Hystokratie
Der Kurs ist überfüllt, Flexnow funktioniert nicht, Schlangen vor dem Prüfungsamt: Stress, Hysterie und Panik sind die Folge, wenn der Verwaltungsaufwand das Studium zu einem einzigen Behördengang macht.
Halb sechs Uhr morgens und der Wecker klingelt. Und das in den Semesterferien, wie kann das sein? Mit müden Augen fahre ich meinen Laptop hoch und suche auf der Uni-Homepage nach meiner Fakultät und den Lehrveranstaltungen. Die gewünschten Kurse werden schon einmal angeklickt und die nächste halbe Stunde hat mein Zeigefinger nichts anderes zu tun, als immer wieder F5 zu drücken, während ich hoffe, dass der womöglich überlastete Server mich nicht rausschmeißt.
Es ist mal wieder so weit, der Semesterstart steht bevor und der Stundenplan muss zusammengestellt werden. Leider bin ich nicht die Einzige, die sich per Internet für Kurse anmelden muss: Tausende haben das gleiche Problem. Ist es endlich sechs Uhr und die Anmeldungsseite freigeschaltet, zählt jeder Augenblick: So schnell wie möglich die Matrikelnummer eingeben! Mit etwas Glück bin ich ein paar Sekunden später mit 24 anderen Studenten bedingt zum Kurs zugelassen und kann beruhigt noch mal ins gerade kalt gewordene Bett zurückkriechen.
Doch wer zu langsam ist oder einfach keine Lust hatte, schon so früh aufzustehen, ist bereits um 6.03 Uhr Nachrücker Nummer 51 und hat nur noch geringe Chancen, das Seminar besuchen zu dürfen. Im Besonderen gilt dies für die beliebten Kurse der studienbegleitenden Fremdsprachen- und IT- Ausbildung und des Hochschulsports. So sind im Wintersemester 2011/2012 zu einem der UNIcert- I-Spanisch-Kurse 30 Studenten zugelassen worden, während 42 Nachrücker Pech hatten. Dabei brauchen viele die Leistungspunkte doch unbedingt und kriegen Panik, dass das Studium schon jetzt nicht mehr in der Regelstudienzeit zu schaffen ist. In der ersten Vorlesungswoche sitzen dann oft Hunderte von hysterischen Nachrückern in überfüllten Hörsälen, die dem Dozenten nicht glauben wollen, dass er sie nicht mehr aufnehmen kann. Argumente wie »Aber ich bin in noch keinen Kurs reingekommen!« sind dort das ein oder andere Mal zu hören. Erstsemester haben besonders häufig das Nachsehen, weil viele noch keine Ahnung haben, welche Veranstaltungen man absolvieren muss, geschweige denn, wie das mit der Anmeldung funktioniert. In einigen Studiengängen wie BWL oder Jura hat man es in diesem Fall leichter, weil es von Anfang an einen vorgegebenen Stundenplan gibt und den Studierenden die stressige Anmeldungsphase somit erspart bleibt.
Aber selbst die Stundenplan-Besitzer stehen alle Tage wieder vor größeren oder kleineren Hürden der Uni-Verwaltung, die genauso zum Studentenalltag gehören wie der Barabend im Wohnheim. Es kostet die Studenten regelmäßig viele Nerven, sich zu Prüfungen anzumelden und ihre Leistungen einzubringen. Der Grund dafür hat einen Namen: Flexnow. Dieses Prüfungsverwaltungssystem soll seit ein paar Jahren in vielen Fakultäten einer vereinfachten Verwaltung der Studentendaten dienen. Auf der einen Seite ist das zwar sehr praktisch, weil man nicht mehr wie zum Beispiel die Medizinstudenten regelmäßig überprüfen muss, ob noch alle Scheine in der Schublade liegen. Andererseits bereitet es vielen doch Kopfzerbrechen, wenn die Klausurzeit bevorsteht. Die Dozenten haben sicherheitshalber schon einmal optimistisch darauf hingewiesen, dass man ja nicht vergessen solle, sich zur Prüfung anzumelden, weil das nachträglich auf keinen Fall mehr möglich sei.
Voll und ganz studentisch will man sich also rechtzeitig am letzten Anmeldungstag eintragen, doch was für ein Pech: Das Prüfungsfach ist nirgends aufzufinden und natürlich hat das Prüfungsamt schon seit Stunden zu. Ist die Klausurzeit endlich überstanden, wartet man gespannt auf seine Noten und checkt jeden Tag sein Flexnow. Blöd nur, wenn das einem dreimal hintereinander weismachen will, man hätte »endgültig nicht bestanden«.
So ging es der Englisch-Studentin Sonja: »Ich musste jedes Mal ins Prüfungsamt und mit der Prüfungsordnung beweisen, dass man die Prüfung öfters machen darf.« Kein Wunder, dass sie da sauer wird, denn man hat ja nichts anderes zu tun als in wöchentlichem Rhythmus eine Nummer zu ziehen und darauf zu warten, dass die Zeit vergeht. Teresa, ebenfalls Englisch-Studentin, musste sich schon des Öfteren mit den Launen des Flexnow-Systems herumschlagen und sogar spezielle Formulare zur Eintragung ihrer Noten ausfüllen. Ihr spöttischer Kommentar: »Ich hab’ gehört, für so was studieren manche Leute Informatik.«
Zu Recht, wenn man bedenkt, dass das Flexnow eigentlich der Vermeidung genau solcher bürokratischer Umständlichkeiten dienen soll. Medienwissenschaftlerin Jessy hat einen ganzen Büro-Marathon hinter sich: Aufgrund fehlender Leistungspunkte im Flexnow musste sie mehrmals das Prüfungsamt, das Sekretariat der Medienwissenschaft, das der Literaturwissenschaft und ihren Professor aufsuchen, bis ihre Punkte endlich eingetragen wurden. »Das war die schlimmste Odyssee meines Lebens!«, klagt sie.
Vielleicht erscheinen manche dieser Geschichten einfach nur ärgerlich, aber es muss einem bewusst sein, dass es den Studenten durchaus um ihre Zukunft geht und sie die armen Sekretärinnen berechtigterweise panisch bearbeiten. Die Ohnmacht vor der Bürokratie: Am Ende steht die Hysterie der Studenten – die Bürokratie wird zur »Hystokratie«. Ein Beispiel solcher Panikattacken ist der Fall, wenn nach dem 6. Fachsemester der Status plötzlich auf »Exmatrikuliert (Kein Abschluss erworben)« gesetzt wird, obwohl die BA-Arbeit noch nicht einmal abgegeben wurde. Beim Flexnow-Laien setzt das Herz aus und so führt der nächste Weg – wie soll es auch anders sein – ins Prüfungsamt, um sich dort versichern zu lassen, dass die Exmatrikulation vor dem eigentlichen Studienende »doch ganz normal ist«.
Übrigens, wenn wir schon bei den Büros sind: Es trägt sicherlich nicht zur Beruhigung der aufgeregten Studenten vor den Türen bei, wenn diese Angst vorm Anklopfen und Eintreten haben müssen. Vielleicht sind es nur einige Ausnahmen, doch wenn ein Sekretariat oder Prüfungsamt weit verbreitet als »Höhle des Löwen« bezeichnet wird, sollte man sich in der Tat Gedanken machen. Wir sind unseren Sekretärinnen und Sachbearbeiterinnen sehr dankbar, wenn sie uns bei der Bewältigung des Uni-Alltags helfen können. So wäre es doch schön, mit einem freundlichen Lächeln und nicht mit einem genervten »Was wollen Sie schon wieder?« begrüßt zu werden. Wir können schließlich auch nichts dafür, dass Flexnow beschlossen hat, unser Feind zu sein. Für die Erlösung von all den Sorgen ist man schließlich auch bereit, eine Stunde vor dem Prüfungsamt zu warten und sich die Zeit mit Kaffeetrinken totzuschlagen. Nett wäre es auch, wenn einem während der regulären Öffnungszeiten die Tür geöffnet würde. Die Studentin der Vergleichenden Kulturwissenschaften Johanna wurde mit der Entschuldigung abgespeist, man hätte vergessen, den Schlüssel umzudrehen!
Bürokratie in Maßen ist notwendig, keine Frage, vor allem angesichts der hohen Studentenzahl, die in diesem Wintersemester die 20 000-Marke überschritten hat. Dass es dabei manchmal drunter und drüber gehen kann, ist also nicht weiter verwunderlich. Doch wenn dabei ständig Ärger oder sogar Panik ausgelöst wird, läuft irgendetwas falsch. Immerhin: Es wird auch versucht, gegen die Tücken des Uni-Verwaltungsstresses vorzugehen. Zum Beispiel wurde in einigen Studienfächern das Talersystem zur Kursanmeldung eingeführt – so werden die Studenten wenigstens vom Frühaufstehen verschont.
Festzuhalten bleibt natürlich auch, dass bisher nur die wenigsten an der Bürokratie komplett gescheitert sind. Irgendwie ist man dann doch flexibel und kann sich an alles gewöhnen. Die Routine- Besuche bei den verschiedensten Ämtern gehören zum Studienalltag dazu – und irgendwie auch zum Erwachsenwerden. Also doch eine gute Vorbereitung auf das spätere Leben?
Was tun bei Verwaltungsstress an der Uni?
Ruhe bewahren: Behaltet einen kühlen Kopf, oft ist alles nur Panikmache und in Wahrheit hat man für alles viel länger Zeit und mehr Möglichkeiten als vorgegeben. Einfach mal nachfragen, am besten einfach rechtzeitig
Hartnäckig bleiben: Am Anfang des Semesters trotz Nachrückernummer in den Kurs gehen. Manchmal hat man Glück und die anderen haben es sich anders überlegt! Wenn man das Seminar wirklich ganz unbedingt braucht, weil es kurz vor 12 ist, darf man es auch belegen.
Letzter Ausweg Prüfungsamt: Vor allem beim Flexnow nie die Ruhe verlieren, manchmal reicht schon eine kurze Email an das Prüfungsamt, um Probleme zu beheben. Meistens erhält man trotz aller Vorurteile eine Antwort.
Text von Tanja Stephan