Speichern auf Generalverdacht

Speichern auf Generalverdacht

Vorratsdatenspeicherung beschäftigt die deutsche Politik seit sechs Jahren. In Regensburg diskutierten im November Politiker, IT-Leute und Bürger über den Sinn und Unsinn massenhafter Speicherung von Kommunikationsdaten.

 

Die Diskussion unter dem Motto “Grundgesetz vs. Sicherheit” im dritten Stock des Alten Finanzamtes war absurd: Die Vorratsdatenspeicherung (VDS) ist so unpopulär, dass niemand sie offensiv verteidigt, trotzdem debattierten alle, wie sie denn am besten eingeführt wird. Immerhin fanden die Veranstalter eineinhalb Personen, die die Vorratsdatenspeicherung öffentlich verteidigen wollten. Die ganze Person war Peter Schall, stellvertretender Landesvorsitzender der Polizeigewerkschaft in Bayern, die halbe Person Ronald Kaiser, der stellvertretende Vorsitzende von CSUnet, einem Arbeitskreis der CSU, der sich mit Netzpolitik beschäftigt. Er machte keine klare Aussage darüber, wie er abstimmen würde. Er könne den Sinn der VDS nachvollziehen, aber eigentlich sei er gegen sie.

Das Podium war mit Gästen aus verschiedenen Bereichen besetzt: Politiker der SPD und der CSU waren da, ein IT-Fachmann, ein Rechtsanwalt, ein Polizist und ein Gewerkschaftler, der Aufsichtsratsmitglied der Telekom war, die ihn ausspioniert hat. In den ersten Reihen saßen Vertreter der Jugendorganisationen der Parteien neben bärtigen Männern von philosophischen Vereinigungen, dahinter ging es tendenziell jung, alternativ und männlich zu, gerne mit schwarzen Kapuzenpullis oder T-Shirts mit dem Logo der Piratenpartei. Der Veranstalter AK Vorrat ist ein deutschlandweiter Arbeitskreis mit lokalen Ablegern, der „sich gegen die ausufernde Überwachung im Allgemeinen und gegen die Vollprotokollierung der Telekommunikation und anderer Verhaltensdaten im Besonderen einsetzt“, so ihre Selbstbeschreibung.

Status: Verfassungswidrig

Die Vorratsdatenspeicherung ist deshalb so pikant, weil sie zwei Grundrechte einschränkt: die informationelle Selbstbestimmung und das Fernmeldegeheimnis. Jedem deutschen Bürger wird qua Gesetz zugesichert selbst bestimmen zu dürfen, wie und ob persönliche Daten verwendet werden. In Artikel 10 des Grundgesetzes ist zu lesen, dass „das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis unverletzlich sind“.  Das sieht auch das Bundesverfassungsgericht so und hat deshalb die Vorratsdatenspeicherung, wie sie eine EU-Richtline vorschreibt, im Frühjahr vor fast zwei Jahren als verfassungswidrig eingestuft. Seitdem ist sie in Deutschland außer Kraft gesetzt – und Deutschland seitdem vertragsbrüchig.

Es ist die Regel, dass eine EU-Richtlinie nach fünf Jahren evaluiert werden muss. Diese Evaluierung läuft im Moment. „Es ist schwierig, den Beleg der Notwenigkeit zu erbringen“, gab die Abgeordnete im Europaparlament für die SPD, Birgit Sippel, zu Bedenken. Sie ist Mitglied im Innenausschuss des Europaparlaments und damit direkt für die VDS zuständig. Zur Aufklärung von Straftaten würde ja nicht die VDS als einziges Mittel verantwortlich sein, sondern ein ganzes Bündel an Maßnahmen. Wird in der Evaluierung ein negatives Urteil gefällt, wäre das eine Möglichkeit, von der EU-Richtlinie Abschied zu nehmen. „Der Staat ist im Begründungszwang, wenn er Bürgerrechte einschränkt. Bisher gibt es dafür aber keinen empirischen Nachweis”, meint der Fachanwalt für IT-Recht Thomas Stadler.

Wer anonym sein will, kann das auch

Warum gibt es überhaupt eine EU-Richtlinie, die es den Mitgliedstaaten der EU vorschreibt, die Kommunikationsdaten seiner Bürger zu speichern? Terrorismus und schwere Straftaten wie organisierte Kriminalität sollen durch Polizei und Geheimdienst effektiver verhindert werden, indem die Ermittlungsbehörden in diesen Fällen Zugriff auf die Daten bekommen. Doch der Dresdener Stefan Köpsell, der sich mit IT-Sicherheit beschäftigt, hält davon nichts: „Wenn sich die Leute halbwegs clever verhalten, wird man sie nicht erwischen”, glaubt er. Denn trotz einer VDS gäbe es weiterhin Wege, anonym zu kommunizieren. Zum Beispiel kann man Prepaid-Karten nutzen oder mit Hilfe von Suchmaschinen innerhalb weniger Minuten Anonymisierungsdienste finden. “Es gibt genug Möglichkeiten, weiterhin anonym zu sein”, so Köpsell. Wenn also Terroristen und schwere Straftäter etwas verbergen wollen, können sie das ohne großen Aufwand und technisches Wissen tun. Köpsell fragt sich deshalb, wer eigentlich die Zielgruppe der Vorratsdatenspeicherung sein soll – zumal die VDS-Maßnahmen eher Privatpersonen und Kriminelle treffen würden.

Vielleicht kann ja Peter Schall von der bayerischen Polizeigewerkschaft die Frage beantworten, warum Ermittlungsbehörden die VDS brauchen? Schall zählt deshalb auf, in welchen Bereichen der Einsatz von vorher gespeicherten Telekommunikationsdaten hilfreich gewesen sei, beispielsweise bei Fällen der Kinderpornografie oder rechter Hetze. Sein immer wieder aufgegriffenes Paradebeispiel waren gefasste Diebe von Baumaschinen. Damit zog er schnell die Kritik und Häme des Publikums und Podiums auf sich. Da stelle sich die Frage der Verhältnismäßigkeit: „Grundrechte sollten nicht für mindere Straftaten aufgegeben werden“, sagte der Anwalt Stadler.

Das zeigen auch Zahlen aus dem Bundesjustizministerium zur Telekommunikationsüberwachung. Der Blogger Richard Gutjahr hat sie ausgewertet und kommt zu einem klaren Ergebnis: „Die Überwachungsmaßnahmen kommen nicht etwa zur Terrorbekämpfung oder im Kampf gegen Kinderpornographie zum Einsatz – sondern überwiegend bei Drogenhandel, Raub und Diebstahl.“

Der IT-Anwalt Stadler glaubt, dass die VDS zu sehr aus der Sicht von Ermittlungsbehörden gestaltet wurde. „Die bürgerrechtliche Sicht wird vernachlässigt“, meint er. In diese Kerbe schlägt auch Armin Schmid vom AK Vorrat: „Es ist nicht ganz klar, wer Interesse an der VDS hat.“ Er beklagt auch die Schwierigkeiten, Einfluss auf die Gesetzgebung zu nehmen. „Wir kommen auf EU-Ebene nicht hinterher“, sagt er. Probleme liegen in den verschiedenen Sprachen, der schwierigen Informationsbeschaffung bei EU-Behörden und der fehlenden Finanzierung der ehrenamtlich Tätigen. „Irgendwann geht denen auch die Luft aus“, sagt er resigniert. Schließlich laufe der Kampf gegen die VDS schon seit sechs Jahren: „Bürgerrechte haben einfach keine große Lobby.“ Innerhalb der EU ist die Skepsis gegenüber der VDS nicht überall so ausgeprägt wie in Deutschland. Vor allem Großbritannien und Spanien sehen auf Grund ihrer Erfahrung mit Terroranschlägen kein großes Problem. „In Deutschland dagegen ist die Vorratsdatenspeicherung politisch tot“, glaubt Schmid.

Wiederkehrendes Mantra: Nicht alles machen, was die Technik hergibt

Eines ist augenfällig: Die IT-Community, also per se die Technik-Enthusiasten, spricht sich so gut wie geschlossen gegen die Vorratsdatenspeicherung aus. Immer wieder taucht der Satz auf: Nicht alles, was technisch möglich ist, sollte gemacht werden. „Das ist nämlich die Grenze zwischen Rechts- und Unrechtsstaat”, sagt Thomas Stadler, der auch das Blog internetlaw.de betreibt. Dazu komme, dass die technische Umsetzung fehlerhaft sei. Köpsell fand dafür klare Worte: „Man hat eine Methode, die nicht funktioniert. Weil man keine neue hat, nutzt man die, die nicht funktioniert.“ Er plädiert dafür, stattdessen die Ursachen des Terrorismus anzugehen. In der Offlinewelt entspräche die VDS nämlich als Mittel zur Terrorbekämpfung dem Offenlassen der Haustüre bei gleichzeitiger Installation einer Kamera, um zu sehen, wer ein und aus geht.

Angenommen, die VDS wird in Deutschland wieder eingeführt. Wie kann die Datensicherheit aufrecht erhalten werden, die das Bundesverfassungsgericht verlangt? Überhaupt nicht, glaubt IT-Experte Köpsell. „Ich gehe davon aus, dass die Daten aus der VDS früher oder später gehackt werden.“ Theoretisch sei Datensicherheit zwar umsetzbar, aber dafür bedürfe es hoher Investitionen. Es ist für Köpsell unwahrscheinlich, dass diese auch gemacht werden. Denn die Kosten für die Speicherung liegen laut Richtlinie bei den Providern.

Ismail Ertug, der Abgeordnete im Europaparlament für die Oberpfalz und Niederbayern, fragte immer wieder nach Alternativen: „So funktioniert Politik. Wenn ich eine Idee ablehne, muss ich mit einer anderen kommen.“ Armin Schmid vom AK Vorrat schlug ein Moratorium vor. Dabei sollen beispielsweise für die Dauer von einem Jahr keine neuen Sicherheitsgesetze mehr beschlossen werden und die alten, die seit dem 11. September erlassen wurden, einer „Gesamtschau“ unterzogen werden. „Das ist der sinnvollste gangbare Weg, denn der Kampf gegen den Terror kann nicht ewig dauern“, so Schmid. Ein anderes, immer wieder kurz in den Raum geworfenes Konzept trägt den Namen „Quick Freeze“. Im Unterschied zur Vorratsdatenspeicherung sichert es die Daten nicht pauschal von jedem, sondern nur, wenn ein konkreter Anlass dazu besteht. Die Grünen sprachen sich bei ihrem Parteitag im November 2011 dafür aus.

Das Schlusswort nach einem langen Abend über Vorratsdatenspeicherung, Grundrechte und das Internet hatte der Informatiker Köpsell, der fatalistisch meinte: „Falls die Vorratsdatenspeicherung doch wieder eingeführt wird, hoffe ich, dass die Daten durch irgendeine Magie sicher sind.“

 

Text von Katharina Brunner

Foto von Sven Seeberg

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