»Das absolute Minimum ist nicht genug!«

»Das absolute Minimum ist nicht genug!«
Vorab-Schmankerl: Dieser Artikel wird auch in der 32. Ausgabe der Lautschrift erscheinen, die ab dem 10. März auf unserer Webseite zu finden sein wird. Ihr könnt ihn aber schon jetzt exklusiv vorab lesen.

40 Menschen werden zu Beginn der nächsten Spielzeit das Theater Regensburg verlassen. Der neue Intendant soll dabei laut Betroffenen rücksichtslos vorgegangen sein. Die Kritik gilt neben ihm auch den Strukturen an Theatern und der kommenden Schauspielleitung. Die Lautschrift traf zwei Künstler:innen aus dem aktuellen Ensemble zum Gespräch.

von Moritz Müllender und Julian Tassev

»Nur weil ich die Macht habe, mein Haus in Brand zu setzen, muss ich das nicht unbedingt machen.« Zelal Kapçık sitzt nach vorne gebeugt auf einem ausgeblichenen, breiten Ledersessel. Sie ist Schauspielerin von Beruf und aus Leidenschaft. Im Sessel neben ihr sitzt der Tänzer Tommaso Quartani. Er hat für die Kunst sein Heimatland Italien verlassen. Beide gehören zu den etwa 40 von (laut Pressesprecherin) insgesamt 189 Beschäftigten im künstlerischen Bereich, für die die aktuelle Spielzeit die letzte am Theater Regensburg sein wird. Für das Gespräch haben wir die beiden in Quartanis WG-Zimmer getroffen.

Die neue Intendanz – das ist die Leitung des Theaters – hat das Recht zu entscheiden, wer bleibt und wer gehen muss. Dafür muss diese lediglich – vor der offiziellen Nicht-Verlängerung – die Betroffenen in einer Anhörung auf ihr Recht hinweisen. Die beschäftigten Künstler:innen erhalten nur kurz-befristete Verträge. Daher wird von Nicht-Verlängerungen gesprochen und nicht etwa von Kündigungen. In Regensburg heißt der neue Intendant, beginnend mit der Spielzeit 22/23, Sebastian Ritschel. Ein geschmeidiger Einstand war es für ihn wohl nicht. 

»Wir wurden nie wirklich ernst genommen, egal wie viel wir geschrien haben.« Ein langer Ohrring baumelt an Quartanis linkem Ohr, während er spricht. Die 23-jährige Kapçık nickt. Dass das Vorgehen beim Intendanzwechsel legal ist, bestreiten die beiden Kolleg:innen nicht. Dennoch werfen sie Ritschel einiges vor. Die Legalität des Prozesses sei keine Rechtfertigung für das konkrete Verhalten. Die Vorwürfe gelten dabei nicht allein Ritschel.

Dieser gibt sich auf Anfrage der Lautschrift äußerst diplomatisch: »Selbstverständlich versuchen wir, Entscheidungen im Konsens zu treffen: So haben wir wunderbare Vorsprechen und Vorstellungsgespräche im Gremium durchgeführt und die anschließenden Diskussionen haben gezeigt, dass wir einen großen gemeinsamen Nenner haben«, schreibt der neue Intendant auf die Frage, wie es um die Hierarchien und das geforderte Mitspracherecht der Künstler:innen steht. Generell funktioniere ein Haus von der Größe Regensburgs aber nur mit »klaren Regeln und Ausrichtungen.« Ritschel selbst habe »ein gutes Gefühl für die zukünftige Zusammenarbeit im Haus«. 

Noch zeitgemäß?

Grundsätzliche Kritik gilt neben den steilen Hierarchien am Theater vor allem der Allmacht der Intendant:innen – meist Intendanten –, die durch den sogenannten »Nichtverlängerungsgrund Intendantenwechsel« eine ganze Belegschaft auswechseln können. Das Ensemble-Netzwerk fordert eine Abschaffung dieser Regelung. Das Netzwerk setzt sich in ganz Deutschland für bessere Arbeitsbedingungen und mehr Mitsprache für Künstler:innen an Theatern ein. »Wenn es neuen Trainer:innen in der Fußball-Bundesliga zugemutet werden kann, mit der bestehenden Mannschaft zu arbeiten, dann gilt das wohl auch für neue Intendant:innen«. Dass Leitende das Personal auswechseln, sei verständlich. Es brauche dann aber eine höhere Abfindung und soziale Belange müssten berücksichtigt werden. Personen in Führungspositionen sollten sich ihrer Verantwortung gegenüber den Menschen, über deren Existenz sie entscheiden, bewusst sein und sie nicht mit dem Verweis auf die Kunstfreiheit negieren. Auch die Gewerkschaft der Beschäftigten an Theatern, die Bühnengenossenschaft, stellt auf Lautschrift-Anfrage zur Debatte, inwieweit die Nichtverlängerung aufgrund des Intendanzwechsels »​​zeitgemäß« sei.

Intendant in der Kritik

Die Beschäftigten am Theater Regensburg kritisieren neben den strukturellen Problemen auch die konkrete Umsetzung des Intendanzwechsels. In einer Stellungnahme verlangen sie vor allem bessere Kommunikation. »Unser Problem ist, dass Herr Ritschel nur das getan hat, was juristisch korrekt ist. Von einer Theaterleitung erwarten wir mehr.«

Ritschel äußert sich auch hierzu: »Ich selbst habe mich seit der Bekanntgabe im Oktober 2020 für eine klare Linie der Gleichbehandlung aller künstlerischen Mitarbeitenden entschieden.« Er schreibt, er und sein Team konnten »sämtliche Darsteller:innen – trotz der pandemischen Situation – in mehreren Bühnen-Situationen sehen und erleben«. Zudem habe es zwei – speziellen Regeln unterliegende – Arbeitsproben gegeben. Er möchte aber auch klarstellen: »Sämtliche Verträge der künstlerisch Beschäftigten sind gemäß des NV-Bühne (Anmerkung der Redaktion: Normalvertrag-Bühne, unter dem die aktuellen Regelungen laufen) befristet. […] Die Bestimmungen dieses Vertragsverhältnisses sind allen Künstler:innen bekannt.«  

Tommaso Quartani in seinem Element als Teil des Tanz-Ensembles in »Juke Box Heroes«, einem Tanzabend unter Regie von Chefchoreograph Georg Reischl. Nach Ende der Spielzeit weiß er nicht, ob Tanzen weiterhin seine Karriere sein wird. © Gerhard W.H. Schmidt

Im Oktober 2020 wurde Ritschels Name als kommender Intendant veröffentlicht. Danach war für fast ein Jahr komplette Funkstille, berichten Tommaso Quartani und Zelal Kapçık. Im Sommer soll Ritschel dann die ersten Vorstellungen besichtigt und sie ohne ein Wort wieder verlassen haben. »Wenigstens einen Dank für die Vorstellung« hätte sich Quartani gewünscht. Die Beschäftigten hätten so gut wie nichts über das künstlerische Konzept oder die neuen Leitungen für die Abteilungen, wie Tanz, Schauspiel oder Musiktheater, erfahren. Nach den verpflichtenden Anhörungen kamen dann Briefe für die Ausgedienten. Diejenigen, die blieben, hatten zu diesem Zeitpunkt kaum Anhaltspunkte, auf was sie sich einließen. »​​Sie mussten die sprichwörtliche Katze im Sack kaufen«, so Kapçık. Nur der neue Leiter des Tanz-Ensembles, Wagner Moreira, besuchte die Tänzer:innen bei einer Probe, nachdem diese Druck gemacht hatten. Das sei laut Quartani »​​das einzig Positive an der Geschichte«, auch wenn es sich nach »zu wenig und zu spät« für ihn angefühlt habe. Zwei Tage nach der Probe erhielt der 28-jährige Italiener seine Nicht-Verlängerung.

Schauspielleitung mitverantwortlich?

Beim Schauspiel lief es für Zelal Kapçık kaum besser. Die neue Leitung Antje Thoms wurde erst im November 2021 bekannt gegeben. Bis dahin wussten die Beschäftigten, die eine Verlängerung angeboten bekommen haben, nicht einmal, wer ihre Abteilung übernehmen würde. Entscheiden, ob sie bleiben oder gehen, mussten sie jedoch bis Ende Oktober. Antje Thoms kommt dabei eine besondere Rolle zu, denn sie engagiert sich im Netzwerk-Regie – eine Schwesterorganisation des Ensemble-Netzwerks – für mehr Solidarität an Theatern. Dass sie nun am Theater Regensburg die Schauspielleitung übernimmt und sich nicht öffentlich zu der Kritik positioniert, ist für Kapçık schwer nachvollziehbar. Genau so, wie Thoms auch im öffentlichen Statement des Ensemble-Netzwerks nicht erwähnt worden sei. Kapçık halte Antje Thoms für mitverantwortlich und warte nach wie vor auf ein Statement oder eine Entschuldigung. 

Auf Lautschrift-Anfrage teilt Antje Thoms mit, dass sie »einige der Kritikpunkte am Verfahren nachvollziehen« könne. Bis zu ihrer offiziellen Ernennung am 23. November fiele die Art und Weise des Übergangs jedoch nicht in ihren Verantwortungsbereich. »Nicht leichtfertig« hätten sie und Ritschel über Nichtverlängerungen entschieden. Sie habe »jede:n Schauspieler:in in Vorstellungen gesehen; eine Kollegin, die wegen der Pandemie nicht sichtbar war, hatte eine Arbeitsprobe«. Über soziale Komponenten sei sie auch informiert worden. Thoms verspricht für die zukünftige Zusammenarbeit »Mitsprache, Beteiligung, Transparenz und Respekt«. Die neue Schauspielleitung weist darauf hin, dass über 50 Prozent im Schauspielbereich blieben, das sei »wesentlich mehr als üblich«. Nichtverlängerungen seien laut Thoms jedoch auch nötig, um Platz für Anfänger:innen und mehr Diversität zu schaffen. Dabei sei »klar, dass es zum einen zeitgemäße, juristische Rahmenbedingungen und Rechtssicherheit für künftige Leitungen braucht, welche die geforderte Transparenz und Kommunikation ermöglichen. Zum anderen müssen Veränderungen am NV-Bühne vorgenommen werden, z. B. was Abfindungen, Vertragslaufzeiten, Schutz für Anfänger:innen und Regeln für das Nichtverlängerungs-Prozedere bei Intendanzwechseln angeht«. Auf die Frage, ob sie sich zum Verfahren positioniert habe, führt Thoms interne Gespräche mit dem designierten Leitungsteam, Ensemble-Netzwerk und Netzwerk-Regie an. Die verbleibenden Schauspieler:innen habe sie, nach Bekanntgabe ihrer Position, direkt kontaktiert. Zelal Kapçık ist keine von ihnen. 

Die Darstellung Zelal Kapçıks rückt die Bleibequote von über 50 Prozent, die Thoms nennt, in ein anderes Licht. Unter den Schauspieler:innen, die am Theater Regensburg bleiben, seien zwei vertraglich unkündbar. Von insgesamt 15 Personen haben die künftigen Vorgesetzten also nur bei 13 über einen Verbleib entscheiden können. Von diesen 13 seien sieben nicht verlängert worden – bleiben also sechs. Von den Beschäftigten, über die entschieden wurde, wären demnach also über 50 Prozent gekündigt worden. 

Zelal Kapçık hier als Kriemhild in Julia Prechsls Version von Friedrich Hebbels Trauerspiel »Die Nibelungen«. Wohin es die junge Schauspielerin nun verschlägt, steht noch in den Sternen. © Martin Sigmund

Das Gespräch mit den Darsteller:innen fand vor den Anfragen an die Leitungspersonen in spe statt. Dennoch greifen Quartani und Kapçık einige Punkte, die Ritschel und Thoms in ihren Statements anführen, bereits im Interview auf. So sei ihnen etwa bewusst, dass ein Theater auch Platz für neue Künstler:innen schaffen müsse. Das bestreiten sie nicht. Auch sie hätten ihre Stellen auf diese Weise bekommen. Zelal Kapçık weist aber darauf hin, wie frustrierend sie es findet, dass sich Personen in Führungspositionen – die das vom Ensemble kritisierte Verhalten zeigen – immer wieder mit Verweis auf das System aus der Affäre ziehen und die Verantwortung wegschieben würden. Genau das System gehöre eben verändert. Gerade von einer Personalie wie Antje Thoms habe sie mehr erwartet.

Ungewisse Zukunft

Zurück also im WG-Zimmer, irgendwo in Regensburg. Die beiden Künstler:innen, die während des gesamten Gesprächs kein einziges Mal aus ihrer Kaffeetasse trinken, hätten sich vor allem eine transparentere Kommunikation gewünscht und sie fragen sich, warum es Entlassungen in dieser Zahl gebraucht hat – besonders in einer Pandemie. Auch die Bühnengenossenschaft ist besorgt: »​​Der Verlust eines Arbeitsplatzes in der jetzigen Situation kann das Ende einer künstlerischen Laufbahn bedeuten.« Für sie bleibt fraglich, ob der neue Intendant sein Recht, insbesondere inmitten einer Pandemie, in diesem Umfang hätte ausnutzen müssen. »Das ist natürlich eine Machtdemonstration«, sagt Kapçık. »Wir sind nicht bloß austauschbare Zahnrädchen, wir sind die Menschen, die das Theater ausmachen«, ergänzt Quartani neben ihr. 

Besonders frustrierend ist für beide die Annahme einiger, dass ihnen die Unsicherheit, mit der sie leben müssen, nichts ausmache. Dass Künstler:innen immer frischen Wind um die Nase bräuchten. Es bedeute immer wieder, Beziehungen neu aufzubauen, nur um sie wieder zu verlieren. Zukunftsplanung sei kaum möglich. »Man darf das nicht romantisieren, es ist ein brutaler Prozess.« Die Schauspielerin Zelal Kapçık verschränkt ihre Finger vor ihren übereinander geschlagenen Beinen. »Als junge, angehende Kunstschaffende könnte ich von diesem ganzen Prozess erschüttert sein, ich könnte natürlich ebenfalls meine Kompetenzen hinterfragen, was ich auch gemacht habe. Es benötigt viel Stärke, zu sagen, es ist nichts Persönliches – nicht an den eigenen Kompetenzen zu zweifeln.« Für beide ist fraglich, ob sie überhaupt innerhalb der aktuellen Strukturen wieder an einem Theater arbeiten wollen. Tommaso Quartani überlegt sogar, komplett umzuschulen. »Für Menschen wie mich, die jahrelang darauf hinarbeiten, aus einem Land, in dem es weniger Möglichkeiten für Künstler:innen gibt, an ein Theater zu kommen, ist das etwas Großes. Und dann siehst du, wie all die Arbeit, die Zeit und die Kunst, die du investiert hast, missachtet wird … Es erschüttert meinen Glauben an das, was ich als Künstler tue.«

 

 

Moritz Müllender (25) studiert soziale Arbeit und hat im Theater Regensburg schon einige Vorstellungen sehen dürfen. Nach der Recherche wird er mit neuem Auge auf die Künstler:innen, für die regelmäßig so viel auf dem Spiel steht, schauen. 

 

 

 

Julian Tassev (27) studiert Medienwissenschaft und ist mit Theater- und Opernbesuchen aufgewachsen. In den letzten Jahren hat er etwas Interesse an dieser wundervollen Welt eingebüßt, aber dieser Artikel hat dieses definitiv neu entfacht. 

 

Beitragsbild: So altehrwürdig – manche würden sagen altbacken – wie der Saal wirkt, sind oft auch die Strukturen an Theatern. © Jochen Quast

One thought on “»Das absolute Minimum ist nicht genug!«

  1. Guter Artikel.
    „Nichtverlängerungen seien laut Thoms jedoch auch nötig, um Platz für Anfänger:innen und mehr Diversität zu schaffen.“
    … Deshalb verlängern sie auch eine Anfängerin mit Diversitätstkompetenz nicht.
    Kannst du dir nicht ausdenken. 🤦‍♂️
    Was im Zusammenhang mit Nichtverlängerungen ohne Bekanntgabe des künstlerischen Konzepts „Gleichbehandlung“ bedeuten soll, weiß auch nur der designierte Intendant selber. „Unter mir sind alle gleich.“?

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