Eine von zwei

Eine von zwei

58% der Frauen und Mädchen in Deutschland wurden im Laufe ihres Lebens sexuell belästigt. Das ist mehr als jede zweite Frau. Schauen wir uns einmal um und zählen nach. Ich fange an: »Eins« Ich bin eine von zwei.

von Paula Dowrtiel

Eine von zwei Frauen bzw. Mädchen hat sexuelle Belästigungen erlebt.

Einer von zweien wurde unter das T-Shirt gefasst, noch bevor sie ihren ersten Kuss hatte. 

Eine von zwei hat sich mit vierzehn die Tränen von den Wangen gewischt, ihren Rock zugeknöpft und genau in dieses Moment gelernt, dass für manche ihr Nein kein Nein ist. 

Sie konnte diesen Rock danach nie wieder anziehen. 

Einer von zweien wurde auf der Straße hinterhergerufen und sie wurde im Club begrapscht.

»Aber du hast mich doch angelächelt.«

Von ihr wurden heimlich Bilder im Bikini gemacht. Diese wurden dann an ihre Freunde weitergesendet. 

Noch bevor sie in die zehnte Klasse gekommen ist, wurden ihr die ersten ungefragten Nacktbilder geschickt. »Und wenn du mich wirklich lieb hast, dann schickst du mir ein Bild zurück.«

Ist das Liebe?

Für eine von zwei hat sich sexuelle Intimität lange Zeit wie eine Verpflichtung angefühlt, etwas, was sie ihrem Gegenüber schuldet. Sie hat für all die Dinge die Schuld bei sich selbst gesucht und gedacht, dass sie nicht das Recht hätte, traurig oder verletzt zu sein. Eine viel zu lange Zeit hat sie sich aus Angst und Scham niemandem anvertraut. 

Heute will sie sich eine Stimme geben, eine Stimme, die ihr in so vielen Situationen genommen wurde. Heute traue ich mich zu sagen:

»Ich bin eine von zwei Frauen.«

Sexuelle Belästigung, sexualisierte Gewalt und Missbrauch sind kein abstraktes Konstrukt. Sie sind eine Lebensrealität. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ermittelte, dass 58 % der befragten Frauen und Mädchen zwischen 16 und 85 Jahren bereits sexuelle Belästigung erlebt haben. Fast jede siebte, 13 % der Befragten, wurde Opfer von sexualisierter Gewalt. Hierbei muss man anmerken, dass diese Studie schon ein paar Jahre alt ist und Ermittlungen aus anderen Ländern, wie beispielsweise Österreich, die Anzahl an Betroffenen noch um einiges höher schätzen. Die Dunkelziffer ist hoch. Viele Betroffene haben Angst davor, sich jemandem anzuvertrauen. Anderen wird nicht geglaubt. »Was hattest du denn an? Warum bist du nicht gegangen? Womit hast du denn gerechnet, wenn du dich so verhältst?« Dieses Narrativ, das sogenannte »victim blaming«, macht aus Opfern Mitschuldige und verstärkt die Scham, die Angst sowie die Schuldgefühle der Betroffenen. Jede Person kann Opfer sexueller Belästigung oder sexualisierter Gewalt werden und die Schuld haben ausschließlich die Täter:innen.

Heute denke ich zurück an mein vierzehnjähriges Ich und würde ihr gerne sagen: »Du bist nicht schuld an dem, was andere Leute dir angetan haben. Wir müssen uns nicht verstecken, wir müssen uns nicht schämen und wir müssen damit nicht alleine klarkommen!«

Für all die, die Hilfe brauchen:

0941 2 41 71 – Frauennotruf Regensburg 

0800 116 016 – Gewalt an Frauen 

0800 123 9900 – Gewalt an Männern

0800 22 55 530 – Hilfetelefon sexueller Missbrauch

Beitragsbild: Jolly Yau via Unsplash

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