Eins werden – »As One« am Theater Regensburg

Eins werden – »As One« am Theater Regensburg

Hannah fühlt sich dem ihr zur Geburt zugeordneten Geschlecht nicht zugehörig. Zwischen Bibliotheksbüchern und Norwegen ergründet sie ihre Identität als Transfrau. Ein Stück über die Wirren und Wunder des Sich-Selber-Findens, mit dem wir alle uns identifizieren können.

Von Anouk Sonntag

»As One« ist die allererste Oper überhaupt, die sich der Geschichte einer transidenten Person widmet. Auch musikalisch ist das Stück angenehm unkonventionell, das Bühnenbild minimalistisch und die Texte zugänglich. Seit ihrer Uraufführung 2014 ist »As One« die meist-inszenierte Oper Nordamerikas. Das Theater Regensburg bringt die Kammeroper nun zur Erstaufführung im deutschsprachigen Raum. Die Thematik leistet einen essentiellen Beitrag zum diesjährigen Spielplanmotto »Identitäten« und lockt sicherlich den einen oder die andere Zuschauer:in an, die normalerweise nicht das Opernglas zücken.

Wachsen und werden

Wenn Hannah (Michael Daub und Patrizia Häusermann) morgens die Zeitungen austrägt, zieht sie sich manchmal heimlich die Bluse an, die sie von der Wäscheleine der Nachbarin geklaut hat. In der Schule beanstandet die Lehrerin ihre Handschrift – zu ausladend, zu viele Schnörkel. Als die Klasse für den Aufklärungsunterricht in Jungen und Mädchen eingeteilt wird, wünscht sich Hannah, sie wäre im anderen Raum.

Das Leben der jungen Frau wird in drei Teilen erzählt. Wir lernen Hannah als amerikanischen Teenie kennen, der noch fieberhaft versucht dem normativen Jungenbild zu entsprechen. Weicht sie davon ab, so ist es äußerst vorsichtig und immer mit dem Gefühl, etwas Verbotenes zu tun. Durch einen Beitrag im Fernsehen kommt zum ersten Mal die Ahnung auf, dass es ein Wort gibt, das Hannahs Zerrissenheit beschreibt, dass sie vielleicht nicht allein ist. Sofort durchforstet sie die Stadtbibliothek nach mehr Informationen zu Transidentität, liest so viele Bücher sie finden kann. Noch fürchtet sie das Urteil anderer, verbirgt ihre Lektüre hinter anderen Büchern.

Die Zeit im College ist für Hannah von Momenten stärkerer Selbstsicherheit begleitet, aber auch von solchen des Zweifels. Sie spürt die Euphorie, als der Mensch gesehen zu werden, der sie ist, muss aber auch Gewalt und Hass erfahren. Auch als sie sich zu einer Hormontherapie entschließt, verstärken sich die Gefühlsextreme. Vorsichtige Flirts sowie das angespannte Verhältnis zu den Eltern prägen die Achterbahnfahrt Hannahs zweiter Pubertät.

Norwegen war schon immer ein Sehnsuchtsort für Hannah, davon zeugt das leuchtende Neonröhren-»Norway« an ihrer Wand. Zwar bleiben die ersehnten Polarlichter aus, doch wird die Stille Skandinaviens für Hannah zum Selbstfindungsort. Zwischen Bootsunglücken und tiefer Einsamkeit sehen wir ihr dabei zu, wie sie eins mit sich wird.

Dabei ist es völlig egal, dass »eins mit sich werden« in Hannahs Fall bedeutet, glücklich und selbstbewusst mit ihrer Identität als Transfrau zu sein – jede Person im Saal kann sich wohl in diesem Prozess wiederfinden. Sei es die Art der Beziehung, die wir zu unseren Mitmenschen pflegen, die persönliche Handschrift oder jedweder andere Aspekt, der unser Leben prägt, die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität ist universal.

Die Inszenierung

Die Oper vermag es durch ihre wunderbar feinfühlige Inszenierung einem sehr heterogenen Publikum zu entsprechen. As One profitiert sehr von der engen Zusammenarbeit des Autor:innentrios, bestehend aus Laura Kaminsky, Mark Campbell und Kimberly Reed. Reeds eigene Erfahrungen als Transfrau sind dabei maßgeblich in den Prozess eingeflossen, was der Oper eine starke Unmittelbarkeit verleiht. Es ist spürbar, dass den Texten durch so viel Persönliches eine große Verletzlichkeit innewohnt.

So großen Emotionen tut die schlichte Bühnenausstattung gut. Durchgehend im gleichen Türkiston gehalten, bildet Hannahs Zimmer den Hintergrund für die Handlung. Statt etwa eine einzige Person Hannah spielen zu lassen und eine Transition zu imitieren, wird die Hauptfigur in ihrer jüngeren Version von Michael Daub (Bariton) und Patrizia Häusermann (Mezzosopran) verkörpert. Beide sind zu allen Zeiten gemeinsam auf der Bühne zu sehen, necken, unterbrechen, übertönen, umarmen und trösten sich. Dieser sensible Kunstgriff fand beim Publikum sichtlich Anklang.

Reibung und Harmonie

Mit der Hoffnung auf klassische Opernklänge sollte man »As One« lieber nicht betreten, denn kunstvolle Arien erwarten das Publikum nicht unbedingt. Doch sind eventuelle Dissonanzen keinesfalls Missklänge, sondern immer auch passend zur Handlung. Als Hannah einen transfeindlichen Übergriff erleidet zum Beispiel, geht die Musik tief unter die Haut und verleiht dem Schrecken Ausdruck.

Dass das Streichquartett und die zwei Sänger:innen, die Hannah verkörpern, alle zusammen auf der Bühne agieren, stellt auch am Theater Regensburg ein Novum dar. Es herrscht eine spürbar harmonische Dynamik – zeitweise scheint es sogar, als würden die Musiker:innen ebenfalls jüngere oder ältere Versionen Hannahs darstellen. Besonders die Bratsche bewegt sich mitunter abseits der anderen, doch lösen sich die Reibungen immer wieder in wohlige Harmonien auf, die einen durch das Stück tragen.


Die Oper wurde mit einer Pressekarte besucht

Beitragsbild: Ensemble © Marie Liebig

As One läuft noch bis Anfang März im Theater am Haidplatz. Karten und weitere Informationen gibt es auf der Website des Theater Regensburg.

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