Feminis:muss: Feminismus und Identitätspolitik – ein Umriss angelehnt an Francis Fukuyama

Feminis:muss: Feminismus und Identitätspolitik – ein Umriss angelehnt an Francis Fukuyama

Was haben der ungarische Präsident Orbán, die polnische PiS-Partei und die LGBTQIA+ Bewegung gemeinsam? Diese Frage, welche sich wie ein Witz lesen lässt, kann durch den Begriff der Identitätspolitik beantwortet werden. Der amerikanische Intellektuelle Francis Fukuyama hat sich tiefgreifend mit diesem Thema auseinandergesetzt und damit Einblicke in seine Sichtweise auf ein aktuelles, weltweites Phänomen und deren Hintergrundmechanismen eröffnet.

von Julius Bachinger

Aus feministischer Sicht lohnt es sich aus mehreren Gründen, die Mechanismen, welche hinter Identitätspolitik stehen, zu verstehen. Einerseits können die Gründe, warum Personen sich rechtspopulistischen und somit feminismuskritischen Ideologien verschreiben, besser nachvollzogen werden. Andererseits eröffnet sich ein Verständnis für die Antriebe von feministischer Identitätspolitik, wodurch ein selbstkritischer Blick erleichtert wird.

Im Vorwort schreibt Fukuyama, dass sein Buch mit dem Titel »Identität – Wie der Verlust der Würde unsere Demokratie gefährdet« ohne die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten im Jahr 2016 nicht geschrieben worden wäre. Ein Präsident, der sinnbildlich für Polarisierung steht und dessen Wahlkampf zu großen Teilen auf Identitätspolitik basierte. Um die Mechanismen hinter dem Phänomen zu verstehen, muss der Begriff der Identität geklärt werden. »Identität erwächst vor allem aus einer Unterscheidung zwischen dem wahren inneren Selbst und einer Außenwelt mit gesellschaftlichen Regeln und Normen, die den Wert oder die Würde des inneren Selbst nicht adäquat anerkennt.« (S.26)

Das heutige Verständnis des inneren Selbst und des damit verknüpften Begriffes der Würde, dessen geschichtliche Entwicklung Fukuyama meiner Meinung nach sehr gut darstellt, kann nur in Wechselwirkung mit der Gesellschaft und deren Anerkennung betrachtet werden. Diese Verknüpfung stellt das Bindeglied zwischen Identität beziehungsweise Identitätsgefühlen und Identitätspolitik dar.  Menschen streben nach Anerkennung ihrer Würde, einerseits in der Form, als gleichwertig betrachtet zu werden und andererseits in der Form, als überlegen gegenüber anderen zu gelten. Dieses Verlangen stellt Fukuyama als grundlegend für den Menschen dar, wobei es sich entweder auf Individuen oder aber auf Gruppen beziehen kann. 

Fühlen sich Menschen von der Gesellschaft in ihrer Würde unbestätigt oder gar unbeachtet, suchen sie Wege, um ihren Anspruch auf Würde geltend zu machen und erschaffen somit Feindbilder, um »den anderen« die Schuld dafür zuweisen zu können. Bei der amerikanischen Präsidentschaftswahl 2016 waren es die Männer der ländlichen weißen Mittelschicht, die sich in ihrem Status bedroht fühlten und auschlaggebend zum Sieg Donald Trumps beigetragen haben. Nationalismus als Antwort auf Identitätsverlust kann als weltweites Phänomen betrachtet werden und scheint auch den Aufstieg der AfD in Deutschland und deren bundesweite Stimmenverteilung nachvollziehbar zu machen.

In Bezug auf linke Identitätspolitik stellt Fukuyama fest, dass diese »sich auf immer kleinere Gruppen, die auf spezifische Weise marginalisiert werden«, (S. 135) fokussiert. Nicht mehr die universale Anerkennung, sondern eine auf einzelne Gruppen und in besonderer Art und Weise geartete Anerkennung steht im Vordergrund. Oft hängt die Selbstachtung der Individuen von dem Status der zugehörigen Gruppe ab und die marginalisierten Gruppen fordern entweder Gleichstellung oder die Anerkennung ihres eigenen speziellen Selbstverständnisses. In Bezug auf Feminismus wird dies beispielsweise erkennbar in den Werken von Simone de Beauvoir, welche den Einfluss des patriarchalen Systems auf die Lebenserfahrung von weiblichen Personen aufzeigt. Ein Problem, das für Fukuyama daraus folgt, ist die den spezifischen Gruppen vorbehaltene »gelebte Erfahrung« – ein von de Beauvoir eingeführter Begriff, der die Möglichkeit, Erlebnisse über Gruppengrenzen hinweg zu teilen, einschränkt. Dies ermöglicht es aber auch, praktische politische Maßnahmen zur Hilfe von betroffenen Gruppen einzuleiten und gesamtgesellschaftliche Normen anzugreifen und vielleicht zu überwinden. Beispielhaft führt Fukuyama hier die #Me-Too-Bewegung und die BlackLivesMatter-Proteste an.

Problematisch sieht Fukuyama das Verhältnis zwischen der Identitätspolitik der Linken und deren Bestrebungen nach ökonomischer Gleichheit. Durch den Fokus auf immer speziellere Gruppen werden die Probleme von größeren Gruppen vernachlässigt, was Individuen in die Fänge von nationalistischen und fundamental religiösen Gruppen treiben kann. Des Weiteren wird durch »gelebte Erfahrungen« ein Diskurs zwischen unterschiedlichen Standpunkten erschwert und die Debatte über politische Korrektheit, deren extreme Beispiele erfolgreich von konservativen Medien aufgegriffen werden, lenkt von zentralen Inhalten ab. Die realen Folgen dieser Kritikpunkte können wiederum durch die amerikanische Präsidentschaftswahl veranschaulicht werden. Trump verkörperte das Gegenteil von politischer Korrektheit und bot der von den Demokrat:innen vernachlässigten weißen Mittel- und Unterschicht eine Identifikationsmöglichkeit. Fukuyama betont im weiteren Verlauf die Wichtigkeit einer nationalen Identität und deren Schaffungsmöglichkeiten. Außerdem geht er auf weitere Probleme und Lösungsansätze ein, welche für liberale Demokratien aus der Identitätspolitik folgen können. 

Ich möchte noch zwei eigene Überlegungen anfügen, welche sich in Bezug auf emanzipative Bestrebungen und Identitätspolitik ergeben haben. Einerseits werden Seminare zu emanzipativen Themen meiner Erfahrung nach oft nur von Personen belegt, welche nahezu dieselben Meinungen vertreten. Die Ausrichtung der Kurse beinhaltet wenig bis keine konservativen Standpunkte. Dadurch wird der mögliche Erkenntnisgewinn geschmälert. Durch das Einnehmen von gegenpoligen Standpunkten würden die Studierenden besser auf einen gesellschaftlichen Diskurs vorbereitet werden.

Anderseits sollte die Verschmelzung von feministischen Belangen mit esoterischem Denken stärker hinterfragt werden. Ohne den lindernden Effekt diskreditieren zu wollen, sieht man mit Fukuyamas Brille eine identitätsstiftende Gesinnung, die bei Personen auf ihrer Suche nach Identität ansetzt, wo nationalistische oder religiöse Identitäten keinen Anklang finden. Wissenschaftlicher Erkenntnis, welche in Form von Gender- und Queer-Studies einen großen Beitrag zur emanzipativen Bewegung leistet, steht einige Teile der esoterischen Gemeinschaft kritisch gegenüber.

Falls das von Fukuyama vorgestellte Konzept unschlüssig erscheint, liegt dies mehr an meiner Aufbereitung als am Konzept selbst, welches Fukuyama sehr schlüssig in die Geschichte des menschlichen Zusammenlebens einbaut und darstellt.

Quelle: Fukuyama, Francis: »Identität – Wie der Verlust der Würde unsere Demokratie gefährdet«, Hamburg 2019.

Beitragsbild: Noah Buscher | Unsplash

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