Die Psychologie hinter Neujahrsvorsätzen

Die Psychologie hinter Neujahrsvorsätzen

Jedes Jahr machen sich viele Menschen Neujahrsvorsätze, obwohl sie sich am Ende des nächsten Jahres wahrscheinlich an die meisten nicht mal mehr erinnern können. So ging es auch unserer Redakteurin Jahr für Jahr, doch bevor 2024 anfängt wollte sie herausfinden, wie sie sich das Wissen aus der Psychologie zu Nutze machen kann, um im nächsten Jahr ihre Ziele zu erreichen (diesmal wirklich!). Die gefundenen Informationen und Tipps gibt es in diesem Artikel!

von Jule Schweitzer

Jedes Jahr ab Mitte Dezember startet die gleiche Diskussion mit mir selbst: Mache ich mir Neujahrsvorsätze oder nicht? Meistens gehe ich erstmal dazu über, mir die Vorsätze des letzten Jahres durchzulesen. Währenddessen stelle ich in der Regel fest, dass ich mindestens ein Drittel nicht eingehalten habe. Wiederum die Hälfte davon, weil sie mir im Laufe des Jahres nicht mehr wichtig waren und ich mich frage, was mich daran überhaupt gereizt hat. Einige Ziele habe ich dennoch erreicht, bin aber auch nur so mittelmäßig stolz darauf. Mein Leben hat sich durch sie nicht geändert und ich bin (größtenteils) immer noch die gleiche Person wie Silvester 2022.
Trotzdem werde ich wahrscheinlich auch dieses Jahr wieder Neujahrsvorsätze festlegen. Laut einer Umfrage der Seite appinio setzten 2023 51 Prozent der Deutschen Ziele fest, obwohl nur 23 Prozent sie auch Ende des Jahres noch verfolgten. Warum machen wir es trotzdem immer wieder, wer hat damit angefangen und wie kann ich mir sinnvolle Ziele setzen und diese dieses Jahr auch erreichen?

Die historische Herkunft von Neujahrsvorsätzen ist umstritten. Einige Expert:innen sprechen von einem Beginn zur Zeit des römischen Reiches, andere sehen die Säkularisierung und damit das Loslösen vom Fokus auf religiöse Bräuche und Normen einerseits als Beginn der Neujahrsfeiern, andererseits der guten Vorsätze. Eine Rückdatierung zum zeitlichen und örtlichen Ursprung von Neujahrsvorsätzen gibt es nicht.

Wichtig ist, dass viele Menschen sich spätestens zum 31.12. immer wieder Ziele setzen und im Laufe des Jahres daran scheitern. In meiner Recherche habe ich ziemlich schnell herausgefunden, was ich jedes Jahr falsch gemacht habe und wie einfach diese Fehler zu beheben sind, um mich nicht von vornherein zum Scheitern zu verurteilen.

Zielsetzung in der Neurobiologie

Letztendlich ist alles, was wir tun, und wie es auf uns einwirkt, auf irgendeinen biologischen oder neurologischen Vorgang herunterzubrechen. So auch, sich Ziele zu setzen und sie zu erreichen. Die neurologischen Grundlagen sind natürlich etwas komplexer, als ich sie hier beschreiben werde, aber grob sind vier Bereiche wichtig, die einen neuronalen Schaltkreis der Zielsetzung und -verfolgung bilden:
Der erste Bereich ist die Amygdala, ein Gehirnareal, das in der Psychologie oft bei Emotionen, besonders bei Furcht, eine Rolle spielt. Viele unserer Ziele haben mit der Vermeidung von Situationen oder Zuständen zu tun, zum Beispiel fehlende Gesundheit oder schlechte Noten.
Der zweite Bereich ist das ventrale Striatum, ein Teil des Schaltkreises der Basalganglien, der in den Go- und den No-Go-Schaltkreis aufgeteilt ist. Hier wird also entschieden, ob eine Aktion durchgeführt wird oder nicht.
Der dritte und vierte Bereich liegen im Kortex, das heißt in der Großhirnrinde. Die beiden relevanten Kortexbereiche sind der präfrontale Kortex (verantwortlich für höhere kognitive Prozesse wie Planung) und der orbitofrontale Kortex (u.a. verantwortlich für den Vergleich der aktuellen Emotionslage und der zukünftigen, wenn eine bestimmte Aktion ausgeführt oder ein Ziel erreicht wurde).

Um zu verstehen, welche Elemente der Zielverfolgung neurologisch eine Rolle spielen, muss man nicht unbedingt verstehen, wie die einzelnen Bereiche genau agieren oder aktiviert werden. All das bedeutet für das Verfolgen von Zielen zwei Dinge: Der Verfolgung und dem Ziel selbst wird immer ein bestimmter Wert zugeschrieben, der entscheidet, welche Handlungen im Moment ausgeführt werden und welche eben nicht. Der Wert ist besonders wichtig, da es einen bestimmten Neurotransmitter gibt, der eine modulierende Rolle in diesem Schaltkreis spielt: Dopamin. Dopamin wird grob gesagt genau dann ausgeschüttet, wenn etwas für uns einen positiven Wert hat und die Ausschüttung von Dopamin in unserem Körper ist für ihn Belohnung und Motivation. Ein regulärer Zufluss von Dopamin ist also ein regulärer Zufluss von Motivation.
Nachdem die neuronalen Bedingungen für Zielsetzung und -verfolgung nun geklärt sind, ist Motivation genau das richtige Stichwort, um sich einige psychologische Aspekte anzusehen.

Zielsetzung in der Psychologie (Ausschnitt)

Unzählige motivationspsychologische Theorien beschäftigen sich mit verschiedenen Augenmerken damit, was uns als Menschen motiviert und dazu beiträgt, unsere Ziele zu erreichen. Dabei geht es z.B. um Aspekte wie psychologische Grundbedürfnisse und ob unsere Motivation, etwas zu tun, extrinsisch oder intrinsisch veranlagt ist (Self Determination Theory), ob wir uns überhaupt in der Lage fühlen, die nötigen Schritte zum Ziel auszuführen bzw. ob wir das Ziel überhaupt als nötig betrachten (Self Efficacy Theory), oder sie schreiben dem Maß an Erfolg dem zu, wie sehr wir glauben, Kontrolle über den Weg zum Ziel zu haben (diverse Control Theories). Das waren nur drei Beispiele aus sehr, sehr vielen Theorien der Motivationspsychologie. Sie alle eint, dass Motivation und häufig auch der Wert, den wir einem Ziel zuschreiben, eine tragende Rolle für unser Tun spielt. Entgegen einiger Accounts auf Instagram, die kurz vor dem Jahreswechsel alle dazu überreden wollen, ihr Leben zu verändern, wie sie es getan haben, ist Disziplin nämlich nicht alles.
Und das, so kann ich zumindest für mich folgern, war Jahr für Jahr mein größter Fehler, der schon beim Formulieren meiner Ziele für das neue Jahr aufgetreten ist: Ich habe ein Ziel genommen, wie etwa, vier Mal die Woche ins Fitnessstudio zu gehen, weil irgendjemand anderes vier Mal die Woche ins Fitnessstudio geht und das ein total klassischer guter Vorsatz ist. Einen größeren Grund dahinter hatte ich oft nicht und außerdem habe ich dabei einfach ignoriert, dass das zeitlich gar nicht mit meinem restlichen Leben vereinbar ist.

Es gibt natürlich noch viel mehr psychologische Theorien, die sich mit dem Setzen und Erreichen von Zielen beschäftigen, doch es soll hier ja nicht nur um die neurologische und psychologische Theorie gehen, sondern vor allem um die Praxis. Wie kann ich denn jetzt, mit all diesem Wissen, meine Ziele setzen und wirklich erreichen?

Zielsetzung in der Praxis

1. Finde den Wert

Wenn du dir dein Ziel überlegst, überlege, warum du es erreichen willst. Was daran ist für dich wichtig? Wenn dein Ziel intrinsisch motiviert ist, ist es aus motivationspsychologischer Sicht wahrscheinlicher, dass du es erreichst.
Beispiel: Du möchtest einen bestimmten Bachelor-Schnitt erreichen, damit du deinen Wunsch-Master machen kannst. Das reicht noch nicht aus. Warum willst du genau diesen Master machen, wie sähe dein Leben aus, wenn du ihn nicht machen kannst? Der Schnitt ist vielleicht von außen vorgegeben, aber was bewegt dich persönlich dazu, ihn erreichen zu wollen?

2. Breche das Ziel herunter

Ziele sind oft sehr vage formuliert und haben für das Gehirn wenig Relevanz. Okay, vielleicht willst du am Ende des Jahres etwas erreicht haben, aber warum sollte sich das Gehirn in konkreten Augenblicken nur deshalb mit etwas Neuem beschäftigen? Auch, um dem Gehirn den für Motivation relevanten Zufluss von Dopamin zur Verfügung zu stellen, ist es wichtig, über die Zeit kleinere Ziele zu setzen und zu erreichen und nicht nur auf ein riesiges Ziel für das Ende des Jahres hinzuarbeiten.
Beispiel: Wenn ich mir allgemein vornehme, gesünder zu leben, könnte ich das herunterbrechen in: ich gehe drei Mal die Woche Sport machen und koche mein Mittagessen für die Woche vor. Jede Woche wird damit ein kleines Ziel erreicht. Und das führt uns zum nächsten Punkt:

3. Hilf dir, dich zu erinnern.

Wir mögen Gewohnheiten und verhalten uns in gewissen Situationen gerne immer wieder gleich. Verknüpfe neue Ziele mit Dingen, die du sowieso machst und gib dir gleich beim Festlegen deiner Ziele mentale Stützen, konkretisiere weiter. Stichwort Go und No-Go Regelkreise. Um beim Beispiel zu bleiben:
Montag, Mittwoch und Freitag gehe ich direkt auf dem Heimweg von der Uni in den Sport.
Immer, wenn ich eingekauft habe, koche ich gleich mein Essen vor. Dopamin jeden Montag, Mittwoch und Freitag.

4. Bewerten und Belohnen

Um deine Ziele nicht zu vergessen (wie ich fast jedes Jahr), lege Abstände fest, in denen du deinen Weg zu deinem Ziel reflektierst. Die Zeitpunkte sollten möglichst regelmäßig und gut einhaltbar sein (wöchentlich, monatlich). Das ermöglicht es dir, deine Fortschritte nicht aus den Augen zu verlieren und dich an neue Lebensumstände anzupassen (vielleicht ändert sich im Sommersemester dein Stundenplan und du schaffst es montags nicht mehr zum Sport, deshalb musst du aber dein Ziel nicht gleich aufgeben). Wie vorhin schon erwähnt, braucht unser Gehirn Dopamin, das es u.a. durch Belohnung bekommt. Wenn du Ziele erreicht hast, belohne dich. Auf Neurotransmitter-Ebene ist es schon ausreichend, wenn du dich einfach darüber freust, was du schon geschafft hast!

5. Ausreden

Jede:r kennt es: Anfang Januar ist die Motivation noch da. Du weißt, was dein Ziel wert ist, hast ein konkretes System, aber dann kommt der Februar, der März, und im Laufe der Zeit: die Ausreden. Du hast dich vielleicht noch nicht ganz daran gewöhnt, so oft zum Sport zu gehen, es regnet und die Uni war so anstrengend… Wie gesagt, das Gehirn mag es bequem.
Ich selbst habe schon oft gehört, dass man sich im Zweifel vorstellen soll, wie toll man sich fühlen wird, wenn man sein Ziel erreicht hat. Doch selbst da rede ich mich schnell wieder raus. Tatsächlich hilft es besser, sich genau das Gegenteil vorzustellen: Was passiert, wenn ich nicht den gezielten Notenschnitt erreiche, was, wenn ich nicht gesünder lebe? Unser Körper, unser Gehirn ist mehr darauf trainiert, Situationen zu vermeiden, die schlecht für uns sind, die wir fürchten (Stichwort Amygdala und orbitofrontaler Kortex).
Natürlich ist damit nicht gemeint, dass du dich zum Sport zwingen solltest, wenn du krank im Bett liegst, oder zum Lernen, wenn du dich vor Kopfschmerzen kaum konzentrieren kannst. Aber deshalb gibt es den letzten und wichtigsten Tipp:

6. Pausen und Flexibilität

Ziele sind etwas Neues, sie dürfen und sollen uns herausfordern. Aber die Schritte zum Ziel sind am besten konsequent zu bestreiten, wenn du von Anfang an mit einplanst, dass auch etwas schieflaufen kann. Das Wetter kann schlecht sein, wenn du Joggen wolltest, du könntest in der Klausurenphase krank werden… Bereite dich am besten darauf vor, wenn du deine Ziele planst. Plane Pausen und Alternativen einfach gleich mit ein.

Für Interessierte:

Eine Episode des Huberman Lab Podcasts zu der beschriebenen Neurobiologie von Zielsetzung und -verfolgung mit zusätzlichen Tipps und Tricks:

The Science of Setting & Achieving Goals – Huberman Lab

Eine Zusammenfassung der Motivationspsychologie zu Zielsetzung und -verfolgung:

Motivational Beliefs, Values, and Goals | Annual Review of Psychology (annualreviews.org)

Beitragsbild: Martin Schweitzer


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