Mein neuer Haarschnitt und Gender Bias

Mein neuer Haarschnitt und Gender Bias

Wie sich Sexismus auch in nett gemeinten Komplimenten einschleicht und warum mich meine neue Frisur zum nachdenken gebracht hat.

Von Eleonora Krisa

Im Dezember habe ich mich dazu entschieden, meine Haare ein ganzes Stück abschneiden zu lassen. Ich hatte schon immer lange, braune, wellige Haare. Ab und zu trug ich sie schulterlang, andere Male gingen sie mir fast über die Brust. Dieses Mal hatte ich irgendwie das Bedürfnis, sie kinnlang schneiden zu lassen, Stufen kamen auch rein und ich konnte mir am Ende nicht mal mehr einen Zopf machen, weil meine Haare einfach zu kurz dafür geworden waren. Aber was genau hat das mit Feminismus zu tun? 

Wie jedes Mal, wenn man sich dafür entscheidet eine neue Frisur auszuprobieren, haben alle eine Meinung dazu. Ist ja auch in Ordnung, ich freue mich schließlich über die Komplimente meiner Freund:innen! Viele haben mir einfach gesagt, dass die neue Frisur zu meinem Style passen würde, andere meinten, sie fänden sie cool, weil sie mein Gesicht betonen würde. 

Allerdings sind mir in meinem Bekanntenkreis ebenfalls Kommentare aufgefallen, die mich zum grübeln brachten. »Jetzt mit der neuen Frisur, siehst du viel seriöser aus«; »Na, mit diesen Haaren wird man dich bestimmt ernster nehmen!«; »In einem Bewerbungsgespräch kommst du so bestimmt viel verantwortungsbewusster rüber«;»Jetzt siehst du selbstbewusst und zielstrebig aus«.

Hm. Schon seltsam. Als ich lange Haare hatte, konnte ich also nicht ernst genommen werden? Sind lange Haare also Synonym für unzuverlässiges Verhalten? Und warum ist das überhaupt so? 

Die Tatsache, dass äußerliche Merkmale wie lange Haare, Kleider, Schmuck und Schminke generell belächelt und als unprofesionell wahrgenommen werden, geht auf eine Geschichte zurück, die so alt ist wie die Zeit, nämlich das Patriarchat. Traditionell wurden diese Elemente mit Frauen und Weiblichkeit assoziiert, die wiederum jahrhundertelang nicht mit Professionalität und Seriosität in Verbindung gebracht wurden. Frauen erkämpften sich erst ab dem 19. Jahrhundert ihre Rechte im Berufsleben und in der Gesellschaft. Schon damals trugen die Suffragetten Hosen um die Gleichstellung zu den Männern zu signalisieren. Rebekka Endler beschreibt die Assoziation bestimmter Eigenschaften wie Professionalität und Ernsthaftigkeit mit Männern in ihrem Buch »Das Patriarchat der Dinge« und bringt es auf den Punkt: Um in der Berufswelt respektiert und ernstgenommen zu werden, müssen Frauen traditionell männliche Merkmale an den Tag bringen. Das illustriert sie mit dem Beispiel des »Power Suits«, ein Hosenanzug der für Frauen im Berufsleben designed wurde um Seriosität und Macht darzustellen. Frauen mit Kleidern oder in bunten Klamotten? Nicht professionell genug.

Laut einer 2001 durchgeführten Studie der Professorin für Psychologie an der Universität von Yale, Marianne LaFrance, die analysierte wie Haarschnitte und Haarfarben bei Frauen und Männern wahrgenommen werden, stellte sich heraus, dass Frauen mit kurzen, hellen Haaren am intelligentesten wirkten. Alles Merkmale die dem Standard des westlichen, weißen Mannes entsprechen. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass Frauen mit dunklen Locken natürlich als am wenigsten gepflegt und arm eingestuft wurden (Stichwort Postkolonialismus).

»Selbstbewusst« und »Unangenehm« wurden allerdings auch mit kurzen Frisuren bei Frauen assoziiert. Interessanterweise sind Frauen mit kurzen Haaren also professioneller und selbstbewusster, allerdings sind sie demnach auch weniger attraktiv. 

Um als Frau ernst genommen zu werden, muss man einerseits Merkmale übernehmen , die traditionelle maskulin gelesen werden, (zumindest äußerlich!): Hemd, Hose, wenig »Firlefanz«. Wenn man »Kleidung Bewerbungsgespräch Frauen« googlet, kommen unter den Tipps meistens »Wenig Schmuck, unauffälliges Make-Up, Hochsteckfrisur, einfache Kleidung« raus. Die traditionell männliche Norm als Schema, dem wir uns möglichst anpassen sollten, um erfolgreich zu sein. Wenn es jedoch um Attraktivität geht, dann sollte man so weiblich wie möglich sein. Aber einfach immer weiblich sein, geht nicht.  Immer maskulin zu sein geht auch nicht. Und alles zwischendrin wird sowieso als »Komisch« gelesen. 

Hinter den harmlosen, gut gemeinten Komplimenten zu meiner neuen Frisur verbirgt sich in Wirklichkeit der frauenfeindliche Charakter unserer Gesellschaft. Genau das meine ich, wenn ich über Misogynie spreche. Die Annahme, dass das Patriarchat in unserer westlichen Welt nicht mehr existiert, weil Frauen ja nicht mehr aktiv unterdrückt werden, ist natürlich grundsätzlich falsch. Es sind genau diese Denkweisen, diese Muster und Normen, die unserer Gesellschaft noch so tiefgründig inhärent sind, die widerspiegeln, dass noch ein weiter Weg vor uns liegt. Weiblichkeit und mit Frauen korrelierende Merkmale leiden immer noch unter einem Bias, den auch wir als Frauen selbst nicht ganz loswerden, weil er noch zutiefst Teil unserer Sozialisation ist und nicht genug hinterfragt wird. Das Patriarchat manifestiert sich nicht immer zwangsläufig durch transparente Aktionen, die alle als offensichtlich frauenfeindlich anerkennen. Sexismus passiert auch nicht unbedingt offensiv und deutlich. Er kann sich auch in netten Komplimenten einschleichen. Er kann in Anmachen verpackt kommen. Er kann sich sichtbar machen, wenn Männer die sich mit ihrer Weiblichkeit verbunden fühlen als weniger männlich oder weniger wert betrachtet werden. 

Es sind die Einstellungen, das Verhalten, das Umgehen miteinander, die Einordnung der Dinge, die immer noch eine stark patriarchalische Prägung reflektieren. 

Natürlich öffnet dieses Thema noch andere Debatten, die ich nicht mal ansatzweise besprochen habe, wie beispielsweise die automatisch binäre Einteilung von Äußerlichkeiten. Letztere werde ich mir für einen anderen Artikel aufheben. Bis dahin, hoffe ich, eine kleine Anregung gegeben zu haben, über das nächste Kompliment vielleicht zweimal nachzudenken.

Beitragsbild: Markus Winkler / unsplash

Quellen:

Endler, Rebekka (2021) Das Patriarchat der Dinge: Warum die Welt Frauen nicht passt. Dumont Buchverlag.

LaFrance, Marianne (2001) FIRST IMPRESSIONS AND HAIR IMPRESSIONS:An Investigation of Impact of Hair Style on First Impressions, Procter & Gamble’s Physique Hair Care Line. 

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