»Ich kann alle Noras sein, die du dir vorstellst«
Das Theater Regensburg erhält nicht nur die Auszeichnung als bestes Opernhaus 2025, sondern bringt auch einen neu aufgelegten Schauspielklassiker auf die Bühne
von Lilly Beckstein und Anne Nothtroff
Ein gesellschaftskritisches Stück, über eine Frau, die sich in einen nervenaufreibenden Kampf stürzt. Ein Kampf, gegen die Gesellschaft, gegen ihren Ehemann und vor allem gegen sich selbst, um endlich frei zu sein. Es ist Premiere und das Antoniushaus ist gefüllt. Über zwei Stunden sitzt das Publikum gespannt auf den Plätzen. Aufgeführt wird ein Genre, dass man vielleicht sonst nicht so oft im Theater sieht: Nora. Ein Thriller. Der Vorhang öffnet sich und man wird Teil einer wohlhabenden Welt. Ein Wohnzimmer, wie es in einem Design-Katalog hätte stehen können. Rote Wände mit schwarz-weißen Verzierungen, rote Ledermöbel und ein prunkvoll geschmückter Weihnachtsbaum, unter dem unzählig viele rote Geschenke liegen.
Ein Zuhause, wie man es sich von einer reichen Familie, bestehend aus Mutter, Vater und drei Kindern, vorstellt. Für Nora Helmer (Kathrin Berg) ist die Designerwohnung mit Weihnachtsflair allerdings kein Zuhause, vielmehr ein goldener Käfig. Perfekt frisiert und adrett gekleidet verkörpert Nora viele Rollen. Vor allem ist Nora Ehefrau und Mutter.Ihr Ehemann Torvald Helmer (Clemens Maria Riegler), ist gerade zum Bankdirektor befördert worden. Sein beruflicher Aufstieg verspricht der Familie mehr Geld und ihm selbst noch mehr Einfluss.

Das Leben der Familie Helmer sah nicht immer so rosig aus, denn Torvald hat eine schwere Krankheit hinter sich. Die finanziellen Mittel für seine Genesung hat Nora beschafft. Offiziell hat sie das Geld von ihrem eben verstorbenen Vater bekommen. In Wahrheit hat sich Nora das Geld aber geliehen und auf dem Schuldschein die Unterschrift ihres Vaters gefälscht. Dieses Geheimnis hat sie immer behütet, bis sie Besuch von ihrer alten Freundin Kristine Linde (Eileen von Hoyningen Huene) bekommt. Als diese Nora vorwirft, immer noch so leichtsinnig und kindisch wie früher zu sein, bricht es aus ihr heraus. Sie ist es, die das Geld beschafft hat und sie ist es, die ihrem Mann das Leben gerettet hat. Unglücklicherweise ist der Geldgeber ein Rechtsanwalt namens Krogstad (Joscha Eißen).
Krogstad ist in Torvalds Bank angestellt. Da er selbst in zwielichtige Geschäfte verwickelt war, droht ihm aber die Kündigung. Für Krogstad ist Nora gefundenes Fressen. Der Schuldschein ist nun sein Druckmittel, mit dem er versucht, seine Karriere zu retten. Nora soll ihren Ehemann dazu bringen, ihm nicht zu kündigen, ansonsten bricht alles zusammen. Nora kommt ins Schwanken und fällt in ein immer tieferes Loch – Verzweiflung und Selbstmordgedanken machen sich breit. Trotzdem hofft sie immernoch auf das Verständnis und den Schutz ihres Mannes. Nora erkennt, dass Torvald immer nur an sich und sein Ansehen gedacht hat und sie als seine Ehefrau nie mit Respekt auf Augenhöhe behandelt hat. Für ihn war sie immer sein »Schmetterling« oder »Eichhörnchen«. Kleine, ängstliche, zerbrechliche Tiere. Genau so hat er sie wahrgenommen. Als schwache, gehorsame Frau, die den Schein der perfekten Familie mit allen Mitteln wahrt. Letztendlich ist dieser Vorhang jedoch gefallen
Ein Theaterklassiker neu aufgelegt
Regisseur Matthias Köhler verleiht einem Theaterklassiker neue Strahlkraft. Die Textfassung des norwegischen Dramatikers Henrik Ibsen wurde von Sivan Ben Yishai, Gerhild Steinbuch und Ivna Žic überarbeitet und zeitgemäß interpretiert. In Regensburg ist diese Inszenierung nun erstmals zu sehen – und sie überzeugt auf ganzer Linie. Das Ensemble zeigt eine beeindruckende Bühnenpräsenz: Jede Figur ist präzise gezeichnet, jede Emotion glaubhaft und nuanciert gespielt.
Auch visuell entfaltet die Aufführung große Wirkung. Nora, perfekt frisiert und in einem auffälligen rot-schwarz gestreiften Kostüm im modernen Business-Stil, verkörpert zugleich Eleganz und innere Spannung. Besonders bemerkenswert ist, wie nahtlos die zahlreichen Kostümwechsel ablaufen – ein Beweis für die Professionalität und das eingespielte Zusammenspiel von Bühne und Garderobe. Etwas, wofür das Theater Regensburg bekannt ist und was sicherlich unter anderem auch zu der Auszeichnung als »Bestes Opernhaus 2025« geführt hat. Doch nicht nur die schnellen Kostümwechsel gelingen mühelos, auch die Darstellenden Eileen von Hoyningen Huene, Joscha Eißen und Michael Haake finden mit beeindruckender Leichtigkeit immer wieder in ihre wechselnden Rollen und halten dabei das hohe emotionale Tempo der Inszenierung souverän.

Während des Stücks fällt Nora immer wieder in eine Art Trance. In diesen Szenen schafft es Kathrin Berg hervorragend Noras Emotionswelt und ihr Gefangensein in ihren Rollen auf die Bühne zu bringen. Das Licht ändert sich von warm zu kalt. Es fühlt sich so an, als müsste man selbst den Atem anhalten. Die Bühne ist durchflutet von kaltem, blauem Licht und Nora starrt ins Leere. Währenddessen wiederholt sie immer wieder das Wort »jetzt« und Sätze, wie: »Jetzt wird geliebt. Jetzt wird stillgehalten«. Im Verlauf des Stücks häufen sich diese Passagen und Aussagen, wie: »Jetzt wird getanzt. Jetzt wird gelächelt. Jetzt wird arrangiert. Jetzt wird kontrolliert. Jetzt werden Kinder versorgt und verarztet. Jetzt wird verlassen«, entwickeln sich von einem Rauschen, bis hin zu einem unangenehmen Störgeräusch und Nora ruft: »Jetzt wird was gegen die Wand gezimmert!«.
All diese Momente machen den inneren Konflikt von Nora deutlich. Sie ist gefangen in ihrem eigenen Haus. Sie kämpft gegen die Erwartungen, als Frau genug sein zu müssen. Die perfekte Ehefrau zu spielen, die keine falschen Töne von sich gibt und eine perfekte Mutter zu sein. Das Stück zeigt dem Publikum auf, dass man es der Welt als Frau nie recht machen kann. Als Mutter zuhause zu bleiben ist falsch. Als Mutter einen Job zu haben ist auch falsch. Es ist falsch, auf das Geld des Ehemanns angewiesen zu sein. Es ist aber auch falsch, als »Karrierefrau« das Geld mit nach Hause zu bringen. Jede Frau ist auf der Suche nach Perfektion, egal ob Tochter, Mutter oder Großmutter. Mit Nora wird dem Publikum genau dieses Problem vor Augen geführt. Frauen sollen nicht gegeneinander kämpfen, sondern miteinander.

Dass dieses Problem generationsübergreifend sein kann, zeigen die Szenen mit den drei Kindern, die als Erwachsene auf die Geschichte ihrer Eltern zurückblicken. Zwischen allen dreien herrscht ein Konflikt nach der Frage der Moralität. Der älteste Sohn verachtet seine Mutter aufgrund ihrer Entscheidung und wirkt zutiefst verletzt. Die Tochter hingegen steht nach wie vor zu ihrer Mutter und ihrer Entscheidung. Genau so könnte die Gesellschaft über Noras Entscheidung denken. Die Männer, die Nora als egoistische Frau sehen, die ihre Kinder verlässt und die Frauen, die in Nora mehr sehen als nur eine Mutter und Hausfrau. Die Frauen, die verstehen, wie es ist, in eine Rolle gedrängt zu werden, ohne eine Wahl zu haben.
Zum Schluss greift Nora zum Mikrofon und singt den Song »Dog Days Are Over« von Florence + the Machine. Besser hätte ein Song nicht passen können, denn Zeilen, wie: »Leave all your love and your longing behind, you can′t carry it with you if you want to survive.«, untermalen perfekt die Aussage dieses Stücks. »Lass all deine Liebe und Sehnsucht hinter dir, du kannst sie nicht mit dir herumtragen, wenn du überleben willst.«.
Nora möchte leben. Nicht nur als Mutter, nicht nur als Ehefrau, sondern als ein Mensch mit vielen Facetten. Sie befreit sich aus ihrer Ehe, löst sich los von ihrem Ehemann, verlässt das Haus und bricht somit aus ihrem goldenen Käfig aus.
»So you better run.«, Nora.
Weitere Informationen zum Stück gibt es auf der Website des Theater Regensburg (https://www.theaterregensburg.de/produktionen/nora-ein-thriller.html)
Die Vorstellung wurde mit Pressekarten besucht.
Titelbild: Kathrin Berg © Sylvain Guillot
