Wintersemester/Winterblues

Wintersemester/Winterblues

Wintersemester. Alle sind ständig müde, das Wetter nervt und die Stimmung ist gedrückt. Eine psychologische Definition von Seasonal Depression, warum sie nicht jede:r hat und woher diese ganze schlechte Laune kommt.

Von Jule Schweitzer

Meine Jacke ist nass. Meine Schuhe sind nass. Und das beides gefühlt seit Wochen. Ich habe um acht Uhr morgens im Grauen das Haus verlassen und komme um 19 Uhr im Dunkeln zurück. Und jetzt? Essen, schlafen, repeat. Ich hab’ schon morgens schlechte Laune und das Gefühl, seit Tagen keine Sonne gesehen zu haben. Die grauen Wände der Uni und die fensterlosen Vorlesungssäle verstärken diesen Eindruck nur. Aber wenigstens bin ich nicht alleine damit, denn um mich herum sind alle mürrisch, unmotiviert und müde.

So oder so ähnlich sind meine Vorstellungen, wenn ich an das Wintersemester in Regensburg denke. Nach einem schönen, orangeroten Oktober folgt ein abwechselnd nasser und nebliger November, dann ein dunkler Dezember. Es schneit nun ja schon länger nicht mal mehr, außer manchmal plötzlich im März. Das ganze Wintersemester stelle ich mir dunkel, neblig, nass und kalt vor und das macht mir jetzt schon schlechte Laune. Wie gesagt, ist das aber natürlich kein Ich-Phänomen, sondern eines, das global bekannt ist. In den Herbst- und Wintermonaten scheint die Stimmung oft kollektiv gedrückt zu sein. Online wird sehr schnell mit dem Begriff Seasonal Depression um sich geworfen, als käme das genauso natürlich mit den Wintermonaten wie die Kälte. Aber was genau ist Seasonal Depression und wie viele Menschen sind wirklich davon betroffen?

Was ist Seasonal Depression?

Seasonal Depression oder eigentlich Seasonal Affective Disorder (SAD) ist eine nach dem Klassifikationssystem der American Psychiatric Association (DSM-V) diagnostizierbare Störung, ein Typ der Major Depression. Hier treten regulär depressive Symptome (wie Veränderungen im Appetit, fehlende Energie, Interessenverlust oder Veränderungen im Schlafverhalten) in den Wintermonaten auf, während die Betroffenen diese in den Sommermonaten nicht zeigen. (In seltenen Fällen können auch die Sommermonate betroffen sein, die Wintermonate dafür nicht.) In den USA haben fünf Prozent der Bevölkerung eine diagnostizierte Seasonal Affective Disorder, die meisten Symptome treten im Januar und Februar auf. Weltweit sind Menschen in Ländern, die weiter vom Äquator entfernt liegen, stärker davon betroffen. Eine SAD kann zum Beispiel durch Lichttherapie behandelt werden, und das sollte sie auch, denn ein wichtiger Faktor in der Diagnose einer SAD ist auch, dass sie für Betroffene belastend sein und die alltägliche Funktionsfähigkeit stören kann.

Während die Seasonal Affective Disorder eine ernst zu nehmende affektive Störung ist, erfolgt, wenn in den sozialen Medien davon gesprochen wird, wahrscheinlich häufig eine Pathologisierung normaler Prozesse als Reaktion auf den Wechsel der Jahreszeiten.

Warum haben wir im Winter weniger Energie?

Gelegentliche Stimmungsänderungen, sowie fehlende Energie und im Vergleich zum Sommer andere Schlafbedürfnisse sind eine Anpassung unserer Körperprozesse an die dunkleren Jahreszeiten: Unser wichtigster Rhythmus, der zirkadiane Rhythmus (regulärer Rhythmus der Körperfunktionen, wie die Regulation der Körpertemperatur oder die Schlaf-Wach-Rhythmik, in einem 24-stündigen Zyklus), benötigt zum »Ankurbeln« am besten Lichteinflüsse zwischen 7000 und 12.000 Lux, was viel mehr ist, als eine normale Zimmerbeleuchtung erreichen kann. Auch mein fünfminütiger Weg zur Bushaltestelle an einem grau-kalten Regensburger Regentag wird nicht ausreichen, um genug Licht auf meiner Netzhaut einzufangen. Eine hohe Lichtrate ist aber wichtig, um die Produktion des Schlafhormons Melatonin zu stoppen. Bei wenig Licht produziert unsere Epiphyse (Drüse im Zwischenhirn, die für die Melatoninproduktion zuständig ist) mehr Melatonin und Melatonin macht nunmal müde. Kein Wunder also, wenn ich in der ersten Vorlesung zur gleichen Uhrzeit wie im Sommer viel müder bin.

In diesem Sinne wird die Melatoninproduktion, wenn es früher (noch) dunkler wird, auch früher angekurbelt. Das führt dazu, dass man in November- und Dezembertagen ständig um achtzehn Uhr jemanden gähnend sagen hört: »Irgendwie fühlt’s sich gerade an wie zehn.« Für unseren zirkadianen Rhythmus mag das im Vergleich zur Sommerzeit nämlich wirklich so sein.

Zu guter Letzt könnten sich im Winter unsere Schlafbedürfnisse verändern, wie eine neue Studie von Seidler und Kollegen mit Proband:innen mit Schlafstörungen zeigt: Während einige Proband:innen im Winter länger schliefen, war dieser Effekt nicht wirklich signifikant. Durchaus aber zeigte sich ein signifikant größeres Bedürfnis an REM-Schlaf, dem fünften Schlafstadium, das eine wichtige Schutz- und Trainingsmöglichkeit für das Gehirn darstellt.

Die Forscher:innen konkludieren, dass eine ähnliche Untersuchung an Proband:innen mit gesundem Schlafverhalten beweisen könnte, dass wir im Winter wirklich anders schlafen müssten.

Was kann man gegen die normalen Winter Blues tun?

Doch was heißen all diese Befunde nun für uns im Wintersemester?

Erstens: Nicht so hart mit sich selbst zu sein, wenn die Energielevel nicht ganz mitspielen wollen. Das fehlende Licht und die kalten Temperaturen machen es dem zirkadianen Rhythmus schwer, so zu funktionieren wie im Sommer. Was können wir also tun, um unserem Körper und unserem Gehirn die Anpassung leichter zu machen?

  • Den inneren Schweinehund überwinden und trotzdem morgens nach draußen gehen. Auch wenn man das Gefühl hat, seit Tagen keine Sonne mehr gesehen zu haben, scheint sie ja irgendwo hinter den ganzen Wolken. Es dauert nur ein bisschen länger, bis die geringe Lichteinstrahlung die Melatoninproduktion senkt.
  • Bewegung, um das Ankurbeln des Kreislaufs nicht nur der Lichteinstrahlung zu überlassen.
  • Schlafen. Auch wenn nicht bewiesen ist, dass wir im Winter mehr schlafen müssen, kann es trotzdem sein, dass der Körper früher schlafen will. Zudem möglichst versuchen, auf Schlafhygiene und ähnliche Schlafens- und Aufstehzeiten zu achten, um den zirkadianen Rhythmus nicht noch zusätzlich durcheinander zu bringen.

Für Interessierte hier die Studie von Seidler und Kollegen:

Frontiers | Seasonality of human sleep: Polysomnographic data of a neuropsychiatric sleep clinic (frontiersin.org)

Und die Infos zu Seasonal Depression kommen von hier:

Psychiatry.org – Seasonal Aff HYPERLINK „https://www.psychiatry.org/Patients-Families/Seasonal-Affective-Disorder“ective Disorder (SAD)

Beitragsbild: Martin Schweitzer

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