Schreibwerkstatt: »Leinwand der Stadt«

Schreibwerkstatt: »Leinwand der Stadt«

Text zum Thema »Spuren« der Printausgabe 36 der Lautschrift. Geschrieben im Rahmen der Schreibwerkstatt (Prof. Dr. Jürgen Daiber) an der Universität Regensburg.

von Maximilian P. Hasenöhrl

Ich ziehe meiner Wege, hinaus ins graue Gebäude. Es schneit. Mir ist kalt. Es riecht nach Abgasen. Wer ich bin? 20.30.626! Aus Namen mache ich mir nicht viel, wieso sollte ich auch? Meine Schuhe versinken im matschigen, angegrauten Schnee und hinterlassen das sportlich-elegante Profil meiner Air Force 1. Nervosität und Optimismus schwingen konjunkturell hinein in meinen Alltag. Ich liebe dieses Gefühl von Zufriedenheit und Panik. Ebbe und Flut fügen eine See nahtlos in eine Landschaft, verweben diese mit den höheren Mächten von Nacht und Mond. 

Ich marschiere weiter, vorbei an den vielen Autos und Gebäuden. Einkaufengehen hat etwas Meditatives, das muss man zugeben. Ich bin aktuell vorsichtig mit meinem Mentalgame. Während ich so durch die Stadt gehe, fühl ich mich wie ein NPC aus einem Videospiel. Obwohl ich mühevoll programmiert und mit Liebe zum Detail designt wurde, werde ich weder beachtet noch lässt sich einer dazu herab, mich eines ernsten Blickes zu würdigen. Und ja, ich würde es nicht einmal angenehm finden, wenn man mich eines ernsten Blickes würdigen würde. Fühlen, wie das so ist, will ich aber trotzdem. Je mehr Menschen ich sehe – mal mit Kopf ins Smartphone gesenkt, mal mit Kopfhörern in den Ohren und generischem Blick gen Nase nach gerichtet – desto mehr füge ich mich freiwillig in die Szenerie. 

Jeder Ton in meinen Ohren fügt sich zu einer Symphonie aus Lärm zusammen, komponiert von den zahlreichen Einflüssen meiner Umgebung. Ich stelle mein Gedankenkarussell auf Off und lass meine Umgebung ihre Spuren auf mich projizieren: Hupende Autos, quasselnde Menschen, zugeschlagene Türen, die in den Bahnhof eintreffende Bahn, Tauben, Hunde – gleichsam einem Meer aus Farben. Ich bin ihre demütige Leinwand, geschaffen, um bemalt zu werden. Je weniger in mir vorgeht, desto mehr nehme ich wahr. Meine Sorgen und Zufriedenheit weichen und ich kanalisiere das Chaos.

Mein Spaziergang neigt sich dem Ende und ich komme völlig benutzt, dennoch vollendet in bekannte Gefilde. Es wird wieder ruhiger um mich herum und mein kognitives Pingpong beginnt von neuem. Doch nach jedem Spaziergang ist es anders. Nicht weniger belastend, aber anders. Der Filteraufsatz vor meiner Linse wurde abermals getauscht. Neue Dinge dringen hinein, gewisse alte Reize werden nie wiederkommen. Ich fühle mich wie eine Schiefertafel, die jeden Tag neu gelöscht und beschrieben wird. Doch dieser eine Kreiderest in der linken unteren Ecke bleibt. Ich halte inne und bin ganz bei mir, wie all die Reize um mich herum nicht mir gehören und doch ein Teil von mir sind.

Beitragsbild: StockSnap I pixabay

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