Unsichtbare Schmerzen: Die Krankheit, die eine von fünf Frauen* betrifft und meistens undiagnostiziert bleibt

Unsichtbare Schmerzen: Die Krankheit, die eine von fünf Frauen* betrifft und meistens undiagnostiziert bleibt

»Vulvodynie« oder »Pudendusneuralgie«: Was eine chronische Erkrankung mit dem Patriarchat und der Tabuisierung des weiblichen* Körpers zu tun hat.

von Eleonore Krisa

Brennende Schmerzen im Intimbereich, wiederkehrende Blasenentzündungen, Stechen beim Fahrradfahren oder einfach nur wenn du enge Hosen trägst? Wenn dir diese Situationen bekannt vorkommen und du eine Vulva hast, könntest du ein:e Patient:in für Vulvodynie sein. Diese Krankheit betrifft eine von fünf Personen mit einem weiblichen* Geschlechtsteil und ist dadurch gekennzeichnet, dass sie oft falsch oder gar nicht diagnostiziert wird. Ich selbst habe über zehn Jahre lang auf eine Diagnose gewartet. Das hat auch damit zu tun, dass diese Pathologie keine anerkannte Krankheit ist und die Behandlung nicht von gesetzlichen Krankenkassen übernommen wird.

Als ich zum ersten Mal mit meinen Beschwerden zum Gynäkologen gehe, bin ich zwölf Jahre alt. Die Diagnose: Ja, als pubertierendes Mädchen habe man nun mal ab und zu Schmerzen. Mit dieser neuen Erkenntnis lebe ich dann vier weitere Jahre lang. Immer wenn es brennt, ich stundenlang mit Blasenentzündung auf dem Klo sitze, denke ich mir damals: »Naja, so ist das halt wenn man eine Vulva hat, solche Schmerzen hat man einfach «. Die Jahre vergehen und ich bin immer mal wieder bei verschiedenen Ärtzen: Ja, Ärtzen, nicht Ärzt:innen. Es sind meistens weiße, etwas ältere Männer, die mich untersuchen. Immer wieder dasselbe: »Das passiert vielen jungen Frauen«, »Naja, bei Ihnen scheint mir alles in Ordnung, vielleicht sollten sie sich nicht so hineinsteigern«. Einmal sagt mir ein Gynäkologe sogar, ich solle »doch mal halblang machen und mich beruhigen«. Ich gehe davon aus, er meinte mein Sexualleben. Klar, hier ist die Annahme, bei brennenden und stechenden Schmerzen im Unterleib, dass mein größtes Interesse Geschlechtsverkehr mit einem Mann sei. Man stelle sich vor, die arme Frau, kann keine Männer befriedigen, weil sie Schmerzen hat! Welch Entstellung! Diese neue »Diagnose«, treibt mich dazu an, das Thema selbst in die Hand zu nehmen: Ich recherchiere monatelang,  bis ich endlich auf ein Forum stoße, in dem sich andere Personen mit genau denselben Beschwerden Tipps geben, Praxen empfehlen und sich über Medikamente austauschen. Ich entscheide mich, zu einigen von den empfohlenen Gynäkolog:innen  zu gehen, ohne Erfolg. Ich bin verzweifelt, keine:r kann mir helfen, ich will nicht darüber sprechen, es gehört sich ja auch, nicht einfach mit jedem über Schmerzen zu sprechen, die unter der Gürtellinie stattfinden. Nein! Damit ist jetzt Schluss. Ich fange an, mich über das Thema zu öffnen und es stellt sich heraus, dass ich nicht alleine bin. Selbst in meinem Freundeskreis hat es Personen gegeben, die genau die gleichen Probleme gehabt haben: Schmerzen und keine Diagnose. Eines Tages spricht mich eine Freundin darauf an: Ihre Beschwerden klingen genau wie meine und sie hat eine Krankheit diagnostiziert bekommen, die »Vulvodynie« heißt. Sie hilft mir, einen Termin bei einer spezialisierten Klinik in München zu machen, einige Wochen später habe ich dann endlich eine Diagnose. Ich habe genau dieselbe Krankheit. Eine chronische Muskelverspannung im Beckenboden, die Einfluss auf den Pudendusnerv hat und sehr schmerzhaft sein kann. »Vulvodynie« oder »CPPS« (Chronic Pelvic Pain Syndrome).

Der Arzt erklärt mir, dass ich die Krankheit medikamentös behandeln könne, das aber nicht mein  Problem endgültig lösen würde. Meine Schmerzen wären somit temporär weg, allerdings nur wenn ich jeden Tag Tabletten nehme. Die Behandlung koste ca. 3000 Euro: Eine Stoßwellentherapie, mit der sich die Muskeln auflockern lassen und der Nerv entlastet werden könne. Ich sage ihm, dass ich Studierende bin und ich solche Kosten nicht auf mich nehmen könne. Er antwortet, dass er mir leider nicht helfen könne, dies sei ein sehr verbreitetes Problem. Die Kasse zahlt nicht. Er erklärt mir auch, dass meine Krankenkasse die Kosten decken würde, wenn ich dieselbe Krankheit im Fuß oder am Arm hätte. Es liege am Körperteil, nicht an den Beschwerden. Er selbst habe das Problem schon vor Gericht gebracht und dafür gekämpft, diese Krankheit staatlich anerkennen zu lassen. Wie bitte?! Die Krankheit wird nicht als solche anerkannt, obwohl so viele Menschen darunter leiden? Die Vulva ist und bleibt also ein Tabu. Niemand spricht darüber, sie wird sexualisiert, aber gleichzeitig darf und soll man nicht darüber sprechen. Da, wo alle von uns herkommen, wo das Leben anfängt, das wird in unserer Gesellschaft, in der Medizin, im Alltag nicht ernst genug genommen. Die Rede ist oft von »Unsichtbaren Schmerzen«, bei einer Untersuchung werden meist keine Rötungen oder Wunden sichtbar, da es sich um Beschwerden handelt, die durch eine neurologische Störung ausgelöst werden. Eine von fünf Frauen. Ich frage mich ob diese Beschwerde genauso vernachlässigt werden würde, wenn es einen von fünf Männern betreffen würde. Dies ist die perfekte Darstellung der Kontroverse des Patriarchats, das noch immer zutiefst in sämtlichen Systemen der Gesellschaft verwurzelt ist. Der weibliche* Körper wird idealisiert, sexualisiert, verdinglicht und dennoch wird ihm nicht genug Bedeutung beigemessen, um mit der nötigen Ernsthaftigkeit behandelt zu werden. Als ich überlegt habe, was ich für diese Kolumne als erstes schreiben sollte, ist mir viel eingefallen. Anfangs wollte ich nicht über meine Krankheit sprechen. Bei dem Gedanken, ein so intimes Thema zu veröffentlichen, wurde mir ein bisschen unwohl. Aber warum eigentlich? Das Tabu in Bezug auf den weiblichen* Körper, die systematische Unterdrückung weiblicher* Bedürfnisse und die Verharmlosung der weiblichen* Gesundheitsfürsorge: Genau das sind doch die Ursachen, für die mangelnde Sensibilisierung in Bezug auf diese Krankheit. Wir lernen schon als junge Mädchen, nicht so laut zu sein. Man spricht nicht über Sex, über die eigenen Bedürfnisse, und schon gar nicht über die eigene Vulva! Damit ist ab sofort Schluss. Ich bin mir sicher, wenn wir jetzt anfangen darüber zu sprechen, wird es in zwanzig Jahren möglich sein, mit Beschwerden im Intimbereich zu Ärzt:innen zu gehen und eine ordentliche Diagnose zu bekommen, ohne zwölf Jahre warten zu müssen.

Quellen:

https://www.netdoktor.de/krankheiten/pudendusneuralgie/

https://frauenheilkunde-aktuell.ch/de/fachmagazin/ausgaben/2019-01/chronic-pelvic-pain-syndrome-erfindung-oder-realitaet/

https://www.ambulantes-schmerzzentrum.de/behandlungen/beckenbodenschmerz/8-beckenbodenschmerz-der-frau.html

https://www.jameda.de/gesundheit/schmerzen/das-chronische-beckenschmerzsyndrom-cpps-chronic-pelvic-pain-syndrom/

Beitragsbild: Anthony Tran I Unsplash

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