Ein Tattoo? Ins Wohnzimmer bitte.

Ein Tattoo? Ins Wohnzimmer bitte.

Seit einigen Jahren habe ich eine Bucket List. Nicht weil ich glaube, dass diese Dinge unbedingt erledigt werden müssen, ich wollte mich bloß immer wieder daran erinnern. Dort stehen oder standen eigentlich auch nur Dinge, die man normalerweise dort auch finden würde, wie ein Fallschirmsprung, einmal Burning Man miterleben und dann doch kein Fallschirmsprung mehr. Stoff für eine gute und solide Midlife-Crisis eben. Ein Punkt stand schon sehr lange auf dieser Liste: ein Tattoo. Leider sind meine Eltern in dieser Hinsicht mehr als abgeneigt und ich habe mich nie getraut diesen Familienstreit zu provozieren. Letztes Jahr wurde mir dann diese Entscheidung mehr oder weniger abgenommen, vom Alkohol natürlich.

 

von Alex Gebhard

 

Auf einer sonnigen Insel – nein, nicht Mallorca – dachte ich betrunken, jetzt wäre der richtige Moment und eine Stunde später hatte ich eine simple Linie am Hintern, die wegen mangelnder Entscheidungskraft und fehlendem Geld von einem Freund gezeichnet und bezahlt wurde. Wenigstens habe ich mir so 20 Euro gespart. Zurück in Deutschland merkte ich dann, die Begeisterung über meinen Strich am Allerwertesten teilen wohl nicht viele, eher niemand in meinem Umfeld. Niemand? Nein, eine kleine WG am Rande von Regensburg leistet dahingehend erheblichen Widerstand. Als mir mein Kumpel mitteilte, dass er jetzt eine Tattoomaschine hat, war ich natürlich sofort Feuer und Flamme. Ziel des Ganzen war nicht, der nächste Ed Hardy zu werden oder eine Ausbildung als Tattookünstler zu beginnen. Es war viel mehr die Chance, sich alles Mögliche sich selbst tätowieren zu können und vor allem auch wann man möchte.

In der WG angekommen, wird man freundlich in das Wohnzimmer gebeten, in dem einen eine krakelige Zeichnung, eine Klopapierrolle und Möbeldesinfektionsspray erwartet. Ein paar Shots später liege ich schon über den Hocker gebeugt und erwarte mein Schicksal. Manche werden jetzt sicherlich die Hände über den Kopf zusammenschlagen und sich fragen, wie man nur so etwas Dummes machen kann. Die Antwort ist eigentlich relativ einfach: warum auch nicht? Von den gesundheitlichen Gefahren mal abgesehen, war es für mich in der Hinsicht eine der besten Entscheidungen. Überlege ich seit Jahren, welches Motiv es werden soll und an welcher Stelle sich mal mein Tattoo befinden soll. Diese Frage wurde mir nun abgenommen. Es heißt immer, es geht am Ende nur darum, ob man selbst das Tattoo gut findet und niemand anders, oder dass man unbedingt eine Wahl treffen muss, die man auch in zehn Jahren noch treffen würde, aber ehrlich gesagt finde ich, das ist Schwachsinn. Ich bezweifle, dass dies überhaupt aus philosophischer oder psychologischer Sicht möglich ist, etwas so zu bewerten, dass man es auch in zehn Jahren noch genauso bewerten würde. Der Stich selbst ist ein unglaublicher Adrenalinkick, ich würde sogar sagen, je nüchterner man ist, desto mehr ist es ein berauschendes Erlebnis, sich etwas Unsinniges zu tätowieren, wenn man für einen kurzen Zeitraum einfach den Moment erlebt. Man nur in einem Wohnzimmer in einer WG ist und sich diesen Moment diesen Abend in die Haut hinein verewigt.

Keine Sorge, die Gewissensbisse kommen dann nachdem man sich das erste Mal im Spiegel sieht und sich einfach nur denkt: Was um Gottes Willen habe ich da getan? Bei mir verschwand dieser Gedanke zum Glück relativ schnell und machte Platz für ein unglaubliches Grinsen. So nebenbei: Der Mythos, dass betrunkenes Tätowieren vermehrtes Bluten zu Folge hat, scheint wohl nicht ganz unwahr zu sein. Vielleicht ist es auch nur der Kick etwas Verbotenes zu tun oder zumindest etwas, was die Gesellschaft als nicht »normal« ansieht. Eigentlich müsste das fast ein Muss für jeden PT-Studierenden darstellen, aber wenn es wohl jeder hätte, wäre der Zweck wieder verfehlt. Mittlerweile finde ich, dass eine Mehrzahl an »schlechten« Tattoos insgesamt ein Kunstwerk ergibt, aber das ist meine Meinung.

In der WG war ich auf jeden Fall nicht der Einzige, der an diesem Tag eine Verzierung bekommen hat. Auch beim nächsten Besuch war der Hype noch nicht gestorben und ich habe mir schon Tage davor überlegt, was nun mein Bein verschönern soll. Ganz zum Unverständnis meiner Mitbewohner. Die spinnen doch, die Tätowierten.  Ich bin mehr als stolz auf meine Tattoos und auch mittlerweile gesättigt. Das Tattoofieber hat nämlich schon wieder nachgelassen und schon lange hat man nicht mehr das Surren aus dem Wohnzimmer vernommen. Jetzt da ich aber darüber schreibe und so darüber nachdenke, wäre eigentlich mal wieder ein neues Tattoo fällig. Ich schätze, ich muss die WG mal wieder besuchen.

 

Welche Kuriositäten sich in Lenas Wohnzimmer abspielen, erfahrt Ihr dann nächste Woche.

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