Das Self-Care Pflaster kann die Wunde nicht heilen
Obwohl der Begriff Self-Care immer häufiger fällt, erreicht das Wohlbefinden in Deutschland dieses Jahr einen neuen Tiefstand. Der Trend der Selbstfürsorge scheint nicht die Lösung gegen Unglücklichsein zu bieten.
von Anna König
Seit 2019 steigen die Suchanfragen zu Self-Care und Google schlägt in Sekundenschnelle Kaufoptionen zu Duftkerzen, Gesichtsmasken und angeleiteten Tagebüchern vor. Zahlreiche Websites erklären, dass es darum gehe, sich selbstständig um die psychische und physische Gesundheit zu kümmern. Dabei ist das nicht so einfach, wie es innerhalb dieses Trends suggeriert wird.
Vom guten Kerngedanken zum Luxusgut
Immer wieder fällt ein Begriff in Verbindung mit der Self-Care der Psyche: Achtsamkeit. Der Grundgedanke von Achtsamkeit hat seinen Ursprung im Buddhismus und betont bewusste Wahrnehmung, das Leben im Moment, eine nicht wertende Haltung und Akzeptanz. Tatsächlich wurden zahlreiche Studien durchgeführt, die ihre Wirksamkeit belegen. Achtsamkeitsbasierte Praktiken können zu erhöhter Lebensqualität, Stressreduktion und sogar Besserung einiger Krankheitsbilder führen. Diese Techniken zu lernen und in den Alltag zu integrieren erfordert Geduld und eine aktive Auseinandersetzung mit sich selbst. Darum soll es schließlich auch gehen: eine bewusste schrittweise Verbesserung des Wohlbefindens, die nachhaltige Effekte erzielt. Die Kritik richtet sich also nicht an die aufsteigende Begeisterung für Achtsamkeit und Self-Care, sondern an die moderne Interpretation davon.
Durch die inflationäre Nutzung der Begrifflichkeiten wie Self-Care und Achtsamkeit verschwimmt nämlich die Grenze zwischen Wissenschaft, Social-Media Trend und Kapitalismus. Statt aktiver Auseinandersetzung mit der Psyche wird ein schnelles und vor allem einfaches Bergauf versprochen. Nur leider verbirgt sich dahinter oft das Ziel Geld zu verdienen, was sich an den Preisen von Yoga-Kursen, Spa-Retreats und Superfoods abzeichnet. All das hat mit den Kerngedanken der Bewegung wenig zu tun und verwandelt Self-Care in ein Luxusgut. Dass man sich das Glücklichsein durch Produkte und Dienstleistungen nicht einfach kaufen kann, wird durch die Werbung verdrängt. Dieser Konsum kann aber lediglich ein oberflächliches und kurzfristiges Glücksgefühl auslösen. Klingt dieses wieder ab, kann sich ein Gefühl des Scheiterns ausbreiten – denn die eigenen Bemühungen zur Besserung wirken erfolglos.
Wohlbefinden als Klassenunterschied
Die Interpretation von Self-Care als exklusives Luxusgut wird von Videos auf Social Media unterstrichen: Aufnahmen von warm beleuchteten, stilvollen Wohnungen mit großen Badewannen, untermalt von Pianomusik und abgeschlossen mit dem zufriedenen Lächeln eines normschönen Gesichts. Menschen aus weniger wohlhabenden Verhältnissen oder mit ernstzunehmenden psychischen und physischen Krankheiten finden in dieser Ästhetik kaum Platz. Denn mit existenziellen Problemen bleibt zwischen mehreren Jobs oder zahlreichen Terminen bei diversen Ärzt:innen und Ämtern oft weder Zeit noch Geld, um solche Self-Care zu betreiben.
Dabei geraten tieferliegende Hintergründe des Unglücklichseins in Vergessenheit. Neben verharmlosten psychischen Erkrankungen warten auch strukturelle Probleme darauf, dass sie endlich ihren Platz in der Diskussion finden. Als häufigster Grund für das Unglücklichsein wird nämlich die finanzielle Situation, gefolgt von psychischer und physischer Gesundheit genannt. Diese Ursachen liegen nicht in bloßer Eigenverantwortung, sondern haben oft strukturelle Wurzeln. Jedoch wird diese soziale Ungleichheit in dem Trend selten thematisiert und der Glaube, jeder sei ganz allein für sein Wohlbefinden verantwortlich, wird aufrechterhalten.
Self-Care ist kein Ersatz für Veränderung
Sicherlich ist Self-Care in ihrer ursprünglichen Form eine gute Option zur Stressreduktion. Einem schlechten Tag kann so bestimmt ein positiver Abschluss hinzugefügt werden und auch den schnelllebigen Alltag kann es deutlich entschleunigen. Dieser Alltagsstress und die Selbstfürsorge haben ihre Aufmerksamkeit verdient und normalisieren das Sprechen über Überforderung. Und das ist gut so! Es sollte aber klarer differenziert werden, wo die Grenzen und Möglichkeiten des Trends liegen. Gegen Unglücklichsein, Dauerstress und weitere psychische Probleme braucht es weitaus mehr als Selbstfürsorge: Es braucht mehr Akzeptanz und Aufklärung und ein kollektives Vorgehen gegen die vielen Hürden im System auf dem Weg zum Glücklichsein.
Titelbild © Olivia Rabe
Quellen:
https://www.ipsos.com/de-de/ipsos-happiness-index-2025-deutsche-so-unglucklich-wie-nie-zuvor https://www.springermedizin.de/psychotherapie/achtsamkeit/das-potenzial-der-achtsamkeit-trotz-risiken-und-nebenwirkungen/26582274
https://trends.google.de/trends/explore?date=all&geo=DE&q=Selfcare&hl=de
@psychologeluca (2025): Wenn Self-Care nicht mehr reicht, nimm es nicht persönlich [Instagram-Post]
