Feminis:muss: Mehr ist mehr!

Feminis:muss: Mehr ist mehr!

Andere Länder, andere Sitten? Der Vergleich von Deutschland und Griechenland lässt durchaus darauf schließen. Doch kann man beide Kulturen miteinander verbinden? In ihrem Buch »Etsikietsi – Auf der Suche nach meinen Wurzeln« zeigt Linda Zervakis, dass es geht. Eine Buchrezension. 

von Julian Bichler

Ein Tagebuch, zwei Flugtickets und eine Prise Neugier – das ist das Erfolgsrezept hinter dem neuen Buch von Linda Zervakis, welches im August 2020 im Rowohlt Verlag erschienen ist. »Etsikietsi – Auf der Suche nach meinen Wurzeln« entführt seine Leser*innen in eine Welt, in der zwei Kulturen aufeinanderprallen, sich jedoch nicht bekämpfen, sondern vielmehr zu einer Einheit, dem Bikulturellen, verschmelzen. Die Tagesschau-Sprecherin versteht es, ihre Leser*innen nicht nur bloße Unterhaltung zu liefern, sondern obendrein auf humorvolle Weise ein politisches Statement zu setzen und zwar: Mehr ist mehr!

Bei einem Besuch ihrer Mutter Chrissi erhält Linda Zervakis deren Tagebücher. Darin schreibt die Mutter über ihr früheres Leben in einem kleinen, griechischen Dorf unter patriarchalischen Bedingungen. Statt eine weiterführende Schule besuchen zu dürfen, muss sie auf dem Feld oder im Haushalt arbeiten. Als Chrissi bei einem Besuch ihrer Schwester in Thessaloniki die Möglichkeit erhält, eine bekannte Schauspielerin zu werden, ist ihre Freude groß. Doch ihr Vater Kostas missbilligt diese Vorstellung. Inspiriert durch die Tagebücher beschließt Linda Zervakis, mit ihrer Mutter eine Reise nach Griechenland zu unternehmen, um mehr über ihre griechischen Wurzeln zu erfahren. Dort werden die beiden unter anderem zur Hochzeit ihrer Cousine eingeladen und lernen Lindas Tante kennen, die zum Schutz vor Trickbetrüger*innen kein Telefon besitzt.

Nun könnte man sich fragen, was denn der Titel des Buches genau mit dieser Handlung zu tun hat, außer dass es sich eben um ein griechisches Wort handelt. »Etsikietsi« kann ins Deutsche übersetzt werden mit »so und so«. Demnach wird bereits beim Titel auf die vielschichtige Bedeutung der Handlung hingewiesen. Als Linda Zervakis im Mai 2013 zum ersten Mal Teil der ARD-Tagesschau um 20 Uhr wird, bezeichnen sie die Medien als die erste Frau mit Migrationshintergrund in dieser Branche. So weit, so gut. Der Haken: Sie selbst identifiziert sich kaum mit diesem Aspekt. Wer wird denn schon gerne in eine Schublade gesteckt? Linda Zervakis hat zwar griechische Wurzeln, lebt aber in Hamburg, wurde sogar dort geboren. Für sie waren beide Nationalitäten nie wirklich Thema. Sie ist zugleich Deutsche und Griechin. Nicht mehr, vor allem aber nicht weniger. Und das ist gut. Sie ist »so und so«. »Etsikietsi« eben. Besser: Sie ist Europäerin. 

Linda Zervakis bringt in ihrem Buch den Leser*innen die griechische Seite ihres Lebens ein Stück näher. Durch einfachen Satzbau und umgangssprachlichen Ton ist der Text leicht lesbar und verständlich. Zudem baut sie kleine, nebensächliche Details und alltägliche Szenen in ihre Darstellung ein, wodurch sie es geschickt schafft, mich in die Geschichte hineinzuziehen. Wer kennt nicht das befreiende Gefühl, das Linda Zervakis beschreibt, als sie mit ihrer Mutter in Griechenland ankommt:

»Es dauert nur drei Sekunden bis zu meiner Metamorphose. Mein Körper saugt die Energie auf, als wäre ich solarbetrieben. Jeder Atemzug ist wie eine Mini-Meditation.«

Selbst ich, der eher stille Leser, kann mich hier nicht zurückhalten, ebenfalls einmal kräftig einzuatmen. Die Luft in meinem Zimmer ist zwar nicht mit Urlaubsatmosphäre vergleichbar, aber was sollʼs. In Stimmung bin ich trotzdem. Weil der Text immer wieder mit griechischen Vokabeln geschmückt ist, fühle ich mich im Laufe der Geschichte noch ein Stück mehr, als ob ich wirklich vor Ort wäre.

Was macht eben dieses europäische Land eigentlich aus? Was ist typisch Griechisch? Sofort denke ich an Ouzo und Sirtaki. Wer nicht? Griechisch sein bietet jedoch noch mehr, wie ich während des Lesens erkenne, auch wenn mir manche Dinge etwas komisch erscheinen. So wird Linda Zervakis zum Beispiel zusammen mit ihrer Mutter zu einer griechischen Hochzeit eingeladen. Dass in Griechenland niemand mit weniger als 250 Personen heiratet, ist nicht die einzige Sache, die mir neu ist. Griechische Feiern werden groß aufgezogen, an Ostern wird sogar drei ganze Tage lang eine Party geschmissen. Okay, akzeptiert. Wer feiert schließlich nicht gern? Aber dass Knoblauch gegen einen angeblichen Fluch helfen soll, ausgelöst durch böse Blicke von Personen, kann ich, ein mit dem Vampirkult aufgewachsener Deutscher, nicht ohne Weiteres hinnehmen. Schließlich bräuchte man bei den vielen grimmigen Gesichtern, denen man normalerweise täglich begegnet, ziemlich viel davon. Aber nach griechischem Aberglauben soll auch dreimal Spucken helfen, um das drohende Unheil abzuwenden. Eine gewisse Ähnlichkeit haben griechische Familien mit den deutschen allerdings, denke ich mir. Auch sie lästern gerne mal miteinander, wenn bei einer Person nach genauester, subjektiver Analyse die Haare wieder mal nicht gefallen oder der Rock zu kurz geraten scheint. 

Linda Zervakis schafft es mit ihrem Buch, Multikulturalität zu etwas Eigenem, etwas Humorvollem, etwas Gutem zu machen. Sie will sich nicht für eine der beiden Seiten entscheiden. Und das sollte sie auch nicht. Mit einem Satz über ihre Mutter Chrissi bringt sie das Ganze auf den Punkt: »Hier im Süden schwärmt sie davon, wie schön sie es im Norden hat, wo sie uns die restlichen elf Monate damit in den Ohren liegt, wie sehr sie doch den Süden vermisst.« Fazit: Heimat muss nicht auf einen ganz bestimmten Ort fixiert sein, vielmehr handelt es sich dabei um ein Gefühl. Für manche besteht dieses Gefühl womöglich darin, dass man an einem bestimmten Ort automatisch mit dem WLAN verbunden wird, für Linda Zervakis ist es das Bikulturelle. Ich selbst denke mir beim Lesen immer wieder, wie spannend es doch sein muss, zwei Nationalitäten anzugehören. Wer will schon ständig die monotone Kultur eines einzigen Landes erleben (im schlimmsten Fall auch noch die deutsche Kultur mit ihrem berühmt berüchtigten Bürokratie-Irrsinn und dem fast schon fanatischen Kampf gegen ein Tempolimit auf Autobahnen, um nur zwei Beispiele zu nennen)?

Spannungssüchtige Leser*innen kommen bei diesem Buch zwar nicht auf ihre Kosten. Allen anderen, die gerne unterhalten werden, zum Schmunzeln gebracht werden wollen oder sich einfach mal wieder Urlaubsfeeling in den eigenen vier Wänden wünschen, kann ich das Buch nur wärmstens empfehlen.

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