»Plötzlich fing ich wieder an zu träumen … «

Zwischen Koks und Klarheit, zwischen Rausch und Realität, von der Ekstase zur Ernüchterung – zwei Menschen, eine Geschichte. Wo findet man ihn: den Stoff zum Träumen?

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Philipp* ist auf dem Weg zur Uni. Es ist  warm, die Sonne scheint – viel lieber würde er jetzt zum Basketballspielen gehen. Aber es muss ja sein: Philipp studiert Medizin in Regensburg. Also rein in die Bibliothek und noch ein wenig büffeln.

»Toni, ich würde Ihnen dringend raten, eine Entgiftung zu machen.« Der Krankenhaus-Psychologe spricht in einem ruhigen, aber bestimmten Ton. Toni willigt ein. Die vergangenen Stunden machen ihm die Entscheidung leicht. Toni ist 20 Jahre alt.

Philipp beendet seinen Unitag: raus aus der Bibliothek und ab in die Arbeit. Dort hat er es mit einer bunten Mischung von Menschen zu tun: mit Alten, mit Jungen. Mit Studenten, mit Berufstätigen. Mit Frauen und Männern. Mit Arbeits- und Obdachlosen. Sie alle haben eines gemeinsam: Sie sind oder waren drogenabhängig. Der 29-Jährige arbeitet im DrugStop Regensburg. Drei Tage in der Woche hilft er in der Beratungsstelle mit, spricht mit den Leuten, die dort Unterstützung suchen, geht in Schulen, um Vorträge zur Prävention zu halten und hilft, Symposien zu planen und vorzubereiten.

Wenn Toni sich an seine letzten Jahre erinnert, wirkt er manchmal selbst ein wenig ungläubig. »Das Internat, auf dem ich war, hatte schon einen entsprechenden Ruf. Ein ‚Drogeninternat‘, auf das reiche Eltern ihre Kinder schicken. Nachdem diese zuvor von anderen Schulen geflogen sind«, erzählt Toni. Auch er wurde von zwei Gymnasien geworfen, weil er anfing, das Marihuana, das er anfangs nur selbst geraucht hatte, auch zu verkaufen. »Alles hat damit begonnen, dass meine Freundin mit mir Schluss gemacht hat. Ich hatte einfach auf nichts mehr Lust und war genervt von allem.«

»Wie routiniert diese Mädchen nach den Spritzen gefragt haben«

Es ist Dienstag – für Philipp heißt das: Spritzentag. Beim dienstäglichen Spritzentausch im DrugStop werden saubere Spritzen an Abhängige verteilt, um den Safer-Use voranzutreiben. Philipp ist mit dabei. Er kennt das Prozedere, er weiß mit den Leuten umzugehen. Berührungsängste hat er kaum. »Es gibt ein paar Leute, die bei uns Praktikum gemacht haben – für die war das hier überhaupt nichts, weil sie mit den total Intoxikierten nichts anfangen konnten.« Manchmal ist es für Philipp aber trotzdem hart. »Einmal kamen zwei Mädels zum Spritzentausch, noch keine 20 Jahre alt. Wie routiniert die nach den Spritzen gefragt haben … das war schon verstörend.«

Ecstasy gegen Langeweile

»Im Internat ging es bei mir so richtig den Bach runter. Ich habe wieder angefangen, zu verkaufen. Die Leute dort hatten Geld – und die entsprechenden Connections. Das war schlecht«, sagt Toni. »Zu diesem Zeitpunkt habe ich auch so richtigen Kontakt zu den chemischen Geschichten bekommen. Ecstasy, Amphetamine, Koks.« Mit der Zeit etablierte sich ein fester Stundenplan für ihn: »Ich bin aufgestanden und mit dem Joint im Mund zur Schule gefahren. In der Pause noch gekifft und wenn man mal zu dicht war, noch ‘ne Nase gezogen, um wieder klarzukommen. In der zweiten Pause haben wir uns dann noch irgendwo hingesetzt und ‘ne Pille eingeworfen.« Eines Tages aber sollte Toni nach der Schule nicht wieder nach Hause gehen. »Wir hatten gerade BWL, es war langweilig. Mein Kumpel öffnete die Hand und zeigte mir zwei Pillen.« Ein bisschen Ecstasy gegen die Langeweile – nicht das erste Mal für Toni. »Aber auf einmal konnte ich nicht mehr normal atmen«, erzählt er. »Es fühlte sich ganz anders an als sonst, alles in meinem Kopf hat sich irgendwie gedreht. Ich hatte tausend Gedanken im Kopf, aber konnte keinen zu Ende denken. Ich wurde echt panisch, hatte Sterbensangst.« Endstation: Krankenhaus.

»Wann wird es mir zu viel, wann schwappt es über?«

Philipp macht sich auf den Weg zur nächsten Schule: Die Vorträge zur Drogenprävention machen ihm Spaß. Oft begleiten ihn Ex-User, die den Schülern über ihre Erfahrungen berichten, um ihnen anschaulich zu machen, wohin der Konsum von Drogen führen kann. »Aber manchmal«, sagt Philipp, »packe auch ich mal Geschichten aus meiner wilden Zeit aus. Als die Leute noch Toni zu mir sagten.«

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Der DrugStop Regensburg hält am Konzept fest, dass – neben Sozialpädagogen und Psychologen – auch Ex-User als Berater arbeiten und anderen Süchtigen helfen, ihr Leben in den Griff zu bekommen. »Als ich mich dort beworben habe, konnte ich mit meiner Hybrid-Rolle punkten. Da hat mir meine Vergangenheit in die Karten gespielt«, sagt Philipp. Seit einem halben Jahr ist er nun im DrugStop aktiv.

Christian Kreuzer, Psychologe in der Suchtambulanz Regensburg, sieht es als wertvoll an, wenn Ex-User als Berater tätig werden: »Das kann ein großer Gewinn sein, da sie eine ganz andere Legitimation mitbringen, mit den Klienten eine ganz andere, viel direktere Sprache anschlagen.« Dennoch weist Kreuzer auch darauf hin, dass eine solche Arbeit Risiken berge. Es müsse nicht immer sofort der Rückfall sein. »Trotzdem sollte man als ehemals Betroffener mit großer Aufmerksamkeit dabei sein und sich fragen ‚Wann wird es mir zu viel, wann schwappt es über?‘«, sagt Kreuzer.

»Ich habe gemerkt, wie ich selbst eigentlich bin.«

Philipp mag seine Arbeit, obwohl sie ihn immer wieder mit seiner eigenen Vergangenheit konfrontiert: »In manchen von den Leuten, die zu uns kommen, sehe ich mich selbst wieder. Wenn ich nicht aufgehört hätte.« Nach der Entgiftung veränderte sich alles in Philipps Leben. »Ich habe gemerkt, wie ich selbst eigentlich bin. Mit dem ganzen Kiffen und dem anderen Zeug hat man ja kaum mehr Emotionen. Nach drei oder vier Wochen Drogenabstinenz fing ich plötzlich wieder an zu träumen.« Seinen damaligen Rufnamen »Toni«, angelehnt an den kolumbianischen Drogenboss Tony Montana aus dem Film Scarface, hatte er abgelegt.

Philipp holte sein Fachabitur nach und fing eine Ausbildung zum Automobilkaufmann an, die er jedoch wieder abbrach. Einige Zeit war er arbeitslos, dann begann er seine Ausbildung zum Krankenpfleger. »Rückblickend ist das echt heftig. Ich war wie ein 16-Jähriger, der so durch die Gegend taumelt. Nur, dass ich schon 21 war«, sagt Philipp. Manchmal wirkt er ein wenig nachdenklich, wenn er über seine Vergangenheit spricht, als ginge es um eine andere Person. Im vergangenen Jahr konnte er schließlich das allgemeine Abitur nachholen und sein Medizinstudium aufnehmen.

»Marihuana und Gedächtnis vertragen sich nicht so gut.«

Schon vor der Entgiftung hatte Philipp manchmal versucht, clean zu werden. »Man hat sich schon immer mal wieder gedacht ‚Hey, eigentlich ist das ja nicht cool‘, wenn man morgens mit der Bong dasaß. Aber dann hat der Kopf halt gekickt – und dann waren die Gedanken auch schon wieder weg«, sagt er. »Zum Teil hab ich Blut gehustet, weil meine Lunge so gereizt war. Aber das ist halt das Witzige: Man schiebt die Hinweise einfach zur Seite.« Auch heute sind Philipps Drogenjahre für ihn noch präsent. Er hat Probleme, sich beim Lernen zu konzentrieren, kann sich Dinge nicht gut merken. »Ich hab schon das Gefühl, dass ich für viele Sachen länger brauche. Marihuana und Gedächtnis vertragen sich nicht so gut.« Auch seine Zähne sind noch immer beschädigt, »wegen der ganzen Ziehgeschichte«. Was ihn besonders verfolgt, sind die Panikattacken, die ihn immer wieder heimsuchen – manchmal, wenn er viel Stress hat, manchmal auch aus dem Nichts. »In diesen Momenten ärgere ich mich immer besonders über die Zeit damals.«

»Manchmal baue ich den Joint für sie.«

Fürchtet Philipp sich manchmal, rückfällig zu werden? »Nein. Dafür bin ich zu lange raus. Da können Drogen auf dem Tisch liegen, das ist für mich kein Problem. Was schon ein bisschen krank ist: Wenn Freunde von mir kiffen, dann baue ich manchmal den Joint für sie. Da rieche ich dann daran und möchte das Zeug einfach anfassen, wegen der harzigen Konsistenz, dem guten Geruch. Ich bin halt schon noch irgendwie mega süchtig nach dem Zeug.« Philipp lacht. Ernst aber wird er, wenn er erzählt, warum er das nicht als Bedrohung empfindet: »Die Hemmschwelle ist einfach zu hoch durch diesen ganzen Abfuck, den ich erlebt habe. Es sind jetzt neun Jahre, ziemlich genau. Da bin ich raus.« Philipp ist oft unterwegs, arbeitet und macht sehr viel Sport. Basketball, Fitnessstudio. »Den Kick muss ich mir irgendwo holen. Aber jetzt halt woanders.«

Sein Medizinstudium will er bald durch ein Studium der Psychologie oder der Sozialen Arbeit ersetzen – um auch in Zukunft in der Drogenberatung Fuß fassen zu können. Die enge Zusammenarbeit mit den Klienten gefällt ihm. Seine Drogenerfahrungen stehen ihm dabei nicht im Weg: »Sie sind eben ein Teil meiner Vergangenheit, der mich geformt hat. Der dazu beigetragen hat, dass ich so bin, wie ich bin. Meine Geschichte macht mich auch nicht zu einem schlechteren Menschen. Früher war ich das vielleicht. Heute nicht mehr.«

* Name von der Redaktion geändert

Das Interview mit Christian Kreuzer gibt es hier.

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