Heimwagnis

Nach geselligen Abenden trennen sich spätestens beim Nachhausegehen die
Wege. Damit sich Fußgänger nachts sicherer fühlen, gibt es das Heimweg-telefon und die KommGutHeim-App.

Viele Studenten müssen nachts alleine nach Hause gehen.

Als Sarah im April vom Feiern nach Hause läuft , hört sie jemanden hinter sich. Zuerst denkt sich die Studentin nichts dabei. Doch dann kommen die Schritte immer näher. Auf der Steinernen Brücke holt der Verfolger sie ein. »Er war Ende 30«, schätzt Sarah. Der Mann spricht sie an, macht ihr Komplimente. Sarah bittet ihn, sie in Ruhe zu lassen, aber der Fremde lässt nicht locker. Er besteht darauf, die 20-Jährige zu begleiten. »Ich bin dann aggressiver geworden und habe ihm mit meinem Pfeff erspray gedroht«, erzählt Sarah. Selbst das habe den Mann nicht abgeschreckt. Als sie ihre Drohung wahr machen will und tatsächlich das Pfefferspray auf ihn richtet, ergreift der Mann schließlich doch die Flucht. »Der restliche Heimweg war ein Horror, weil ich ja nicht wusste, ob er irgendwo wartet, um zu sehen, wo ich wohne«, sagt die Studentin. Seit dem Vorfall fürchte sie sich davor, nachts alleine unterwegs zu sein. Sie sei immer froh, wenn sie jemand begleite.

Auf dem Heimweg nicht allein

Wenn in den Bars, auf dem Bismarckplatz und der Jahninsel das Leben pulsiert, sind viele Studenten oft noch spät unterwegs. Die Busse fahren nur bis Mitternacht, ein Taxi wollen sich viele nicht leisten. Für alle, die das kennen, haben sich Frances Berger und Anabell Schuchhardt etwas einfallen lassen: das Heimwegtelefon. Wer sich alleine unwohl fühlt, kann sich von den Berlinerinnen über das Handy nach Hause auf dem Heimweg begleiten lassen. Zu Beginn des Gesprächs teilt der Anrufer mit, wo sich Ausgangs- und Zielpunkt seiner Route befi nden. Während des Telefonats fragen Frances und Anabell regelmäßig nach dem Standort des Heimgehenden. Im Ernstfall können sie die Polizei benachrichtigen und genaue Auskunft geben. So weit komme es aber normalerweise nicht: Da der Heimlaufende telefoniert, schrecke er potenzielle Angreifer ab. Auf dem Weg wird dann nett geplaudert. Das lenke ab und verleihe Sicherheit.

»Es muss Menschen geben, die Dinge anpacken«

»Die Gespräche sind sehr individuell«, sagt die 29-jährige Anabell. Meist rede sie mit den Anrufern über alltägliche Themen wie Heimatstadt, Beruf oder Studium. »Teilweise stehen die Anrufer dann schon zehn Minuten vor ihrer Haustür und man unterhält sich immer noch, weil es gerade so schön ist«, erzählt Anabell. Ein Projekt aus Schweden inspirierte die Initiatorinnen. Dort sitzen Freiwillige direkt bei der Polizei und nehmen Anrufe entgegen. »Wir fragten uns, warum es so etwas nicht auch in Deutschland gibt, und entschieden dann, das Ganze selbst in die Hand zu nehmen, anstatt uns über die Situation aufzuregen«, sagt Anabell. Die Planungszeit für das Heimwegtelefon nahm über zwei Jahre in Anspruch. Dass ihr Projekt einmal so erfolgreich wird, hätten die beiden Frauen nicht gedacht. Mittlerweile sei sogar ein Punkt erreicht, an dem es den beiden ein bisschen zu viel werde, denn auch privat und beruflich haben Anabell und Frances viel zu tun. Deshalb werden sie von fünf Freunden unterstützt. Es haben sich noch viele weitere Freiwillige gemeldet, die in Zukunft gerne mithelfen würden. »Gerade weil so viele Bewerbungen eingegangen sind, macht es Sinn, das Projekt auszuweiten«, sagt Anabell. Zunächst wollen sie die Telefonzeiten am Wochenende verlängern, denn viele würden um zwei Uhr noch nicht nach Hause gehen. Eventuell würden sie den Service auch unter der Woche anbieten. Auf die Frage, woher sie die Energie für solch ein Projekt nehmen, antwortet Anabell: »Unser E-Mail Postfach quillt über. Wir bekommen so viel positives Feedback. Daraus schöpfen wir unsere Motivation.« Es müsse Menschen geben, die Dinge anpacken. Nur so könne man das Miteinander verbessern.

Eine App für den Heimweg

OTH  Regensburg, haben die App erfunden.
Mario, Katharina und Tim, die Erfinder der KommGutHeim-App

Auch drei Studenten der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg ließen sich etwas einfallen, damit Fußgänger sich nachts sicherer fühlen. Nachdem Katharina Hochmuth im Herbst zum Studieren nach Regensburg zog, kam ihr die Idee für eine App. Sie soll durch Standortbestimmung ermöglichen, dass Freunde den Heimweg des anderen über das Smartphone mitverfolgen können. »Es ergaben sich immer wieder Situationen, in denen so eine Anwendung praktisch gewesen wäre«, sagt die Studentin. Sie fände es beruhigend zu wissen, dass jeder nach einem gemeinsamen Abend gut zu Hause angekommen sei. Katharina erzählt ihren Kommilitonen Tim Hautkappe und Mario Pfaller von ihrem Konzept. Die drei Maschinenbaustudenten beschließen, ihre Idee in die Tat umzusetzen, und programmieren die KommGutHeim-App. Sobald der Nutzer die Kontakte ausgewählt hat, die ihn virtuell auf dem Heimweg begleiten sollen, wird alle zehn Sekunden über GPS sein Standort bestimmt und übermittelt. Ist er schließlich zu Hause, drückt er den Daheim-Button. So erfahren die ausgewählten Kontakte, dass die Person angekommen ist. »Sieht derjenige, der den Heimweg verfolgt, dass sein Freund völlig vom eigentlichen Weg abgekommen ist oder seit 20 Minuten im Stadtpark steckt, merkt er, dass eventuell etwas nicht stimmt«, erklären Katharina und Mario. Auch der Heimlaufende kann sehen, ob die ausgewählten Kontakte in der App aktiv sind.

Ungeahnte Nutzergruppen

Für Katharina, Mario und Tim hat sich der zweimonatige Entwicklungsaufwand gelohnt. Die Studenten haben mit ihrer App das 5-Euro-Business, ein Wettbewerb zur Existenzgründung, gewonnen. Nicht nur die Jury überzeugte die App, sondern auch knapp 8500 Smartphone-Nutzer. Außerdem stellte sich heraus, dass die Anwendung neben der geplanten Zielgruppe auch Vorteile für andere Nutzer bietet. »Besonders gefreut hat uns die Nachricht eines Blinden. Er hat uns geschrieben, KommGutHeim sei für ihn die beste Erfindung, die es gebe. Mit Hilfe der App könne seine Familie immer sehen, wo er sich befinde, und müsse nicht mehr fürchten, dass er sich verlaufe«, sagt Katharina.

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