Schönheit kommt von innen

Schönheit kommt von innen

Aus einer ästhetischen äußeren Form, in welchem Kontext auch immer, kann durchaus auch Schönheit entstehen, die Ästhetik ist aber keine Bedingung der Schönheit, denn sie kommt in der Tat von innen. Jedoch auf ganz andere Weise als man zuerst einmal vermuten würde.

von Luis Peitz

Nahezu jeder, der im deutschsprachigen Raum groß geworden ist oder aktuell lebt wird im Laufe dieser Zeit zwangsläufig auch einmal mit der Phrase „Schönheit kommt von innen“ in Berührung kommen. Von den einen wird sie als Binsenweisheit abgetan, die anderen nutzen sie als Schutzschild.

Im Konflikt, um die Bewertung dieser Aussage prallen zwei Begriffe aufeinander, die so oft synonym verwendet werden, vermischt und auch falsch eingesetzt werden: Schönheit und Ästhetik.

Mit dem Begriff der Ästhetik ist die Lehre der Wahrnehmung gemeint. Sie fußt auf empirisch messbaren, physischen Qualitäten, zu denen der goldene Schnitt, aber auch die Proportionalität zählen. Versucht man ein Betrachtungsobjekt nach ästhetischen Gesichtspunkten zu beschreiben oder auch zu bewerten, bezieht sich diese Betrachtungsweise zwangsläufig auf objektive, mathematisch darstellbare Gesichtspunkte.

Dieser Objektivität steht die Schönheit gegenüber und die Dimensionen die sie zu umschreiben versucht. Während die Ästhetik klar benennbar ist, bezieht sich die Schönheit auf – wenn man so will –  transzendente, schwerer fassbare Qualitäten. Während die ästhetische Komponente eines Objekts durch seine Eigenschaften bestimmt wird, liegt die Schönheit im Auge des Betrachters, sie ist subjektiv und damit auch komplizierter zu beschreiben.

In der Alltagssprache werden die beiden Ausdrücke oft entweder synonym verwendet, oder es wird ausschließlich das Wort „Schönheit“ verwendet, auch wenn Qualitäten beschrieben werden sollen, die eher im Bereich der Ästhetik aufgehoben wären.

Wie kann die Abgrenzung dieser beiden Begriffe also bezogen auf alltägliche Dinge aussehen?

Der Begriff „Schönheit“ kann besonders gut am Beispiel der Musik veranschaulicht werden. Sie hat die große Macht Menschen in ihrem tiefsten Inneren zu berühren, wenn man so will ihre Seele zu streicheln. Musik kann Menschen zum Lachen oder Weinen bringen und sie zum Tanzen verleiten. Welche Musik nach diesen emotionalen Gesichtspunkten als schön empfunden wird ist natürlich individuell und genauso auch die Gründe dahinter.

Während sich der eine bei einem Peter Fox Lied in seine Kindheit zurückversetzt fühlt, sich vielleicht an die Autofahrten ins Schwimmbad mit seinem Papa erinnert, verbindet die andere die Melodie des Vorspiels aus Lohengrin mit einem Spaziergang in den Bergen. Andere wiederum empfinden ein bestimmtes Lied oder Genre auch ganz ohne Erinnerung oder spezifischen Grund schön. Ihnen allen ist aber gemeinsam, dass ihnen die Musik aus einer Emotionalität heraus gefällt.

Ein Lied, Stück oder sogar ein ganzes Werk erhält also durch den individuellen Bezug des Hörers dazu seine Schönheit, sie entsteht aus der individuellen Interaktion zwischen den beiden.

Gleichzeitig kann Musik aber nach ihrer ästhetischen Qualität beschrieben und bewertet werden. Zu dieser kann ganz banal ein ästhetisches Notenbild zählen, aber auch elegant gestaltete Modulation innerhalb des Stückes. Zur Ästhetik kann hier aber auch ein gut eingeleiteter, elegant ausgeführter Übergang zwischen zwei Tracks im Set eines DJs gezählt werden.

Ähnliches gilt auch in der Architektur. Durch gut gewählte Proportionen oder auch Materialien kann ein Bauwerk große Ästhetik erhalten, fehlt jedoch unsere emotionale Verbindung zu dem Gebäude, empfinden wir es als ästhetisch, die Schönheit fehlt aber. Schön ist jedoch das Haus der Großeltern, in dem man als Kind die Ferien verbracht hat und mit dem man positive Erinnerungen verknüpft, oder die Stammkneipe in der man seinen Mann fürs Leben kennengelernt hat. Schön sind diese Orte ganz unabhängig von ihrer äußeren Erscheinung, ganz egal ob das Haus ein sechzigerahre Betonbau ist und in der Kneipe vom Rauch vergilbte Rüschenvorhänge angebracht sind. Auch hier erhalten die Orte ihre Schönheit allein durch unsere positiven Erinnerungen, durch unsere emotionale Verbindung zu ihnen.

Vermutlich am häufigsten wird der Begriff der Schönheit jedoch im Zusammenhang mit der Beschreibung des äußeren Erscheinungsbildes von Personen verwendet.

Täglich werden uns Fotos und Videos von Influencern und Prominenten in unseren Instagram Feed gespült, von vermeintlichen Schönheiten. Doch stimmt diese Bezeichnung überhaupt? Primär sehen wir ja nur ihr Äußeres. Die perfekt sitzenden Haare, die gut gezupften Augenbrauen und – man traut es sich kaum laut zu sagen – die aufgespritzten Lippen und botoxbehandelten Lachfalten. Lange Rede kurzer Sinn: was wir sehen ist ihr ästhetisches Äußeres. Ein Gesicht das nach den Gesetzmäßigkeiten der Proportionalität ästhetisch wirkt dadurch aber noch lange keine Schönheit bedeutet.

Offenkundig wird der Unterscheid zwischen der Schönheit und der Ästhetik eines Menschen auch unter Einbezug der ästhetischen Chirurgie, die fälschlicherweise so oft auch als Schönheitschirurgie bezeichnet wird.

Sie hat die Chance unter anderem ein Gesicht nach mathematischen Kriterien zu „perfektionieren“. Die Nase kann geschmälert, die Haut gestrafft werden, mit dem Ziel der Verbesserung der Ästhetik und der Proportionalität. Was sie jedoch nie kann, ist Schönheit zu kreieren, weshalb die Bezeichnung Schönheitschirurgie auch so irreführend ist.

Ob wir unser Gegenüber als schön empfinden, hängt von unserer subjektiven Bewertung und auch Gefühlslage ab. Zur Schönheit kann ein Mensch allein durch den Betrachter und seine subjektive Erfahrung mit seinem Konterpart erhoben werden. Diese Qualität entsteht durch geteilte Erfahrungen, gemeinsames Lachen und Weinen, durch Liebe und vielleicht auch Schmerz. Die Schönheit, die eine Person für uns ausmacht wächst sozusagen in uns und nur wir können sie an das Gegenüber weitergeben.

Aus einer ästhetischen äußeren Form, in welchem Kontext auch immer, kann durchaus auch Schönheit entstehen, die Ästhetik ist aber keine Bedingung der Schönheit, denn sie kommt in der Tat von innen. Jedoch auf ganz andere Weise als man zuerst einmal vermuten würde. Schönheit erlangt eine Person, ein Objekt erst durch seine Interaktion mit dem Betrachter selbst. Er kann seine Umgebung sozusagen zu Schönheit adeln durch seine ganz individuelle Verbindung dazu. Die Schönheit entsteht und liegt im Inneren jedes einzelnen von uns.

Bild von Cole Freeman auf unsplash

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