das Öl im Feuer. Mit dieser Aussage entziehen wir uns selbst dem Mental Load und schieben die Verantwortung ausschließlich unserem Gegenüber zu. Die französische Zeichnerin Emma, stellt in ihren Comic solche alltäglichen Szenen mit Witz und Humor dar. 2018 ist ihr Buch »The Mental Load« erschienen. 


Mutterschaft kann sehr wohl bereichernd sein, wie es zahlreiche Mütter empfinden. Sie kann aber auch anstrengend und überfordernd sein – und auch dafür sollte es in unserer Gesellschaft Raum geben; Raum für das vermeintlich unperfekte Muttersein. Frauen sollten sich ganz frei von gesellschaftlichen Erwartungen für oder gegen die Mutterschaft entscheiden können. Partner*innen könnten lernen, sich den Mental Load zu teilen. An junge Mütter sollten nicht ungefragt eigene Meinungen über die ideale Mutter herangetragen werden, um so noch mehr Druck aufzubauen. Die vegane-Dinkelplätzchen-Mutter ist nicht automatisch eine bessere oder liebevollere Mutter als die Dr. Oetker-Backmischung-Mutter.

Beitragsbild: © Emma

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