Hypervigilanz: Wenn der Alltag zur Bedrohung wird.

Hypervigilanz: Wenn der Alltag zur Bedrohung wird.

An manchen Tagen haben wir das Gefühl, dass die ganze Welt gegen uns ist. Was aber, wenn dieses Gefühl zum Dauerzustand wird und unseren Alltag zu einer Quelle von permanenten Stress macht?

von Marlene Vogl

Man stelle sich folgende Situation vor: ein Treffen mit Freunden ist geplant. Bei der Begrüßung fällt eine Person mit grimmigen Blick ins Auge. Umgehend befindet sich der Körper in Alarmbereitschaft – Anspannung breitet sich aus, der Puls steigt und das Gedankenkarussell beginnt sich zu drehen:  »Habe ich etwas falsch gemacht?«, »Er:Sie mag mich nicht«, »Ich bin nicht erwünscht.«  Seismografisch wird versucht, die Haltung des Gegenüber zu analysieren, um diese Annahme zu bestätigen. Was häufig fälschlicherweise als persönliche Unsicherheit abgetan wird, kann tatsächlich die Ursache einer psychischen Erkrankung sein.

Die Rede ist hierbei von Hypervigilanz, erhöhte Wachsamkeit, die für Betroffene einen permanenten Angstzustand darstellt – diese nehmen die Welt als einen bedrohlichen Ort wahr und befinden sich in einer ständigen Reaktionsbereitschaft.

Wie äußert sich Hypervigilanz?

Erhöhte Wachsamkeit zeichnet sich durch folgende Symptome aus. So neigen Betroffene häufig dazu, die Körpersprache, Mimik, Gestik und Stimmlage von Personen in der Umgebung zu beobachten – Sie hinterfragen, ob diese eine Bedrohung darstellen. Weitere Symptome sind: ein stetig erhöhtes Angstniveau, innere Unruhe, übermäßige Schreckhaftigkeit, sowie ungewöhnlich hohes Misstrauen gegenüber anderen Personen, bezüglich eines Vertrauensmissbrauchs, bis hin zu paranoiden Zuständen. Ebenfalls zeichnet sich Hypervigilanz durch die verzerrte Wahrnehmung aus, von anderen nicht gemocht zu werden oder Opfer einer Verschwörung zu sein. Kleinere Rückschläge werden katastrophisiert und als erhebliche Niederlagen eingestuft. Körperlich äußert sich die Hypervigilanz durch erhöhten Herzschlag, starkes Schwitzen, Zittern, Schlafstörungen und Erschöpfung.

Erhöhte Wachsamkeit: Die Folge eines Traumas

Hypervigilanz stellt nicht nur ein Leitsymptom der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), sowie der komplexen PTBS dar, sondern tritt auch als Folge dieser auf. So entwickelt sich die kontinuierliche Hab-Acht-Stellung über einen längeren Zeitraum zu einem Automatismus, der in der Kindheit eine ganz bestimmte Funktion übernahm: sich vor psychsichen oder physischen Verletzungen zu schützen. So entwickelt sich Hypervigilanz häufig bei Kindern von Eltern mit Persönlichkeitsstörung – sie können unberechenbar und gefährlich sein. Da die Stimmung der Eltern plötzlich kippt, widmen die Kinder all ihre Aufmerksamkeit der Umgebung, um Anzeichen für eine Wesensveränderung rechtzeitig zu identifizieren und sich somit entsprechend vor willkürlicher psychischer oder physischer Gewalt schützen zu können.

Was kann ich dagegen unternehmen?

Auch wenn sich die Hypervigilanz im Kindesalter auf die Verhaltensweisen der Eltern beschränkt, bleibt sie trotzdem bei Erwachsenen bestehen und wird prinzipiell auf andere Personen übertragen. Geht man davon aus, dass jede soziale Interaktion eine Gefahr birgt, führt dies häufig zu einer sozialen Phobie und Isolation. Da es sich aber nicht vermeiden lässt, anderen Personen zu begegnen, stellt das alltägliche Leben für Betroffene eine enorme Belastung dar. Zur Behandlung der Hypervigilanz ist eine Therapie ratsam.

Ein Ansatz der Traumatherapie ist beispielsweise die kognitive Verhaltenstherapie. Ziel dieser Therapieform ist es, die Gedankenmuster zu verändern, die sich durch das Trauma entwickelt haben und den Alltag der betroffenen Person beeinträchtigen.

Beitragsbild: Yan Krukau I Pexels

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