»Ich meld mich dann später« – Die WhatsApp-Falle

»Ich meld mich dann später« – Die WhatsApp-Falle

Hast du auch diese zwei, fünf oder zwanzig WhatsApp-Nachrichten, auf die du eigentlich endlich mal antworten solltest? Wie schlimm sind deine Schuldgefühle schon? Und wie gut tut die Allgegenwertigkeit der App? – Ein Versuch, das zu ergründen.

von Julia Huber

»Mittwoch, bin allein daheim, warte, dass noch jemand schreibt, bisschen Netflix gegen Einsamkeit« oder aber »Von Halbschlaf zu hellwach, weil mein Handy doch noch Lärm macht« oder »Warum hab ich immer Angst, wenn mir doch noch einer schreibt« –

in meiner Deutscher-Indie-Bubble ist »Timothée Chalamet« von Lena&Linus ein Trendsong. Dadurch habe ich zwei Dinge gelernt: Erstens, man spricht den guten Mann gar nicht englisch aus, sondern eher so wie ein aufgegossenes Heißgetränk: Timo-Tee. Zweitens, irgendwie können sich wohl viele von uns damit identifizieren, ein ambivalentes Verhältnis zum eigenen Handy und Benachrichtigungen zu haben.

Mir geht es auch so. »WhatsApp ist nicht mehr dasselbe wie früher«, sage ich zu Bekannten und dann melde ich mich das nächste Mal in etwa drei Wochen, teils auch drei Monaten. Im Großen und Ganzen gibt es bei mir zwei Extremzustände: Entweder ich schreibe innerhalb von Sekunden zurück, oder aber ich kündige an, »bald« ausführlicher zu antworten – und dann zieht es sich. Beides ist mit Schuldgefühlen verbunden. Und: Am Handy bin ich trotzdem immer.

Mein Problem mit dem Handy ist dabei nicht das Gefühl von Einsamkeit trotz Benachrichtigungen, von dem Lena&Linus singen. Mein Problem ist dieses Gefühl einer nie endenden To-Do-Liste.

Dröseln wir das genauer auf. Jetzt in dieser Sekunde habe ich siebzehn Nachrichten, auf die ich antworten sollte. Einige davon sind Life Updates von Schulfreund:innen oder anderen Menschen, die ehemals mal permanent in meinem Leben waren; lange Sprachnachrichten, bei denen ich mir immer denke: Jetzt gerade im Moment habe ich keine Zeit. Und wenn ich das nächste Mal an die Nachricht denke: Wieder keine Zeit.

Dann gibt es die professionellen Nachrichten: Mütter von Nachhilfekindern, meine Chefin, die Teamgruppe aus meinem Ehrenamt, journalistische Quellen. Solche Nachrichten beantworte ich aus Prinzip nicht von unterwegs aus. Für solche Nachrichten schreibe ich mir eine Erinnerung in meinen Kalender, heute Abend, 18:00 Uhr, Frau R. antworten. Wahrscheinlich würde eine tatsächliche Antwort auf die Nachricht genauso lang dauern. Aber etwas in mir sträubt sich dagegen, aus meinem Privatleben heraus Arbeitsthemen zu bearbeiten. Ich möchte auch mal Freizeit haben. Ich möchte auch mal nicht erreichbar sein. Deswegen antworte ich nicht und habe meine Ruhe trotzdem nicht, weil WhatsApp dafür sorgt, dass sich alles Professionelle auch in mein Privatleben schleicht, in Echtzeit. Hier: Noch drei Anfragen, die du bald beantworten solltest. Wenn du deinen Freund:innen schreiben möchtest, denk bitte dran: Hier ist immer noch Arbeit.

Und dann gibt es natürlich noch die Nachrichten meiner Freund:innen, die mich tatsächlich interessieren, auf die ich auch schnell antworte. Die nur eine lustige Ergänzung zu unserem tatsächlichen Kontakt in der realen Welt sind. Aber solche Nachrichten sind nur der Köder. Bin ich erst einmal auf WhatsApp, sehe ich wieder die fünfzehn arbeitsbezogenen Nachrichten.

Und genau diese Mischung ist das Problem. WhatsApp tut so, als wäre es ein spaßiges Kommunikationsmittel, ein soziales Netzwerk, eine Freizeitinstitution. In Wirklichkeit trägt es aber, zumindest bei mir, bei zum allgemeinen Produktivitätswahn, der nie gut für die mentale Gesundheit sein kann. Also: »Warum hab ich immer Angst, wenn mir doch noch einer schreibt« – bei mir liegt es daran, dass ich mich unproduktiv fühle, als würde ich zu wenig Leistung erbringen. Und bekanntermaßen misst man in einer kapitalistischen Gesellschaft (Selbst-)Wert zuweilen an Leistung.

Was also wäre die Lösung? Ein Teil der Lösung wäre vielleicht, mir feste Zeitslots zu blocken, in denen ich WhatsApp-Nachrichten beantworte, so wie ich feste Zeiten habe, in denen ich Mails beantworte. Und es außenherum einfach mal sein zu lassen. Ein Teil der Lösung wäre vielleicht auch, in meinem Freundeskreis Anrufe wieder mehr zu etablieren, für die wichtigen Dinge. Denn der Kern der Lösung wäre, tatsächlich einmal abzuschalten. Das Handy herunterzufahren. WhatsApp für einige Stunden zu blockieren. Den ständigen Erinnerungen an die unendliche To-Do-Liste tatsächlich einmal zu entrinnen.

Dann aber müsste ich in Kauf nehmen, Dinge zu verpassen. Nicht mehr jede Nachricht meiner Freund:innen auf der Stelle mitzubekommen. Dosiert zeitverzögert, aus der Zeit gefallen zu leben. »Ich mach mein Handy wieder leise und lenk mich ab für ne Weile« singen auch Lena&Linus.

Wenn ich so darüber nachdenke, klingt das gar nicht mal so ungesund.

Beitragsbild: Dimitri Karastelev I Unsplash

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