Zwanzigtausend

Zwanzigtausend

An fast allen bayerischen Universitäten gleichen sich die Bilder: überfüllte Hörsäle, lange Schlangen in den Mensen und Autofahrer auf der verzweifelten Suche nach einem Parkplatz. Durch den doppelten Abiturjahrgang drängen auch an die Uni Regensburg so viele Studenten wie noch nie.

Zu Beginn des aktuellen Wintersemesters begrüßte Franz Gruber, Prorektor für Studium und Lehre, die zwei zwanzigtausendsten Studenten an der Universität Regensburg: Franziska Kiesl und Philipp Schmitt. Es wurden zwei Studierende ausgewählt, da aufgrund von etlichen Zu- und Abgängen bis zuletzt unklar war, wer genau der 20 000. Student ist. Franziska Kiesl ist eine Absolventin des ersten G8-Jahrgangs und studiert Lehramt Musik an der Musikhochschule. Philipp Schmitt wechselte aus Würzburg nach Regensburg, um hier seinen Master in BWL zu absolvieren.

Großer Andrang

Mit dem Knacken der 20 000er Marke stellte die Universität Regensburg einen neuen Rekord auf: Noch nie zuvor waren so viele Studenten immatrikuliert. Zum aktuellen Wintersemester 2011/12 sind es etwa 20 300 Studenten. Ein Fünftel davon sind Erstsemester. Das sind 9,4 Prozent mehr Studienanfänger als im Jahr davor.

Als die Universität Regensburg in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts geplant und gebaut wurde, legte man sie für 11 000 (!) Studenten aus. Heutzutage sind etwa doppelt so viele eingeschrieben. Dies führt natürlich zwangsläufig zu überfüllten Hörsälen und langen Schlangen an den Mensen. Vor allem in den Pflichtveranstaltungen wird es schwer, einen Sitzplatz zu ergattern, wenn man etwas später kommt. Ob man dann, auf der Treppe sitzend, die Vorlesung gut verfolgen oder gar mitschreiben kann, ist mehr als fraglich.

Dabei haben die Studenten, die es bereits in den Hörsaal eschafft haben, fast immer eine stressige Anreise hinter sich. Wer mit dem Auto kommt, sucht meist vergebens einen Parkplatz in Uninähe. Wer mit dem Bus zur Uni fährt, muss in den Stoßzeiten erst mehrere Busse passieren lassen, bevor es gelingt, sich in einen der völlig überfüllten Busse hineinzupressen. Und wenn man sich dann nach einem anstrengenden Vormittag, mit häufig bis zu drei Veranstaltungen, auf sein wohlverdientes Mittagessen in der Mensa freut, muss man sich auf die nächste Wartezeit einrichten: Hat man gegen zwölf Uhr seine Mittagspause, wie ein Großteil der Studenten, steht man nicht selten über eine Viertelstunde für sein Essen an.

Auch die Suche nach einem Platz in einem der CIP-Pools, um die Pause zwischen Veranstaltungen zum Arbeiten nutzen zu können, gehört zur festen Routine der Studenten. Vor allem die Studenten, die aufgrund des Mangels an verfügbarem und insbesondere bezahlbarem Wohnraum zum Pendeln gezwungen sind, können es sich nicht leisten, die Zwischenpausen zu vergeuden. Da die Pendler oft früh von zu Hause aufbrechen und abends erst spät heimkommen, haben sie keine Möglichkeit, ihr Lern- und Arbeitspensum daheim zu erledigen. Das heißt, sie sind darauf angewiesen, einen Platz an einem Computer zu bekommen, um ihre Referate vorzubereiten, ihre Hausaufgaben abzuarbeiten oder ihre E-Mails zu checken.

Die beiden 20 000. Studenten müssen nicht pendeln, Franziska Kiesl hatte nach eigener Aussage »kein Problem«, eine geeignete Wohnung zu finden. Philipp Schmitt bewarb sich um einen Platz in einer WG und hatte das große Glück, unter 15 Mitbewerbern ausgewählt zu werden.

Keine bizarren Projekte

Die durch den doppelten Abiturjahrgang entstandenen Probleme sind nicht vom Himmel gefallen, sondern hausgemacht. Die bayerische Staatsregierung hatte acht Jahre Zeit, ihre Universitäten und Fachhochschulen auf den zu erwartenden Ansturm vorzubereiten. In Regensburg konnten »durch langfristige Planung bizarre Projekte verhindert werden«, so Alexander Schlaak, der Pressereferent der Universität Regensburg. Er ist sich sicher, dass »die Universität Regensburg die Geschichte bewerkstelligen kann«.

Zur langfristigen Planung gehört beispielsweise die Errichtung des »Vielberth-Gebäudes«, das im Sommersemester 2011 fertig gestellt wurde. Prorektor Gruber beschreibt den Neubau als großes Glück, denn dadurch stehen drei weitere Hörsäle und zahlreiche Seminarräume zur Verfügung. Zudem wurde angedacht, den Vorlesungszeitraum zu erweitern, um die Raumnot zu lindern. Glücklicherweise konnte auf diese Maßnahme verzichtet werden, denn Veranstaltungen im Zeitraum von 20 bis 22 Uhr sind nicht zumutbar – die Teilnehmerzahlen hätten sich sicherlich in Grenzen gehalten.

Auch der intensive Kontakt mit den Schulen im Vorfeld war Gruber wichtig, denn es ist seine Aufgabe, »zusätzliche Studienangebote und neue Studienplätze zu schaffen.« Er betont, dass »dies nur mit einem gründlichem Austausch mit den Schulen möglich« war. Außerdem sei »es der Universität Regensburg erfolgreich gelungen, Leute im Sommersemester anzulocken.« Das war möglich, weil man viele Studienfächer bereits zum Sommersemester 2011 anbieten konnte. In den wirtschaftswissenschaftlichen Studiengängen war dies nicht machbar. Deshalb wurde der Numerus Clausus in diesen Fächern deutlich angehoben.

Gerade bei den Wirtschaftswissenschaftlern sind manche Vorlesungen so gut besucht, dass man das Audimax mit seinen 1500 Plätzen benötigen würde. Da dort aber oft schon eine andere Veranstaltung stattfindet, musste eine innovative Lösung gefunden werden: Es wurde eine Videoübertragung vom H 15, dem zweitgrößten Hörsaal der Uni, zum H 16 eingerichtet. Nach anfänglichen technischen Problemen funktioniert die Tonübertragung zufriedenstellend und mittlerweile wird auch die Präsentation übertragen. Diese Lösung ist immerhin besser als etwa einen Kinosaal anzumieten, was an anderen Universitäten tatsächlich Realität ist und auch in Regensburg in Betracht gezogen wurde.

Zusätzliche Anforderungen an Dozenten

Aber nicht nur die Räume wurden durch die Rekordzahl an Studenten knapp, sondern auch das Personal. In manchen Seminaren oder Übungen gibt es doppelt oder gar dreimal so viele Anmeldungen wie Kursplätze. In diesem Fall zeigen sich die Dozenten fast immer kulant und nehmen ein paar Nachrücker zusätzlich auf. Damit wird es aber für den Dozenten schwieriger, sich um alle Kursteilnehmer individuell zu kümmern, was für beide Seiten von Nachteil ist.

Aus diesem Grund ist die Universität froh, dass ihr im Rahmen des »QuiRL-Projektes«, eines Bund- Länder-Projektes zur Verbesserung der Studienbedingungen und für mehr Qualität in der Lehre, in den nächsten fünf Jahren elf Millionen Euro vom bayerischen Kultusministerium zur Verfügung gestellt werden. Mit diesem Geld könne man über dreißig neue Stellen schaffen, ist Gruber überzeugt.

Der doppelte Abiturjahrgang und die letzten Wehrpflichtigen sind also an der Uni angekommen. Die Bilanz: Es funktioniert mehr schlecht als recht. An etlichen offenen Baustellen besteht noch immer dringender Handlungsbedarf. In Zukunft wird es insbesondere darauf ankommen, für die Bachelorabsolventen genügend Masterstudienplätze zur Verfügung zu stellen. In den letzten Jahren wurden im Hinblick auf den erwartbaren doppelten Abiturjahrgang vor allem immer mehr Bachelor- Studienplätze angeboten, um den Abiturienten überhaupt einen Studieneinstieg zu ermöglichen. Dieser wird aber ohne einen anschließenden Masterstudiengang nicht viel wert sein. Hier ist das Wissenschaftsministerium gefragt, das die dazu notwendigen Mittel bereitstellen muss. Denn eines ist klar: Bayern kann es sich nicht leisten, das Potential eines ganzen Jahrgangs zu verschwenden.

Text: Christoph Pflock

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