Emily Davison

Emily Davison

Noch ist die Klausurenphase noch nicht für alle vorbei – und somit genauso wenig die Prokrastination. Wenn ich prokrastiniere, stelle ich manchmal mein Zimmer Feng-Shui-gerecht um. Und manchmal prokrastiniere ich, indem ich mich näher als erforderlich mit den Stichpunkten auf meiner Zusammenfassung auseinandersetze. Dieser Artikel ist ein Ergebnis davon.

von Julia Huber

In meinen Notizen steht: »1913: Emily Davison stirbt«. Die Notizen sind für eine Klausur, die ich noch schreibe, und Emily Davison ist eine englische Frauenrechtlerin. Eine sogenannte Suffragette. Deren höchstes Ziel war das Wahlrecht für alle, das heißt: Das Wahlrecht für Frauen. Denn weiße Männer dürfen wählen, seit es Wahlen gibt.

In ihrem Leben ist Emily Davison militant. Sie zündet Briefkästen an, wirft Steine, tritt in den Hungerstreik. Laut Wikipedia wird sie auch für Körperverletzung inhaftiert.

Emily Davison stirbt, indem sie auf eine Pferderennbahn läuft. Es kommt zu einem Zusammenstoß mit dem Pferd des Königs. Emily Davison fliegt zu Boden. Sie stirbt nicht sofort, erst nach einigen Tagen im Krankenhaus, aber ihr Bewusstsein erlangt sie nicht wieder.

Es ist nicht sicher, warum Emily Davison stirbt, wie das einzuordnen ist: Suizid oder Unfall? Die Frauenbewegung handelt sie schnell als Märtyrerin; andere argumentieren, dass sie noch Pläne gehabt habe und eigentlich nur einen Wimpel am Pferd des Königs anbringen wollte. Sie habe die Situation schlicht unterschätzt.

Emily Davisons letzte bewusste Momente sind festgehalten. Es gibt ein Video davon. Wie Emily Davison auf die Pferderennbahn tritt und wie sie zu Boden gerissen wird, kann man sich auf YouTube ansehen.

»Puh, ich glaub, das schaue ich mir lieber nicht an«, sage ich zu meiner Mitbewohnerin und meine Mitbewohnerin antwortet: »Ne, lieber nicht.«

Natürlich schaue ich es mir zehn Minuten später doch an. Man erkennt nicht viel, aber das nötigste. Die offene Frage Suizid oder Unfall? lässt sich natürlich auch nicht beantworten, indem man öfter auf Replay drückt.

Früher oder später finde ich mich also in den Kommentaren wieder. Viele sind ergriffen, so wie ich, andere diskutieren die Suizid oder Unfall?-Frage. Aber es gibt auch Anderes.

Chef Paul kommentiert: »Well that wasn´t a very smart thing to do« und CleanestBowl553 schreibt: »And that folks, is what I call natural selection.« Und mein persönlicher Favorit: ServiceInstaller kommentiert: »That appears to be an emotionally driven decision which put everyone in harms way. Probably not the best signal to send when trying to allow women to make a decision like voting.«

Ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt etwas dazu sagen muss. Ein Teil von mir ist frustriert, ein anderer meinen Freundinnen einen Screenshot schicken, damit sie mir schreiben, dass sie eine ähnliche emotionale Reaktion haben wie ich.

Schreibe ich nun eine Kolumne, um zu rechtfertigen, was meiner Meinung nach keine Rechtfertigung braucht? Wenn ich das tun würde, würde ich es so angehen:

Dass Feminismus fehlschlagen wird, weil Frauen zu emotional seien, ist ein uraltes Argument, das auf vielen verschiedenen Ebenen falsch ist. Zuallererst weil Emotionen keine Schwäche sind. Die konstatierte Rationalität der Männer hat ja erst dazu geführt, dass mehr als die Hälfte der Bevölkerung von sogenannten gleichen Wahlen ausgeschlossen geblieben ist, dass Unterdrückung verschiedener Skalen an der Tagesordnung gewesen ist.

In meinen Notizen steht: »1913: Emily Davison stirbt«. Der nächste Stichpunkt lautet: »1918: Wahlrecht für Frauen über dreißig«. Dass das Wahlrecht kam, lässt sich sicher nicht in erster Linie auf Emily Davisons Tod oder Leben zurückführen. Und wir haben keine Belege dafür, wann England das Wahlrecht für alle erlangt hätte, wenn die Frauenbewegung nicht auch militant gewesen wäre – wir wissen es schlicht nicht und werden es nie wissen können.

Aber wir wissen, dass Emily Davison ihr Leben und potentiell ihren Tod einem Anliegen gewidmet hat, dem wir heute alle zustimmen würden. Ihr Anliegen, die Gleichberechtigung aller Menschen, steht heute in vielen Verfassungen der Welt.

Und trotzdem braucht es nur zwei Klicks im Internet, um Leute zu finden, die sie diffamieren und dabei klammheimlich mit der Rhetorik arbeiten, die uns Frauen jahrhundertelang die Gleichberechtigung vorenthalten hat.

Wir brauchen Feminismus. Auch heute noch. Mehr habe ich dazu nicht zu sagen, nicht zu diesem Zeitpunkt, weil ich mich noch nicht näher mit Emily Davison beschäftigt habe. Aber manchmal reicht es auch, Dinge einfach zu erzählen.

Beitragsbild: Snuffleupagus via Pixabay

Link zu Wikipedia: Emily Davison – Wikipedia

Link zu YouTube: Suffragette Emily Davison knocked down by King’s horse at Epsom – YouTube

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