Mama, du bist keine Feministin! – Entscheidung gegen Gleichberechtigung?
Mütter begleiten uns ein Leben lang und prägen unsere Verhaltens- und Denkweisen. Oft sind Frauen gezwungen, dass sie nach der Geburt der Kinder ihr bisheriges Leben komplett aufgeben und sich ganz der Erziehung ihrer Kinder hingeben. Väter hingegen bleiben oft von dieser Carearbeit befreit, gelten als finanzielle Geber und lassen sich von ihren Frauen versorgen. Viele Familien sind in diesen konservativen Denkmustern hängen geblieben, schon seit langem wird durch die neuen Ansichten des Feminismus eine Veränderung des Familienbildes angestrebt.
von Nadine Hell
Meine Mama ist für mich eine der wichtigsten Personen im Leben. Ihre Worte und Taten sind heute und damals sehr bedeutend für mich.
Allgemein gelten Mütter wohl als maßgebende Vorbilder für ihre Kinder und beeinflussen sie nachhaltig in ihren Denkweisen und Ansichten. So ist es auch mit meiner Mama. Sie hat mir gezeigt, wie ich mich richtig benehme, wie ich mit Menschen umgehen soll und wie ich meine Ziele verfolgen kann.
Ich benenne mich selbst als Feministin, obwohl ich viele Eigenschaften meiner Mutter habe und sie niemals als Feministin bezeichnen könnte.
Meine Mama lebt so wie viele Mütter in Deutschland. Sie ist als ganz normales Mädchen in einem konservativen Dorf aufgewachsen; für die Kolumne möchte ich jedoch nicht hier starten, sondern an dem Lebenspunkt anfangen, an dem sie zur Mutter wurde. Bei meiner Geburt. Nach meiner Geburt hat meine Mama ihre Arbeit aufgegeben und sich ganz der Erziehung meiner Schwester und mir gewidmet. Mein Vater stellte sein Leben nur wenig um. Er ging weiterhin zur Arbeit, um finanziell für uns zu sorgen. Unsere Familie entsprach also dem typischen konservativen Familienbild: Mama war den ganzen Tag zu Hause und Papa war nur abends da.
Meine Mama hat die typischen Aufgaben einer Hausfrau übernommen, die man heute auch als Carearbeit bezeichnen würde. Sie hat für uns gekocht, das Haus gepflegt und die Wäsche gewaschen. Außerdem hat sie die Finanzen geregelt und Sparpläne für uns angelegt. Doch diese oberflächlichen Aufgaben waren bei weitem nicht das Einzige, was Mama für die Familie getan hat. Das Wichtigste ist wohl: Sie war für uns alle da.
In meiner Kindheit hat sie jede Träne abgewischt, jede Wunde verarztet und jeden Streit zwischen Geschwistern geschlichtet. Während meiner Schulzeit hat sie mich unterstützt, bei schlechten Noten aufgeheitert und motiviert und mir gezeigt, wie ich die richtigen Freund:innen finde. Die beste Freundin blieb wohl meine Mama selbst, was ich erst heute verstehe. Sie hat mir nämlich beigebracht, an mich selbst zu glauben, einen Selbstwert zu entwickeln und stark zu sein, trotz aller gesellschaftlicher Normen.
Wenn ich meine Mama heute frage, sagt sie, die Pubertät wäre die schlimmste Zeit gewesen. Als Wunder sollte es gelten, dass wir beide noch leben. Denn jedes meiner negativen Gefühle habe ich in dieser Zeit auf meine Mama projiziert und endete in Streiterei. Ich konnte meine Mama noch so beleidigen und anschreien, sie war für mich da und half mir, Gefühlsausbrüche durchzustehen. Ihre Gefühle und Probleme spielten dabei nie eine Rolle, denn ihre Tochter kam immer zuerst.
Auch heute noch kann ich mich stets auf meine Mama verlassen. Bei jeder Unsicherheit, die in mein Leben tritt, bei jeder Krise, die ich habe, ja sogar bei Langeweile ist meine Mama für mich da.
Wer sich nun fragt, was diese Lobeshymne an meine Mutter mit Feminismus zu tun hat, stellt eine berechtigte Frage. Hier die Antwort: All das Beschriebene, was ich immer als selbstverständlich empfunden habe, zählt zu Carearbeit. Unbezahlte Arbeit, die körperliche und psychische Kräfte von ihr gefordert haben, was sie ohne zu zögern für mich und meine Schwester in Kauf genommen hat. Sie hat auf viele wichtige Dinge, wie eine berufliche Karriere oder freizeitliche Erlebnisse, verzichtet, um mich zu erziehen. Nur so habe ich die Chancen und Möglichkeiten in meinem Leben erhalten, die ich heute habe.
Klar ist, meine Mama lebt einen konservativen Lebensstil, der nicht gerade mit Gleichberechtigung glänzt. Sie ist für mich keine Feministin, sie ist eine liebende Mutter. Was ist, wenn viele Frauen nur liebende Mütter sind und deshalb den erwarteten Feminismus nicht ausleben können? Was wenn sie sich nicht gegen den Feminismus entscheiden, sondern für ihre Kinder? Soziale Umstände regeln unsere Lebensweisen. Die sozialen Standards und Erwartungen an eine Frau ihrer Generation führten dazu, dass meine Mama bis heute Carearbeit leisten muss und in den gesellschaftlichen Mustern einer Hausfrau gefangen ist.
Ich will meine Mutter nicht als Feministin bezeichnen, ich möchte ihr aber danken: Sie hat auf ihren eigenen Feminismus verzichtet und mich mit ihm konfrontiert und sensibilisiert. Mama, ich bin Feministin für uns beide.
Beitragsbild: Bethany Beck I Unsplash