Blasse Tage

Blasse Tage

Unter dem blassen Himmel einer Hafenstadt sucht ein Erzähler das Ende seiner Einsamkeit. Eine Kurzgeschichte.

von Alessandro Gebsattel

Strahlendes Sonnenlicht tauchte die Plaza unter meinem Fenster in den unwirklichen Glanz einer Erinnerung. An den Tischen vor dem Café unterhielten sich Gäste lebhaft miteinander, lasen die Zeitung oder genossen mit geschlossenen Augen die Wärme der Sonne. Die Glockenschläge der Kirche hallten aus der Ferne. Eine Schar Tauben erfreute sich an altem Brot.

Wir sollten spazieren gehen. Da war es schon wieder. Das leere wir, welches sich immer wieder in meine Gedanken einschlich. Ich wandte mich um und betrachtete mein Spiegelbild. Außer mir war niemand in der Wohnung. Ein Teil von mir war sich dieser Tatsache nicht bewusst, oder wehrte sich verzweifelnd dagegen. Das Licht vom Fenster schien durch meine blasse Haut, als sei ich aus Pergament. Ich sollte spazieren gehen.

Die schwere Eingangstür des Wohngebäudes ächzte wie von einem tiefen Schlaf geweckt. Ich trat hinaus auf die Plaza und erwartete die innige Umarmung der Sonnenstrahlen. Vergeblich. Meine Lider öffneten sich zu einem bewölkten Himmel. Ein endloses, monotones Weiß erstreckte sich über der Stadt, als hätte sich das Firmament meinem Blick entzogen. Die Plaza war bis auf eine Taube verlassen. Ebenfalls suchend doch nichts findend.

Wir entschieden uns dennoch für einen Spaziergang. Mit dem Café im Rücken und eine lange Steintreppe hinunter, ging ich am Flussufer entlang. Nach einer Weile blieb ich am Wegrand stehen und suchte in den Wolken nach einer Spur der Sonne. Mit einem Stoß fiel meine Brille in das hohe Gras des Hangs am Ufer. Zwei Männer sahen sich fragend um, gingen schließlich weiter. Sie hatten mich wohl nicht gesehen. Ich hob meine Brille auf, säuberte die Gläser mit einem Taschentuch und ging weiter.    Immer wieder musste ich Passanten und Radfahrern ausweichen. Über eine Treppe gelangte ich wieder auf die Höhe der Stadt und bog in die Gasse gen Stadtzentrum ein. Läden, Cafés und Restaurants reihten sich so dicht aneinander, dass alles im Schatten der Häuser lag. Mein Blick wanderte durch Schaufenster und Vitrinen, in Bars und abzweigende Gassen. Alte Ehepaare, junge Partner und Heranwachsende stöberten und lachten sich ihren Weg durch die Altstadt. Noch immer kein Zeichen der Sonne. Es schien, als sei ich der Einzige, der an diesem Tag allein unterwegs war. Wir freuten uns für sie. Immerhin war mir nie ein Mensch begegnet, der keine Liebe verdiente. In der Fensterscheibe einer Boutique fand ich erneut mein verblasstes Abbild. Vielleicht bis auf dich.

Ich wischte eine Träne aus meinem Gesicht und gelangte nach einer Weile an die Mündung des Hafens, wo der Fluss ins Meer lief. Eine salzige Brise lud mich in die tiefblaue Ewigkeit ein, die vor mir lag. Sie zu entdecken und mich dort zu verlieren. Darüber hinwegsegeln, an einen Ort hinter dem Horizont. Was verbarg sich hinter diesen Wellen – oder wer? Auf einer Parkbank sitzend, betrachtete ich den Sonnenuntergang, der sich hinter der Wolkenmauer verbarg. Meine Gedanken kreisten jenseits dieses Tages, in fernen Städten und fremden Häfen.

Wir saßen dort, bis es längst dunkel war und der Mond hoch über den Liebenden der Stadt wachte. Und über mich. Ein Tippen auf meiner Schulter schreckte mich auf. Doch als ich mich umsah fiel mein Blick ins Dunkel des vergangenen Tages. In der Ferne spazierte ein Paar, das fest umschlungen in der Nacht verschwand.

Beitragsbild: Edvinas Bruzas I Unsplash

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