»Die aktuelle Drogenpolitik ist gescheitert«

Wer neben einem Bier auch den Zug an einem Joint zum persönlichen savoir-vivre zählt, macht sich in Deutschland strafbar. Dagegen wächst in den Universitäten des Landes Widerstand, nicht nur von studentischer Seite.

 

Prof. Dr. Henning Müller ist einer der 122 Strafrechtsprofessoren, die die Resolution eingereicht haben.
Kann sich nicht erinnern, wann er den letzten Joint geraucht hat: der Regensburger Jura-Professor Hen­ning Mül­ler.

Zu Beginn dieses Jahres haben 122 Strafrechtsprofessoren eine Resolution beim Bundestag eingereicht, in der sie eine Überprüfung des Betäubungsmittelgesetzes fordern. Sie sehen es als Ausdruck einer unzeitgemäßen Drogenpolitik. Ein Gespräch mit dem Regensburger Unterzeichner Prof. Dr. Henning Müller über die Auswirkungen der aktuellen Gesetzeslage auf Konsument, Staat und Gesellschaft.

Lautschrift: Die ehemalige Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, hat den Initiatoren der Resolution unterstellt, sie wären bei der Unterzeichnung high gewesen. Wann haben Sie Ihren letzten Joint geraucht?
Müller: Oh, das ist schon sehr lange her. An den Zeitpunkt kann ich mich nicht mehr erinnern.

Sie haben mit 121 anderen Strafrechtsprofessoren eine Resolution beim Bundestag eingereicht. Was genau beinhaltet sie?
Teil dieser Resolution ist zunächst die Bestandsaufnahme, dass der Staat in den vergangenen Jahrzehnten überwiegend mit strafrechtlichen Mitteln versuchte, das Drogenproblem in den Griff zu bekommen. Das ist gescheitert. Einerseits wird versucht, die Menschen aus der Drogensucht zu bekommen. Andererseits ist ein Schwarzmarkt entstanden, der eine Reihe von Folgeproblemen nach sich zieht. Einige Auswirkungen der Strafverfolgung machen uns mittlerweile mehr Sorgen als die Drogensucht selbst. Das ist der Hintergrund unserer Resolution.

Was für Auswirkungen hat das aktuelle Betäubungsmittelgeset auf die Konsumenten?
Zunächst einmal werden illegale Drogen im Geheimen gehandelt, was dazu führt, dass ein attraktiver Schwarzmarkt entsteht, der hohe Preise erzeugt. Das schreckt möglicherweise zumindest einige davor ab, Drogen zu konsumieren. Bereits Süchtige geraten so aber oft in die Beschaffungskriminalität, weil sie sich sonst ihren Konsum nicht leisten können. Ein Viertel der Insassen von Strafvollzugsanstalten sind im Zusammenhang mit Betäubungsmitteln inhaftiert, nicht, weil sie Drogen nehmen, sondern meist, weil sie aufgrund der Betäubungsmittel Straftaten begangen haben, um an das Geld zu kommen. Das wäre bei einem anders gestalteten Markt nicht der Fall.

Gibt es denn ein bestimmtes Modell staatlicher Drogenpolitik, das die Resolution beabsichtigt zu erreichen?
Man hätte nicht so viele Unterschriften ganz unterschiedlicher Strafrechtswissenschaftler bekommen, wenn schon eine Lösung in einer Resolution stünde. Solche Lösungen sind auch unter Strafrechtswissenschaftlern umstritten. Man konnte sich darauf einigen, dass die aktuelle Drogenpolitik erhebliche Schwächen hat und der Bundestag eine Enquete-Kommission einsetzen soll, die sich offen mit Fragen des Drogenverbots auseinandersetzt.

Im Zuge dieser Diskussion wird auch immer wieder die Frage aufgeworfen: Hat der Mensch ein Recht auf Rausch?
Unsere Gesellschaft hat im Hinblick auf Alkohol das Recht auf Rausch ganz eindeutig etabliert. Interessant ist die Frage, wieso manche Rauschmittel erlaubt, andere dagegen verboten sind. Die Gesellschaft billigt den Alkoholkonsum, obwohl er gefährliche Ausmaße annehmen kann. Gegen andere Drogen, die gleich oder gar weniger gefährlich sind, wird hingegen ein striktes Strafrecht eingesetzt. Das ist unverhältnismäßig.

Was entgegnen Sie besorgten Eltern, die in einer möglichen Entkriminalisierung die Gefahr eines steigenden Konsums sehen?
Jugendliche, die Alkohol trinken und Drogen nehmen wollen, haben keine Schwierigkeiten, tatsächlich an den Stoff zu kommen. Der Unterschied liegt nur darin, dass sie im einen Fall zu Kriminellen werden, im anderen nicht. Ich sehe keinen Zusammenhang darin, dass ein Verbot zwangsläufig den Konsum reduziert, es erschwert ihn höchstens. Dabei ist auch der Reiz des Verbotenen zu berücksichtigen.

Inwiefern ist dann das Argument der Einstiegsdroge Cannabis haltbar?
Im Moment, in dem wir harte und weiche Drogen gleichzeitig verbieten, wird Cannabis häufig als Einstiegsdroge zu den illegalen Drogen bezeichnet. Jedoch wurde zuvor auch fast immer Alkohol und Nikotin konsumiert, was man ebenfalls als Einstiegsdroge benennen könnte. Wo der Einstieg in die illegalen Drogen passiert, hängt allein davon ab, wo man die Grenze des Verbots zieht. Wenn man Kontakt zu einem Dealer hat, kennt man schnell auch weitere, die möglicherweise auch härtere Drogen vermitteln. Das ist weniger eine Gefahr der Droge an sich, sondern des Drogenverbots.

Sie haben die Resolution beim Deutschen Bundestag eingereicht. Dieser wird momentan von der CDU/ CSU dominiert, der man eine eher restriktive Drogenpolitik unterstellen kann. Für wie erfolgversprechend halten Sie unter diesen Bedingungen Ihr Anliegen?
Unter den Unterzeichnern wird es bereits als Erfolg gewertet, dass sich mittlerweile einige Abgeordnete – auch von den Regierungsparteien – vorstellen können, diese Diskussion anzustoßen. Ob Erfolge im Hinblick darauf erzielt werden, dass in nächster Zeit ein bestimmtes Modell eingeführt wird oder bestimmte Drogen legalisiert werden, kann man nicht voraussehen.

Woran liegt es, dass es lange Zeit keine öffentliche Debatte über dieses Thema gab, und erst die Resolution diese anstößt?
Es gab durchaus Zeiten, in denen darüber diskutiert wurde. In den 1990er Jahren beispielsweise mit dem berühmten Verfassungsgerichtsentscheid zum Konsum von Cannabis, wo zum ersten Mal der Begriff »Recht auf Rausch« geprägt wurde. Diese Debatte verlief jedoch wieder im Sand. Ich fürchte, dass das auch jetzt der Fall sein könnte. Es wird ja nicht dadurch besser, dass man dieses Problem ignoriert. Wir geben riesige Geldmengen für die Durchsetzung des Drogenstrafrechts aus, was möglicherweise an anderer Stelle besser eingesetzt werden könnte, zum Beispiel für Drogenprävention. Am aktuellen Marktmodell verdient sich die organisierte Kriminalität dumm und dämlich.

Inwiefern darf jedoch das Kostenargument ausschlaggebend dafür sein, ob eine Strafverfolgung sinnvoll ist?
Viele Projekte wirken zunächst vielversprechend und man überlegt, ob es sich lohnt, dafür Milliarden auszugeben. Die aktuelle Drogenpolitik läuft mittlerweile seit Jahrzehnten in eine bestimmte Richtung und es wird dafür immer mehr Geld ausgegeben, erkennbare Erfolge bleiben jedoch aus. An dieser Stelle kann man durchaus das Kostenargument anbringen. Ich bin nicht dagegen, dass für das Problem der Drogensucht und dessen Folgen Geld in die Hand genommen wird – es geht vielmehr um den richtigen Einsatz des Geldes. Die Frage ist,
ob das mit der derzeitigen Strafverfolgung der Fall ist.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Kommentar des Autors:

„Glaube keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast.“ Wird nach dieser flexibel einsetzbaren Floskel als Rettungsanker in einer ausweglosen Diskussion gegriffen, braucht man über die Sinnhaftigkeit des Gesprächs oftmals nicht länger nachzudenken. Nicht zuletzt in der Debatte über eine alternative Drogen- und Suchtpolitik, bei der auf positive Erfahrungswerte liberaler Modelle, wie zum Beispiel in den Niederlanden, Portugal oder der Schweiz, verwiesen wird, findet diese sprachliche Ungepflogenheit allzu häufig Anwendung. Dabei steht dies symptomatisch für ein zentrales Problem der Bundesrepublik: dem mangelnden öffentlichen Diskurs über die Legitimität des gegenwärtigen „war on drugs“. Insofern ist es wichtig und richtig, dass die Resolution der 122 Strafrechtsprofessoren eine gesellschaftliche Debatte eröffnet, welche nicht ideologiegeleitet, sondern sachorientiert geführt werden sollte.

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