Pfeifkonzert ohne Trommelwirbel

Pfeifkonzert ohne Trommelwirbel

2009 platzte eine Bombe: Die Wut der Studierenden über die unzureichenden Studienbedingungen entlud sich in einer hoffnungsvollen Protestbewegung. Zwei Jahre später hält der Bildungsstreik an: Unser Autor hat sich bei der Vollversammlung und der Demo im November umgehört.

Ein gemütlich anmutender, schnauzbärtiger Polizist, dessen graues Haar mit der grauen Tristesse des Regensburger Himmels wetteifert, betrachtet die Szene mit distanzierter Gelassenheit. Für einen Ordnungshüter gibt es wenig Grund zur Beunruhigung: Zum Bildungsstreik 2011 haben sich sine tempore schätzungsweise gerade einmal 150 Studierende am zentralen Campus bei der Kugel eingefunden. Was ist los? Hat sich die Bildungssituation im Vergleich zu 2009 mittlerweile so sehr verbessert?

Damals, vor zwei Jahren, entzündete sich ein flammender, deutschlandweiter Studierendenprotest. Der Grund: Studiengebühren, die Verschulung der universitären Bildung und schlechte bis unzumutbare Studienbedingungen. Die Hörsäle brannten! Laut einiger Banner erhob sich gar der Geist der Achtundsechziger phönixgleich aus lodernden Hochschullandschaften. Und auch die einschlägige öffentliche Debatte war überhitzt. Den Befürwortern freier, selbstständiger Bildung standen diejenigen gegenüber, die auch ein Studium nicht außerhalb marktwirtschaftlicher Zwänge sehen wollten. Seitdem wurde seitens der Studierendenvertretungen weiterhin daran gearbeitet, studentische Belange in die Öffentlichkeit zu tragen. Mit Erfolg?

Am Tag vor dem Bildungsstreik im November war die Lautschrift bei der studentischen Vollversammlung. Im nur etwa zu zwei Dritteln besetzten Audimax standen der doppelte Abiturjahrgang, das Thema »studentische Mitbestimmung« und Studiengebühren auf der Agenda.

Ersterer ist laut Daniel Kutscher, dem aktuellen Vorsitzenden des Fachschaftenrates, eine große Belastung, und das nicht nur, weil zu wenige Studienplätze als Ausgleich geschaffen wurden, sondern weil man außerdem seit Jahren zusätzlich Gelder kürzt. Überdies steige die Studentenzahl seit Jahren kontinuierlich an. Der Studentenwerkszuschuss ist seit 2000 um 50 Prozent gesunken, was auch die Mensapreise in die Höhe treibe. Außerdem habe es 2004 allgemein eine zehnprozentige Kürzung der Haushaltsansätze gegeben. Seitdem betreibe man lediglich Inflationsausgleich.

Was studentische Mitbestimmung betrifft, äußerte sich der studentische Sprecher Ssaman Mardi besorgt. Sein Vortrag hätte ihm ernste Schwierigkeiten bereitet, weil er über etwas referieren solle, das faktisch nicht existiere. Seit der Abschaffung der Allgemeinen Studierendenausschüsse (AStAs) in Bayern 1973 hätten Studierendenvertreter praktisch keine Möglichkeiten mehr, bei universitären Entscheidungsprozessen bindend zu votieren. Man könne in den entscheidenden Gremien lediglich empfehlend aktiv sein und sei dann auf die Gunst der nichtstudentischen Mitglieder angewiesen. Sogar das studentische Mitspracherecht bei der Verwendung der Studiengebühren bliebe häufig unberücksichtigt. Die verlängerten Bibliotheksöffnungszeiten beispielsweise würden aus Studiengebühren finanziert. Natürlich begrüßt Mardi als Studierendenvertreter ausdrücklich die verlängerte Öffnung der Bibliotheken. Eine Finanzierung durch Studiengebühren sei allerdings nicht zweckgebunden, weshalb man dies im studentischen Konvent auch einstimmig abgelehnt habe. Man wäre daraufhin allerdings von der Hochschulleitung übergangen worden.

Thomas Jahnke, ein ehemaliger Studierendenvertreter, äußerte sich zum Thema Studiengebühren. Vor sechs Jahren von den unionsregierten Ländern eingeklagt, gibt oder gab es seit 2007 in entsprechenden Ländern Studiengebühren. Daran wollten mittlerweile allerdings nur noch Niedersachsen und Bayern festhalten. Studiengebühren zwischen 300 und 500 Euro pro Semester müssten derzeit an jeder bayerischen Universität erhoben werden. Das sei gesetzlich festgelegt. Studierendenvertreter seien mit einer von vier Stimmen daran beteiligt, die Verteilung zu regeln. Studiengebühren seien ferner offiziell ausschließlich zur Verbesserung der Lehre bestimmt. Es dürfe keinen Ausgleich für staatliche Kürzungen geben. Insgesamt würden momentan rund 25 Prozent der Einnahmen aus Studiengebühren in Bibliotheksöffnungszeiten investiert, 25-70 Prozent in Lehrpersonal. Insgesamt sei die Verwendung der Gelder innerhalb der einzelnen Fakultäten allerdings unterschiedlich. Trotzdem könnten Studiengebühren häufig nicht sinnvoll vollständig aufgebraucht werden. Es werde dann überflüssiges Inventar angeschafft (zu viele Beamer, hübsche Möbel) oder das Geld für den Ausdruck von Vorlesungsskripten verwendet, ungeachtet der Frage, ob die Mehrheit der Studenten auf neuen Möbeln sitzen oder ein Skript in gedruckter Form bearbeiten möchte.

Zurück zum Bildungsstreik: Mit diesem Vorwissen hätte man doch eigentlich einen gewaltigen studentischen Ansturm erwarten können. Trommler, die die Atmosphäre anheizen und vielleicht 2 000 Studenten, die sich drängten und gegenseitig anstachelten.

Das war 2011 nicht der Fall. Die Stimmung war zwar gut, aber insgesamt – für einen Bildungsstreik – auch ziemlich ruhig.

An medialer Präsenz mangelte es sicher nicht: Den Mikrofonen nach zu urteilen waren von der ARD, dem BR, von TVA, Gong FM und noch weiteren Anstalten Reporter entsandt worden. Gerade zu Beginn der Veranstaltung hatte man den Eindruck als würden die Protestwilligen von den Medienvertretern regelrecht umzingelt. Das änderte sich allerdings, als nach einiger Zeit doch noch insgesamt etwa 400 Studenten versammelt waren.

Von den Betonbalkonen des zentralen Hörsaalgebäudes aus gaben Studierendenvertreter schließlich letzte organisatorische Informationen, äußerten sich zu den wichtigsten Forderungen des Bildungsstreiks – mehr Mitbestimmung, keine Studiengebühren, bessere Studienbedingungen – und wurden dabei von einem DGB-Vertreter lauthals unterstützt. Dann setzte sich der Protestmarsch in Gang, wobei er bei der teilweise eher schmalen Streckenführung stark in die Länge gezogen wurde. Unter lautstarkem Skandieren (»Bildung für Alle und zwar umsonst!«, »Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Bildung klaut!«) und dem Gebrauch von zuvor verteilten, roten Verdi-Trillerpfeifen bewegte sich der Tross über den Nordcampus und die Galgenberg- und Maximilianstraße in Richtung Domplatz. Die ausgewiesenen Wege wurden penibel eingehalten. Außerdem wurde der Zug von zahlreichen Bannern uni- und studienprotestassoziierter aber auch unifernerer Verbände geschmückt. Man kann darüber streiten, ob es einem allgemeinen Studierendenprotest dienlich ist, wenn sich darunter auch Verbandsplakate von Verdi, Die Linke oder der Antifa finden lassen. Sicherlich, man könnte die Plakate positiv interpretieren und als Solidaritätsbekundung ansehen. Gewiss besteht aber auch die Möglichkeit, dass mancher diesen doch so zweckgebundenen Protest als Bühne für die eigene Sache nutzen mochte. An der Kreuzung Galgenbergstraße/Furtmayrstraße hielt der Protestzug und mit einer nur wenige Minuten dauernden Sitzblockade verschaffte sich ein Teil der Protestierenden zusätzlich Aufmerksamkeit. Bis zum Domplatz war dann gut ein Viertel der Demonstranten schon wieder verschwunden. Vermutlich forderte die unangenehm nasse Kälte dieser Tage ihren Tribut. So waren schließlich vielleicht 300 Studierende übrig geblieben, um den Reden verschiedener Vertreter politischer Parteien Gehör zu schenken. Die CSU hatte leider kurzfristig wegen terminlicher Schwierigkeiten abgesagt. Nach dem Ende der Kundgebungen verlief sich das Publikum rasch, ein kleiner Teil blieb noch und diskutierte weiter. Wie man am nächsten Tag erfahren konnte, suchten einige Studenten später Franz Rieger von der CSU persönlich in der Parteizentrale auf und diskutierten mit ihm über die Regensburger Studienbedingungen.

Ein kurzes Fazit? Bei mittlerweile mehr als 20 000 Studierenden und unter den gegebenen, nicht optimalen Studienbedingungen hätte man sich vielleicht eine größere Beteiligung gewünscht. Der Bildungsstreik 2011 ist keine Massenbewegung mehr. Die schlechte Witterung und eine ausbaufähige Internetpräsenz waren für den Protest wohl auch eher ungünstig. Dafür kann man vermutlich davon ausgehen, dass die Teilnehmer dieser Demonstration nicht nur neugierig waren oder sich aus Langeweile angeschlossen hatten, sondern an der Sache ehrlich interessiert waren. Glaubt man den Vorträgen zur Vollversammlung, gibt es an der Regensburger Uni noch viel zu verbessern. Auch wenn Studierendenproteste bis jetzt bei Weitem nicht alle selbstgesteckten Ziele erreicht haben: Schon das Beispiel der Studiengebühren, von denen sich immer mehr Länder verabschiedet haben, zeigt, dass es einen Richtungswechsel geben kann. Und sei dieser auch nur durch einen Regierungswechsel möglich, bei dem eine für die Belange der Studierenden sensibilisierte Opposition ihre Wahlversprechen einlösen kann. Die erschöpfende Arbeit der Studierendenvertretungen und auch die Beteiligung der einzelnen Studierenden am Protest sind dabei sicherlich ernstzunehmende, wichtige Faktoren in der öffentlichen Meinungsbildung.

 

Text von Alex Lüttich

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